Alle arbeiten konzentriert, im Radio läuft Pop

Zurück

Anlässlich des 50-JahrJubiläums öffnet Züriwerk am 15. und 16. September die Türen für Besucher. Das Engagement in den Werkstätten beeindruckt.

Anlässlich des 50-JahrJubiläums öffnet Züriwerk am 15. und 16. September die Türen für Besucher. Das Engagement in den Werkstätten beeindruckt.

Joël Meyer

Es scheint ja alles ganz normal hier. Lässiger Pop läuft im Radio, es herrscht Ordnung, und es wird in aller Ruhe gearbeitet. Von einer üblichen Werkstatt ist das kaum unterscheidbar. In den Betrieben der Stiftung Züriwerk arbeiten jedoch Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen. An der Baslerstrasse in Zürich befindet sich der grösste Produktionsbetrieb der Stiftung, der rund 70 Mitarbeiter zählt. Dafür ist es gerade sehr still auf dem Areal. «Im Sommer ist es halt ein bisschen ruhiger hier. Aber das ist ja überall so», sagt Marcel Blanchet, der Produktionsleiter. Er leitet die heutige Betriebsführung.

Arbeitsplätze mit System

Dass es ruhig ist, liegt vielleicht auch daran, dass die Mitarbeiter sehr konzentriert arbeiten. Ein gewisser Berufsstolz ist bei ihnen spürbar. Sie sind Werkbänken zugeteilt, wo sie an ihren aktuellen Aufträgen arbeiten. Die Arbeitsplätze sind systematisch und logisch eingerichtet. An einer Werkbank werden faustgrosse Rollen mit einem Elektromotor versehen, die in der Fabrik des entsprechenden Auftraggebers für die Fertigung industrieller Textilverarbeitungsmaschinen benötigt werden. Die Tische sind so ausgestattet, dass die Mitarbeiter sämtliche Rohlinge und ihr Werkzeug stets griffbereit haben. Eine Anleitung, die schrittweise den Fertigungsprozess visualisiert, hängt an der Wand. Die Ausgangslage am Tisch kann einen nicht Eingeweihten nur raten lassen, wie alles zusammengefügt werden soll. Da ist eine Systematik in jeder Hinsicht willkommen. Haben Mitarbeiter Verbesserungsvorschläge, dürfen sie die in den Prozess einbringen. «Am Ende müssen wir genau wie alle anderen Betriebe auch unsere Produkte zeitgerecht und den Anforderungen entsprechend liefern», sagt Blanchet streng. Gibt es einen Weg, den Prozess zu verbessern, ist das für alle Beteiligten vorteilhaft. Die interne Qualitätskontrolle am Schluss bleibt dabei unverändert.

Die Aufträge sind sehr unterschiedlich, es gibt einmalige Projekte und Daueraufträge. Die Textilrollen werden schon länger bei Züriwerk gefertigt, wobei es sich durchschnittlich um etwa 2000 Stück im Jahr handelt. Einen anderen Dauerauftrag sieht man in der Schlosserei in der nächsten Halle. Dort werden Kommissionierwagen gewartet. Das sind die für den Transport von Waren verwendeten Rollwagen, die beidseitig mit einem Metallrost ausgestattet sind. Supermärkte verwenden diese zum Beispiel, wo sie beim Verladen von Produkten gebraucht werden. Dabei erleiden sie unvermeidliche Gebrauchsschäden, und bei Züriwerk bringen die Mitarbeiter sie wieder auf Vordermann. Ein Grossteil der Wagen in der Stadt Zürich ist schon durch die Werkstatt hier gerollt.
Internationale Projekte gibt es ebenfalls. In der Schlosserei werden grobe «Cutter» für Mixer eingeliefert, die dort ihre letzte Bearbeitung durchlaufen. Sie werden in einem speziellen Prozess geschärft, «abgezogen», und nach ihrem letzten Feinschliff weltweit für die Herstellung von Küchengeräten verwendet. Ein scharfes, abgezogenes Teil von Züriwerk befindet sich also in praktisch jeder gut ausgestatteten Küche.

Mit Leidenschaft

Auf dem Weg in eine andere Halle legt Marcel Blanchet einen kurzen Halt ein. Dass ihm die Mitarbeiter am Herzen liegen, wird spätestens jetzt klar, als er erklärt, wie viel Aufwand hinter der gesamten Organisation steckt. Blanchets Aufgabe, immer die richtige Person für den jeweiligen Job einzusetzen, ist ein psychologisches Dauer-Puzzle: «Wir habe sehr unterschiedliche Leute hier bei uns. Alle wollen arbeiten, und die meisten haben eine spezifische Leidenschaft. Kann einer seine Leidenschaft für zum Beispiel Metallarbeit ausleben, blüht er auf und setzt sich mit ganzer Kraft für sein Projekt ein. Vielleicht lebt einer in seiner eigenen Welt und redet kein Wort mit den Menschen um sich herum, aber seine Arbeit macht er dann mit einer Motivation und Genauigkeit, die in der Industrie seinesgleichen sucht.»
Nebst dem mechanischen Handwerk gibt es in den Betrieben einen grossen Versandbereich. An einem grossen Tisch sitzen einige Mitarbeiter, die mit Pinzetten ausgerüstet sind und mit ruhiger Hand jeweils ein Millimeter langes Aluminiumstäbchen in ein kleines Plastiktütchen packen. Bestandteile für Uhren? «Hätte sein können! Aber die hier werden für Gehörgeräte gebraucht», sagt Blanchet. Danach werden die Säcklein mit einer Maschine zugeschweisst und sind für den Versand bereit.

