24 000 Lastwagenfahrten von und zur ETH Hönggerberg

Erstellt von Pia Meier |
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Die ETH erstellt bald auf dem Campus Hönggerberg ein neues Physikgebäude. Das ist mit enormen Umweltbelastungen verbunden, zudem wird der Grünstreifen auf der Wolfgang-Pauli-Strasse entfernt. Warum nur so viele Lastwagenfahrten?

Die ETH möchte ihre führende Stellung im Bereich Quantenforschung weiter ausbauen und damit wichtige Grundlagen für neuartige Materialien und zukünftige Technologien schaffen, wie die ETH in einer internen Mitteilung festhält. Um die leicht störbaren Quanteneffekte auf atomarer Ebene genau untersuchen zu können, werden eine hochkomplexe In­frastruktur und eine möglichst störungsfreie Umgebung benötigt. Dies soll der Neubau des Physikgebäudes bieten. Rund zwei Drittel des gesamten Gebäudevolumens befinden sich unter dem Boden. Von Umgebungseinflüssen wie bei­spielsweise Vibrationen und Tempera­turschwankungen bestmöglich abgeschirmt, sind dort die sensiblen Labore und die Technologieplattformen platziert. Dies benötigt allerdings einen sehr grossen Aushub.

280 000 Tonnen Aushub

Im Sommer soll gemäss ETH mit den Bauarbeiten begonnen werden. Bis das Gebäude fertig erstellt ist, braucht es voraussichtlich fünf Jahre. Das erste Jahr wird allein für den Aushub der Baugrube benötigt. Diese hat die beträchtliche Grösse von ca. 75 Metern Länge, 67 Metern Breite und 28 Metern Tiefe. Dies entspricht rund 20 Tennisfeldern. Die ETH geht von rund 280 000 Tonnen Aushub aus. Für den Abtransport wird mit etwa 12 000 Lastwagenladungen gerechnet, also insgesamt 24 000 Lastwagenfahrten von und zur ETH. Die Lastwagen fahren den Campus Hönggerberg gemäss ETH vom Bucheggplatz via die Albert-Einstein-Brücke an und warten im daneben neu erstellten Wartebereich auf ihren Einsatz, um den Verkehr auf dem Hönggerberg so wenig wie möglich zu tangieren. Via Hönggerbergring fahren sie gemäss ihrem Aufruf zur Baustelle. Der Rückweg erfolgt über die auf dem Areal neu erstellte Wendeschleife wieder zurück auf den Hönggerbergring und die Albert-Einstein-Brücke. «Die Quartiere sollen bestmöglich entlastet werden», bekräftigt die ETH.

Stadt kennt LKW-Zahlen nicht

Offensichtlich ist das Lastwagenthema heikel. Ein Vergleich der Anzahl Lastwagen zum Beispiel mit der Situation auf der Hardbrücke ist nicht möglich. Die Dienstabteilung Verkehr der Stadt Zürich teilt auf Anfrage mit: «Wir verfügen nicht über diese Angaben. Wir zählen nur den motorisierten Verkehr, dabei wird nicht unterschieden zwischen PKW, Klein-LKW und LKW.» Gibt es vergleichbare Zahlen, um eine Relation zu erhalten? Bei der Grossbaustelle zur Autobahneinhausung Schwamendingen sind täglich rund 50 Lastwagenfahrten notwendig, in Spitzenzeiten waren es bis zu 160 Lastwagenfahrten. Verglichen damit sind bei der Baustelle am Hönggerberg 92 Lastwagenfahrten pro Tag nötig, also fast doppelt so viele wie im Durchschnitt in Schwamendingen.

Was noch dazukommt: Eine Umweltverträglichkeitsprüfung liegt gemäss Auskunft der ETH nicht vor. Das ist von der Rechtslage her nicht nötig, im Gegensatz etwa zu Bauprojekten privater Natur. «Als Bauherrin legt die ETH Zürich jedoch grossen Wert darauf, dass das Gebiet, Direktbetroffene aus Lehre und Forschung sowie die umliegende Nachbarschaft so wenig wie möglich von den Bauarbeiten tangiert werden», heisst es auf Anfrage. Es würden unter anderem erschütterungsarme Bauverfahren eingesetzt. Zudem gebe es eine übergeordnete Baustellen­logistik zur Entlastung der Verkehrsströme, und auch der Busverkehr könne weiter uneingeschränkt via Campus Hönggerberg verkehren. Die Bushaltestellen bleiben an den bestehenden Orten. «Wir legen zudem einen besonderen Fokus auf die Gestaltung der Umgebung. So wird im Rahmen des Neubauprojektes auch der angrenzende Flora-Ruchat-Roncati-Garten mit einem Fokus auf Biodiversität erweitert und um einen zusätzlichen Teich ergänzt», betont die ETH.

