Als man auf Fotos noch nicht lächelte

Erstellt von Elke Baumann |
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Das Museum Rietberg zeigt in seiner Sonderausstellung «The Future is Blinking» Arbeiten der Fotografen aus West- und Zentralafrika des 19. Jahrhunderts. In der westlichen Geschichtsschreibung kommen afrikanische Frauen nicht vor. In der westafrikanischen Fotografie hingegen sind sie sehr präsent.

Die allerersten Fotografien, die 1839 in ­Paris vorgestellt werden, sind eine Sen­sation. Das Publikum ist begeistert. Das neue Medium erfährt einen grossen Popularitätsschub. Man wirft sich in Schale und lässt sich in einem Studio ablichten. Sehr schnell sind Porträtfotografien kein Privileg des gehobenen Bürgertums mehr. Die Porträtfotografien verbreiten sich rasch um den Globus und erreichen Ende des 19. Jahrhunderts die Elfenbeinküste. Die Sonderausstellung im Museum Rietberg zeigt Fotografien von Afrikanerinnen und Afrikanern von 1880 bis 1930. Es sind keine Bilder von rückständigen, exotischen Fremden, sondern Aufnahmen von afrikanischen Berufsfotografen, die ihre eigenen Landsleute abgelichtet haben. Anhand von rund hundert Originalabzügen geht die Ausstellung auf die wichtigsten Themen der Fotografie West- und Zentralafrikas ein. Im Zentrum stehen frühe Aufnahmen von Wander- und lokalen Fotografen, die zusammen mit ihren Kundinnen und Kunden in Freiluftstudios bezaubernde Bilder geschaffen haben.

Marktplatz der Eitelkeit

Bei den Porträtierten handelt es sich um wohlhabende Einheimische. Die Fotografien werde im eigenen Interesse und zur Selbstinszenierung so genutzt, wie man von der Nachwelt gesehen werden will. Nicht der Fotograf, die Kunden und Kundinnen gestalten die Szene. Sie bestimmen Pose, Kleider, Accessoires und Requisiten. Besondere Aufmerksamkeit gilt den prächtigen Stoffmustern der Gewänder. Mit ihnen signalisiert man seinen sozialen Status, seine Zugehörigkeit zu einer bestimmten regionalen Gruppe oder Beziehungen untereinander. Ein Lächeln kommt in der Porträtfotografie Westafrikas nicht vor. Die Angelegenheit ist zu ernst.

Selbstbewusste Schönheiten

In der westlichen Geschichtsschreibung kommen afrikanische Frauen nicht vor. In der westafrikanischen Fotografie hingegen sind sie sehr präsent: Die kostspielig gekleidete junge Frau, in der Hand ­einen Blumenstrauss, das Haar kunstvoll drapiert, blickt uns über die Schulter ernst an. Sie setzt ihre Schönheit vor der Kamera ein, um ihre Position in der Gesellschaft zu zeigen.

Oder die junge Frau, die sich nach der Initiation (Beschneidung) selbstbewusst als heiratsfähige Frau auf der Suche nach einem Ehemann zeigt. Zwei Schwestern, Zwillinge, machen für sich Werbung. In schönste Stoffe gekleidet und mit modischer Frisur präsentieren sie sich nach ihrer Initiation vor der Kamera. Die über 100 Aufnahmen scheinen uns vertraut. Auch wir stellen uns mit persönlichen Fotos im besten Licht dar. Die Fotografien werden getauscht, verschenkt oder Freunden als Postkarten zugeschickt. Eine grosse Anzahl davon wird in Schuhschachteln aufbewahrt, in Fotoalben eingeklebt oder in Bilderrahmen aufgehängt. Viele von ihnen gelangen nie an ein breites Publikum, auch die Namen der abgebildeten Personen sind verloren gegangen.

Aus der Sammlung des Museums

Die Ausstellung setzt dem fremden Blick des Westens die lokalen Künste und bezaubernde Bilderwelt Afrikas entgegen. Die Fotografien stammen überwiegend aus der Sammlung des Museums Rietberg. Sie werden ergänzt durch Leih­gaben internationaler und nationaler Sammlungen sowie eine farbenprächtige Skulptur des zeitgenössischen Künstlers Yinka Shonibare. Die gezeigten Porträts und Objekte strömen eine unwiderstehliche Anziehungskraft aus. Nanina Guyer, Kuratorin der Ausstellung, und ihrem Team ist es gelungen, eine Schau zu präsentieren, die Besucherinnen und Besucher in ihren Bann zieht.


«The Future is Blinking» ist ein Zitat des ghanaischen Fotografen Philip Kwame Apagya aus dem Film «Future ­Remembrance» von Tobias Wendl und Nancy du Plessis (1998). Damit bezieht sich Apagya auf die in seinen Augen wichtigste Aufgabe der Fotografie: mit idea­lisierten Porträts Erinnerungen für zukünftige Generationen zu schaffen.