Jährlich werden um die 1,5 Millionen solcher Stäbchen verpackt und verschickt. Dabei fordert schon der Anblick vom Verpacken eines einzigen Teilchens viel Nervenstärke. Geduld ist eine Tugend, die hier offensichtlich ganzjährig geübt wird.

Dreimal der Prime Tower

Beim Mailing geht die Post ab, wenn eine Ladung Broschüren eintrifft. Meistens sind es saisonale Aufträge oder solche, die auf den Semesterbeginn folgen. Zu gewissen Zeiten treffen dann Lastwagen ein, die nur die Broschüren, Briefe und alle möglichen Druckerzeugnisse liefern. Die Mitarbeiter müssen alles auspacken, einordnen und daraus entweder standardisiert oder individualisiert alles zusammenstellen und in Briefumschläge legen.

Auf die Frage von Marcel Blanchet, wie hoch sämtliche Broschüren eines Jahres aufeinandergestapelt wären, kann nur grob spekuliert werden. Schätzungsweise etwa dreimal der Prime Tower? «Ha, gar nicht schlecht!», lacht Blanchet auf. «Es sind tatsächlich um die 350 Meter im Jahr.» Und das ist tatsächlich viel Papier für den im Verhältnis doch bescheidenen Versandbereich.

Ein neueres Projekt von Züriwerk ist der Online-Versand. Vor allem für einsteigende Online-Geschäfte, die keine eigenen Lagerräume haben oder den Versand nicht selber ausführen können oder wollen, bietet Züriwerk an, genau diese Dienste zu übernehmen. Das sogenannte «Handling» scheint erfolgreich zu sein, zumal das Interesse daran wächst. Es werden gerade Gesellschaftsspiele, kleine Fähnchen und rosarote Socken für Online-Käufer verpackt.

Etwas zum Mitnehmen

Am Ende der Führung angekommen, gibt es einige abschliessende Worte im Betriebscafé. Es liegen Kekse aus der Züriwerk-Bäckerei auf dem Tisch. Da es der 2. August ist, sind sie über den Nationalfeiertag liegen geblieben und haben ihr Haltbarkeitsdatum überschritten. Es ist nun eine Frage von Essen oder Entsorgen. Der Entscheid fällt für den Verzehr. Sicherlich ist es im allgemeinen Sinn nicht normal, etwas Abgelaufenes zu essen. Aber was ist schon normal? Die Kekse schmeckten hervorragend. Es zeigt sich somit, dass es manchmal sehr gut ist, sich nicht einfach von der Normalität einschränken zu lassen.

Tage der offenen Tür: 15. und 16. September 10–16 Uhr an der Baslerstrasse 30, 8048 Zürich, Idastrasse 8, 8003 Zürich und Seestrasse 69, 8702 Zollikon. Mehr Informationen unter www.zueriwerk.ch

Betriebe von Züriwerk im Kanton Zürich

Die Stiftung Züriwerk wurde 1967 gegründet. Ihren Ursprung findet Sie schon zehn Jahre früher, als 1957 der Verein zur Förderung Zurückgebliebener Kinder gegründet wurde. 1959 richtete der Verein eine Werkstube ein, die manuelle Serienarbeiten lehrte. Das 1964 eröffnete Heim zur Platte in Bubikon bot später noch mehr Arbeitsplätze an. 1969 wurden weitere Werkstuben an der Bertastrasse und in Küsnacht von der Stiftung aufgenommen. Bis 1975 wurde «die Platte» um ein Werkstattgebäude mit 50 Arbeitsplätzen erweitert. Durch die zunehmende Nachfrage für Arbeitsplätze ist das Angebot bis heute gewachsen.

Aktuell arbeiten 469 Personen für Züriwerk. Der Grossteil, 281 Mitarbeiter, ist in der Produktion beschäftigt. Die restlichen sind in verschiedenen Dienstleistungen tätig. In Zürich liegt die grösste Produktionsstätte in der Baslerstrasse. Mechanik, Montage, Versand und weitere Dienste laufen hier. Im Hunziker-Areal gibt es Recycling-Arbeiten und Werkateliers. In der Idastrasse und in Zollikon bestehen ebenfalls Versandbetriebe, und in Wallisellen befindet sich eine Bäckerei. Im Zürcher Oberland gibt es in Bubikon eine mit der Baslerstrasse vergleichbare Produktionsstätte, wo es auch Leistungen in der Haus- und Landwirtschaft, der Gastronomie und im Verkauf gibt. Zudem gibt es in Grünigen ergänzend Holzverarbeitung und weitere Werkateliers. (jjm.)