Ein Buch, das Mensch und Hund von der Leine lässt

Erstellt von Annemarie Schmidt-Pfister* |
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In «Mensch, Hund!» erzählt die Küsnachterin Vera Bürgi vom optimalen Miteinander von Hund und Mensch. Beim Besuch unserer Autorin – ebenfalls Hundeexpertin – kann sie ihre Qualitäten als Hundeflüsterin beweisen.

Die Autorin Vera Bürgi lebt seit vielen Jahren auf der Küsnachter Forch. Wir laden sie zum Plaudern und zum Fototreff in den alten Horngarten, wo sie – stilecht – von unseren Hunden bezirzt und belagert wird. Vera Bürgi ist sympathisch, eine sportliche Erscheinung mit wildem Wuschelkopf und blitzenden Augen, aus denen Unternehmungslust und Lebensfreude strahlen. Unser Rhodesian Ridgeback und die beiden Österreichischen Pinscher nehmen ihr vom ersten Moment an ab, dass sie eine geborene «Hundeflüsterin» ist. Nicht nur zwischen Buchdeckeln – auch im Alltag. Thema unseres Plauderns heute ist ihr neu erschienenes Buch «Mensch, Hund!».

Aus schierer Verzweiflung

Eine «geborene» Hundeflüsterin? Vera Bürgi muss lachen. Dabei wurde ihr Buch doch aus der schieren Verzweiflung he­raus geboren, wie sie sagt. Schuld daran war Pepe, ihr allererster Hund, ein Labra-Chow, den ihr eine Freundin aus Brasilien als Geschenk mitbrachte. «Da hatte ich dann das Geschenk», schmunzelt sie in der Erinnerung an ihren «Seelenhund», der sich nicht selten als taub erwies, wenn Vera etwas von ihm forderte – und zwar auf beiden Ohren. Doch ehe sich Vera damit abfinden wollte, stets die Nummer ihrer Haftpflichtversicherung parat zu haben, wenn sie Pepe von der Leine löste, wollte sie ein Buch schreiben – über die «Missverständnisse» zwischen ihr und Pepe. Weil sie auf dem Büchermarkt nichts Passendes fand, musste sie es eben selber formulieren – und zwar gleich auch für die vielen Mensch-Hunde-Teams rundherum, die ähnliche Erfahrungen machten.

Ganz so schnell ging es dann aber doch nicht. Erst einige Jahre später, 2015, schrieb sich die Autorin, die sich hauptberuflich bei Ocean Care für den Schutz der Meere und ihrer Bewohner einsetzt, für eine ZRM-Ausbildung ein. ZRM? Heisst so viel wie «Zürcher Ressourcen Modell» und wurde von den Psychologen Maja Storch und Frank Krause begründet. ZRM soll Souveränität, Konsequenz und Gelassenheit in vielen Lebenslagen vermitteln – eines der bekanntesten und meistgekauften ZRM-Lehrbücher trägt den Titel «Machen Sie doch, was Sie wollen!». Und was, wenn nicht Souveränität, Konsequenz und Gelassenheit, empfiehlt sich im Zusammenleben mit dem Hund, wenn er denn tatsächlich unser bester Freund werden soll? So erhoffte sich Bürgi von diesem wissenschaftlich fundierten Modell Antworten auf ihre Fragen in Bezug auf das Zusammenleben mit ihrem Pepe im Speziellen und jenem so vieler anderer Menschen mit ihren auch nicht immer einfachen Vierbeinern im Allgemeinen. Und antwortete bei ihrem ersten Kontakt mit Maja Storch im Seminarraum auf die Frage, welche Zielgruppe sie denn mit den Erkenntnissen aus dem «Zürcher Ressourcen Modell» anpeilen wolle, sie habe die Hundehalter «im Auge». Die Antwort von Dr. Storch kam prompt: «Dann schreiben wir zusammen ein Buch!»

Praktisch abgesichert

Und genau dies taten Bürgi und Storch in den nächsten drei Jahren. Um ihr «akademisches Vorhaben» auch praktisch abzustützen, holten sie sich Steve Lautz ins Boot, einen Praktiker, der im sankt-gallischen Wil eine nach den Erkenntnissen von Martin Rütter konzipierte Hundeschule führt. Aus dieser Hundeschule stammen denn auch drei der vier Modellfälle, die Vera in ihrem Buch schildert und die damit das «Fleisch am Knochen» zu der von Maja Storch vorgestellten ZRM-Theorie bilden. Da ist einmal Leroy, der Vizsla, der Probleme mit anderen Hunden hat, ferner Benji, der Terrier mit dem «Hyperaktivitäts-Hypersensibilitäts-Syndrom», ausserdem Gioio, der «sensible Bolide» aus der Listenhunde-Szene, und schliesslich der schreckhafte Luca, der von Maja Storch selber zur Problemhunde-Gruppe hinzugefügt wurde. Die geneigte Leserin, der geneigte Leser wird unschwer in Leroy, Luca, Benji oder Gioio ihren beziehungsweise seinen eigenen Hund und sich selbst erkennen – «Mensch, Hund!» also ganz persönlich.

Vielleicht muss man zwei- oder dreimal drüberlesen, bis man die Parallelen richtig zieht, doch das lohnt sich allemal. Es sind eigentliche Lehrstücke, diese Hundegeschichten, und zusammen mit der ZRM-Theorie, die Maja Storch im einführenden «Knochen ohne Fleisch»-Teil vorstellt und bei der man einiges lernt über Motto-Ziel, Affektbilanz, Embodiment und darüber, wie man C- und B-Schubladen in A-Schubladen umbeigt, bilden sie das zentrale Thema. Im Team Mensch-Hund kann keiner dem andern etwas vormachen. Man muss zur Ruhe kommen. Wie schafft Mensch das? Wie wird Mensch ruhig – und kann sich selber und seinen Hund von der Leine lassen?

Die gemeinsame Sprache finden

«ZRM-Reiseführer für beste Freunde» nennt der Verlag seine Neuerscheinung. Man könnte sie auch einen Sprachführer nennen, insofern nämlich, als es eigentlich darum geht, die gemeinsame Sprache zwischen Mensch und Hund zu finden, die allzu vielen Hundehaltern leider abgeht. Wie lerne ich meinen Hund verstehen? Und wie drücke ich mich aus, damit mein Hund mich versteht?

Dass möglichst viele das schaffen, ist Vera Bürgis und ihrer Co-Autoren Anliegen. Aus diesem Grund hoffen sie, dass auch Hundeausbilder und Hundeschulen sich für ihr Buch interessieren. Dass es mit dem Lesen allein noch nicht getan ist, liegt dabei auf der Hand und auf der Pfote. Nur wer über die Lektüre hinaus auch im Alltag «dranbleibt», wird sein Ziel erreichen: der beste Freund seines Hundes zu werden.

* Annemarie Schmidt-Pfister ist selbst Hundeexpertin und züchtet Rhodesian Ridge­backs und Österreichische Pinscher.

Dienstag, 4. Oktober, 19.30 Uhr, Bibliothek Küsnacht: Vortrag Vera Bürgi «Mensch, Hund!», Anmeldung unter Telefon 044 910 80 36 oder E-Mail bibliothek@kuesnacht.ch