Wolfgang-Pauli-Strasse 2028 fertig

Um im Sommer mit den Bauarbeiten beginnen zu können, finden vorgängig neben dem erwähnten Lastwagenwartebereich und der Wendeschlaufe weitere bauliche Massnahmen statt. So wird der mittlere Grünstreifen auf der Wolfgang-Pauli-Strasse entfernt. «Der durchgeführte Studienauftrag zur Umgestaltung der Wolfgang-Pauli-Strasse sieht anstatt der bisherigen Mittelinsel sowieso eine beidseitige Begrünung der Strasse entlang der Gehwege vor», beschwichtigt die ETH. Die baulichen Arbeiten an der Wolfgang-Pauli-Strasse sollen im Jahr 2025 beginnen. «Bauarbeiten an der Wolfgang-Pauli-Strasse im Zusammenhang mit dem Physikneubau sind jedoch bereits ab dessen Baustart im Verlauf dieses Jahres geplant», so die ETH weiter. Dies sei notwendig, um das neue Gebäude an das bestehende Energieversorgungssystem auf dem Campus anzuschliessen, welches teilweise unterhalb der Wolfgang-Pauli-Strasse verlaufe. «Durch den vorzeitigen Rückbau der Mittelinsel kann der doppelspurige Verkehr auf der Wolfgang-Pauli-Strasse während der gesamten Bauzeit des Physikneubaus aufrechterhalten bleiben.» Anfang 2028 sollen die gesamten Arbeiten an der Wolfgang-Pauli-Strasse abgeschlossen sein. Weiter werden die Huber-Pavillons auf dem Baufeld abgerissen. Das passiert fast ab sofort und dauert bis Mai. Diese Pavillons dienten dem Departement Architektur über die letzten Jahrzehnte als Lehr- und Zeichensäle. Und nicht zuletzt müssen vereinzelte Bäume gefällt werden. «Im Rahmen der Umgebungsarbeiten sowie der Erweiterung des Flora-Ruchat-Roncanti-Gartens werden erneut verschiedene Bäume und Sträucher gepflanzt», hält die ETH fest.


Kommentar Lorenz Steinmann, Redaktor Zürichberg/Zürich Nord

Warum kein Aussichtshügel mit dem Aushubmaterial?

Dass die ETH ein neues Physikgebäude baut, ist toll. Keine Frage. Weltweit vorne dabeibleiben bei der Quantenforschung? Ja, gerne. Krass ist aber, wie uninspiriert der eigentlich auf Nachhaltigkeit bedachte Staatsbetrieb mit Umweltressourcen umgeht. Dass die ETH für den Monsterbau keine Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) braucht, ist historisch bedingt. Bei anderen ähnlich grossen Bauprojekten können die Umweltfachstellen von Stadt und Kanton in Form einer UVP mitreden, hier nicht. Auch Mitwirkungsverfahren für die Bevölkerung gab es keine. Dabei muss ein gegen 30 Meter tiefes Megaloch gebaggert werden für einen möglichst erschütterungsfreiem Bau. 280 000 Tonnen Aushub werden laut ETH mit Lastwagen weggekarrt. Wohin, ist noch unklar. Klar ist, dass es etwa 24 000 Fahrten braucht. Lärm, Erschütterungen und viele Tonnen zusätzliches CO2 sind die Folge. Dabei wäre die Uni Zürich, auf welche die ETH sonst eher herunterschaut, für einmal ein Vorbild. Nicht, wenn es um die Baupläne des Uni-Zentrums geht. Denn da plant die Uni Neubauten ebenfalls ohne Rücksicht und den Dialog mit dem Quartier. Man muss das Zeitrad schon in die 1980er-Jahre zurückdrehen. Damals wurde die Uni Irchel gebaut, ebenfalls mit riesigem Aushub. Man kam auf die originelle Idee, mit dem ausgebaggerten Material einen Aussichtshügel zu bauen, den heutigen Monte Diggelmann. Es ist jener Punkt oben beim Irchelpark, von wo aus man eine herrliche Aussicht auf das Limmat- und das Glatttal hat. Die ETH könnte sich also ein Vorbild an der Uni nehmen und eine innovative, umweltverträglichere Lösung vor Ort anpeilen. Ein Aussichtshügel bei der ETH Irchel mit Blick Richtung City und Affoltern, das wäre was! Und die ETH könnte sich rühmen, nicht nur von Nachhaltigkeit zu reden, sondern auch danach zu handeln, und zugleich für die Stadtbevölkerung etwas Attraktives schaffen. Dass die Hügelidee spät kommt, sollte die ETH nicht davon abhalten, sie umzusetzen – per Notrecht wegen des Umweltschutzes.