Er war Feindbild der Atomgegner

Erstellt von Pascal Turin |
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Einst stellte die Kernenergie eine Hoffnungsträgerin dar, heute ist sie nicht mehr mehrheitsfähig. Einer der grossen Verfechter der Atomkraft war der Zürcher Michael Kohn. Nun beleuchtet ein neues Buch sein Leben und Wirken.

Seine rhetorische Eleganz, gewürzt mit Humor, hatte sich Michael Kohn bis ins hohe Alter bewahrt. «Diese verlor der frühere Manager eines Energiekonzerns trotz schweren Anfeindungen nie», so die «Neue Zürcher Zeitung» 2015 über den ETH-Bauingenieur. Kohn, 1925 geboren, stand damals kurz vor seinem 90. Geburtstag und lebte in einer Altersresidenz am Zürichberg.

«Der Energiepapst – Wirken, Werk und Werte von Michael Kohn» heisst ein neues Buch von Karl Lüönd, einst Chefredaktor der ehemaligen Wochenzeitung «Züri- Woche». Es wirft aus verschiedenen Perspektiven einen interessanten Blick auf den Mann, der in der Schweiz wie fast kein anderer für die Atomenergie stand.

Kohn kämpfte an vorderster Front für die Atomkraft. Denn lange galt sie als umweltschonende und moderne Energiequelle. Wasserkraftwerke waren schon vor Jahrzehnten bei Naturschützern in Verruf geraten, doch der Energiebedarf stieg. Eine mögliche Lösung stellte die Atomenergie dar. Kaum Thema war hingegen die Sicherheit der Kernkraftwerke oder die Beseitigungen der Atomabfälle.

Kohn stand unter Polizeischutz

Sein Engagement brachte Kohn die Übernamen «Energiepapst» oder «Atompapst» ein – und viele Feinde. Als Direktor des Elektrounternehmens Motor-­Columbus AG wirkte er federführend beim geplanten Kernkraftwerk Kaiseraugst im Kanton Aargau. Kohn erlebte den Widerstand gegen die Kernenergie in den 70er-Jahren hautnah mit. Die Atomgegner schreckten nicht einmal vor Gewalt zurück und verübten 1979 einen Brandanschlag auf ­einen Infopavillon auf der Baustelle.

Doch auch privat musste sich Kohn fürchten. Er lebte damals in Höngg, als sein Auto in der Tiefgarage in Brand gesteckt wurde. Er stand anschliessend vorübergehend unter Polizeischutz. «Dieser bestand darin, dass ­Michael Kohn, wenn er abends in die Innenstadt ausging, von einem Polizisten bis zum Paradeplatz begleitet und dort mit dem Vertrauen erweckenden Rat ­verabschiedet wurde: ‹Passed Si uuf!›», schreibt Lüönd. Das Kernkraftwerk Kaiseraugst wurde am Ende nie gebaut, der katastrophale Super-GAU 1986 in Tschernobyl hatte die Stimmung endgültig auf die Seite der Atomkraftgegner gedreht.

Erfolgreich war Kohn hingegen mit dem Kernkraftwerkprojekt in Gösgen im Kanton Solothurn. Dort hatte man die Bevölkerung besser informiert und mit dem Solothurner SP-Bundesrat Willi Ritschard einen starken Verbündeten gewonnen, der lokal verankert war. Das Kernkraftwerk Gösgen-Däniken nahm 1979 den Betrieb auf – und läuft bis heute.

Energieminister Ritschard war es, der Kohn 1974 zum Präsidenten der Eidgenössischen Kommission für die Gesamtenergiekonzeption berufen hatte – trotz Protesten. Ritschard schrieb einem der Protestierenden: «Herr Ing. Kohn hat sich in der Vergangenheit darüber ausgewiesen, dass er das Energieproblem in umfassendem Sinne kennt.» Man könne ihm keine Voreingenommenheit vorwerfen, bevor auch nur ein Arbeitsergebnis vorliege.

«Michael Kohn erfüllte Ritschards Erwartungen, indem er nach vier Jahren nicht einfach einen Bericht mit bestimmten, autoritären Empfehlungen vorlegte, sondern nicht weniger als dreizehn mögliche Szenarien präsentierte», so Autor Lüönd, dem es gelingt, Kohn den Lesenden näher zu bringen.

Seine Wurzeln nicht vergessen

Während Kohns jüdische Wurzeln in seiner Karriere kein Thema waren, hatte er in den 1930er-Jahren in Zürich antisemitische Attacken erleben müssen. So wurden etwa die Schaufenster des Kleiderladens seines Vaters an der Langstrasse mit Plakaten beklebt, auf der die Hetzparole «Kauft nicht bei Juden!» stand. «Solche Zwischenfälle zeigten uns: Wir gehörten eben doch nicht wirklich dazu», kommentierte dies Kohn. Von 1988 bis 1992 engagierte er sich als Präsident des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebunds.

Kohn brachte sich ein Leben lang in die Energiepolitik ein. «Es schmerzte ihn, dass er dabei am Schluss, beim Entscheid zum Atomausstieg, auf der Verliererseite stand», sagte Lüönd im Interview mit dem jüdischen Wochenmagazin «Tachles». Kohn starb 2018 im Alter von 92 Jahren.

Karl Lüönd: «Der Energiepapst – Wirken, Werk und Werte von Michael Kohn». Verein für wirtschaftshistorische Studien, Zürich, 2020. www.pioniere.ch