Mit Rauch, Charme und Trost

Erstellt von Isabella Seemann |
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Die Tabatière beim Bahnhof ist eine Institution in Küsnacht. Seit 36 Jahren verkauft Verena Vollenweider dort Zigarren und versteht die Welt der Raucher. Frauen gibt es allerdings bis heute nicht viele, die Zigarren rauchen. 

Mit einer Zigarre im Mund prägte Winston Churchill die Geschickte Europas, Sherlock Holmes hätte ohne Pfeife wohl keinen Fall gelöst und vom genialen Wortkünstler Mark Twain wird das Bonmot überliefert: «Ich verzichte auf den Himmel, wenn ich dort keine Zigarren rauchen darf.» Das Klischee des Pfeifen- und Zigarrenrauchers: intellektuell, charismatisch, genussfreudig – aber auch etwas oldschool. 

Seit 36 Jahren vor Ort

Dass das Pfeifen- und Zigarrenpaffen keineswegs der Vergangenheit angehört und das Geschäft mit dem Tabak auch in Zeiten des Kampfes gegen Raucher floriert, zeigt die Tabatière an der Bahnhofstrasse in Küsnacht. Verena Vollenweider bietet seit 36 Jahren Zigarren, Tabakmischungen, allerlei Zubehör und seit einiger Zeit auch ausgewählten Rum und Whisky an. Wenn sie und ihr Team zum traditionellen Torcedor-Event einladen, bei dem ein kubanischer Tabakroller live sein Handwerk präsentiert, ist der kleine Laden rappelvoll und draussen bilden sich Trauben von Herren, älteren und jüngeren, in Nadelstreifen oder in Jeans. Alle rauchen und plaudern. Denn wo Zigarrenraucher zusammensitzen, beginnen sie im Nu Geschichten auszutauschen, entsteht eine Gemeinschaft von Geniessern.

Wobei das mit dem ordinären Rauchen von Zigaretten nichts gemein hat. Wenn sie sich eine ihrer Lieblingszigarren anzünde, dann sei das «wie ein guter Wein – eine Gaumenfreude», sagt Verena Vollenweider und macht vor, wie das geht. Mit den Fingerspitzen hält sie die Zigarre unter ihre feine Nase, atmet gleichmässig ein und aus, der Tabak erwärmt sich und dehnt sich aus, die Poren der Blätter öffnen sich und setzen das Tabak-Öl frei. «Eine schöne Zigarre berührt alle unsere Sinne», sagt die 63-Jährige und zündet mit einem zedernen Streichholz die Cohiba an. Der Blick ist nach irgendwo gerichtet. Ein Zustand der Meditation tritt ein. Ihre ganze Aufmerksamkeit gilt diesem einen Moment: dem ersten Zug ihrer Zigarre. Sie atmet tief ein. Sie hält inne. Aufreizend langsam entlässt sie den Rauch aus ihrem Mund. Versonnen blickt sie den Rauchschwaden hinterher.

Frauen und Zigarren – eine Verbindung, die Männerfantasien anregt. Doch Verena Vollenweider posiert nicht, sie tut etwas viel Provozierenderes: Sie raucht zum eigenen Vergnügen. Und das seit jungen Jahren. Weil die gebürtige Zugerin keine Lehrstelle in ihrem Traumberuf Dekorateurin fand, machte sie eine Ausbildung als Detailhandelsangestellte bei Naegeli Tabakfass, in der Filiale am Stauffacher in Zürich, wo ihr Flair für das Schöne und Sinnliche zum Tragen kam: die kostbaren Tabakdosen, der exotische Tabak aus fernen Ländern, die exquisiten Zigarettenetuis und Tischfeuerzeuge, der fein duftende Laden mit seiner individuellen Kundschaft. 

Kein Strohfeuer

Einen Kunden heiratete sie schliesslich. Weder die Liebe zum Mann noch die zur Tabakbranche war ein Strohfeuer. Sie heiratete, zog nach Erlenbach und blieb bis zu seinem Tod vor wenigen Jahren mit ihm zusammen. Und 1986, als die Tabatière zum Verkauf stand, war sie als 26-Jährige sofort Feuer und Flamme, sich damit selbstständig zu machen. Sie besuchte Tabakplantagen und Fabriken. Sie tauchte ein in die Welt des Tabaks und wurde eine Aficionada, so nennt man die leidenschaftlichen Kenner und Geniesser des braunen Goldes.

Am Anfang konnte es durchaus vorkommen, dass ältere Herren ihre Kenntnisse auf die Probe stellten, doch schon bald merkten sie, dass sie es mit einer Aficionada zu tun haben, die ihnen an Können und Wissen ebenbürtig ist.

Heute sind die meisten Kunden Stammkunden, viele sind ihr über die Jahrzehnte hinweg zu Freunden geworden. «Ein Tabakladen ist kein Laden wie jeder andere», erzählt Verena Vollenweider. Denn wer sich von ihr beraten lässt, vertraut ihr auch häufig den Grund an, weshalb er eine besondere Zigarre sucht. «Eine Zigarre ist immer eine Belohnung oder ein Trost, die man sich zu besonderen Momenten im Leben gönnt.» Die Geburt eines Kindes, die Trennung, die Beförderung, ein Todesfall – Geschichten, die Raum zum Atmen brauchen.

Churchills Liebling

In ihrem grossen, begehbaren Humidor sind Tausende Zigarren für alle Lebenslagen gelagert. Hier fällt sodann auf, dass Verena Vollenweider die Regale nicht für Angeber, sondern für Liebhaber bestückt hat. Da findet sich Ausgewähltes wie die Double Coronas von Hoyo de Monterrey, natürlich von Romeo y Julieta die Julieta No. 2, die nach Churchill, der sie liebte, benannt wurde, und Raritäten wie die majestätische Cohiba Behike, die mit 1200 Franken für 10 Stück zu Buche schlägt.

Das Geschäft positioniert sie jedoch als typischen Dorfladen, das ist ihr wichtig. Der Pfadi, der sein Zippo mit Gas auffüllt, der Handwerker, der in der Pause seinen Stumpen holt, wird genauso zuvorkommend bedient wie der Direktor, der im Bentley vorfährt. Und weil 95 Prozent ihrer Kunden Männer sind, ist sie auch ein bisschen zur Männerversteherin geworden. «Der Druck, der auf vielen Männern lastet, ist heute oft enorm», weiss sie.

Frauen, die Zigarre rauchen, sind immer noch selten. Den Grund sieht sie darin, dass Frauen sich kaum Zeit für sich nähmen, kaum einfach mal anderthalb Stunden, so lange kann das Rauchen einer Churchill dauern, nichts machen können, nur dasitzen und geniessen. «Diejenigen Damen aber, die Zigarren geniessen, sind selbstbewusst, eigenständig und eigentlich immer sehr aussergewöhnlich.» Eigenschaften, die – das wird man bei einer Begegnung mit Verena Vollenweider schnell feststellen – auch auf sie selber zu treffen.

Tabatière, Bahnhofstrasse 6, Küsnacht, www.tabatiere-kuesnacht.ch