Als Altstetten eine Skifabrik hatte und Langlauf-Hochburg war

Erstellt von Werner Felix |
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Viele Nationalmannschaften hatten sich mit Langlaufski von Edi Müller ausgerüstet, der an der Badenerstrasse mit einer eigenen Produktion begonnen hatte. Nun entsteht hier eine Überbauung mit 72 Wohnungen.

Wer erinnert sich noch an die Skifabrik Müller an der Badenerstrasse in Altstetten? Daneben befand sich das Restaurant «Roter Stein» an der Herrligstrasse, das heute noch existiert. Die Skifabrik wurde von Edi Müller in der Bauschreinerei der Gebrüder Müller betrieben. Er war in den 40er-Jahren ein erfolgreicher Langläufer und begann dann in der familieneigenen Schreinerei mit seiner eigenen Skifabrikation. Langlauf war damals eine Randsportart und in der Öffentlichkeit kaum bekannt. Im Ski Club Altstetten scharte Edi Müller eine Gruppe von Langläufern um sich. Darunter befanden sich bekannte Namen wie der bärenstarke Landwirt Fritz Kocher aus Wald, der elegante Läufer Werner Zwingli aus Meilen, aber auch der Sport- und Fernsehmoderator Werner Vetterli und andere mehr. Altstetten war damals eine Langlauf–Hochburg und feierte viele Schweizer-Meister-Titel und Teilnahmen an Olympiaden, 1952 in Falun, 1956 in Cortina d’Ampezzo und 1960 in Squaw Valley.

Trainings im Altstetter Wald

Für uns Jugendliche waren diese Sportskanonen in den 50er-Jahren eigentliche Vorbilder und Edi Müller unsere väterliche Trainerfigur. Die Vorbereitung auf die Saison begann im Herbst, jeweils sonntags mit Trainings im Altstetter Wald und endete manchmal in der improvisierten Sauna der Skifabrik im aufgeheizten Trocknungsraum des Holzlagers. Im Winter verlagerten sich die Schneetrainings nach Einsiedeln bei Trachslau oder bei schneearmen Wintern auch bis nach Andermatt. Es gab damals keine Spurmaschinen und auch die Skating-Technik war unbekannt. Wir waren eine verschworene Gemeinschaft von jungen Langläufern und mussten unsere Spuren selber in den weichen Schnee treten. Zuerst die Skispur und anschliessend daneben die Stockspur.
Edi Müller war ein begnadeter Lehrer und brachte uns den rhythmischen Tanz auf den schmalen Langlaufski bei. In der Wintersaison bestritten wir viele Langlaufrennen, zum Beispiel in Einsiedeln, im Jura oder in Lichtenstein. Auch die Albisstafette war nebst den regionalen und schweizerischen Meisterschaften immer ein Höhepunkt der Saison.

Edi Müller war nicht nur ein begeisterter Langlauflehrer, sondern auch ein innovativer Skifabrikant. Er tüftelte immer wieder an neuen Methoden und orientierte sich an den führenden Herstellern aus Skandinavien. Beweis dafür waren die aufgesägten Järvinen-Ski der Konkurrenz aus Finnland, zum Studium des ­inneren Aufbaues. Alle Arbeitsschritte erforderten viel Handarbeit, wobei wir Junioren in der Freizeit oft aushelfen durften. Die Fertigstellung der Produktion auf den Winter bedeutete grossen Zeitdruck und Hektik. Infolge der knappen Platzverhältnisse wurden die Räumlichkeiten tagsüber meistens durch die Bauschreinerei belegt, und die Skifabrikation musste auf die Abend- und Nachtstunden verlegt werden. Dabei flogen oft die Fetzen und manchmal auch Holzklötze zwischen den Brüdern Edi und Ernst Müller.

Später baute Edi Müller 1964 eine ­eigene Skifabrik und verlegte die Produktion nach Einsiedeln. Seine qualitativ hochstehenden Langlaufski waren unter den Läufern sehr begehrt und behaupteten sich gegen die starke Konkurrenz aus Skandinavien. Viele Nationalmannschaften aus ganz Europa und bis nach ­Russland haben sich damit ausgerüstet. Mittlerweile entwickelte sich der Langlaufsport nach den Erfolgen in Sapporo 1972 zum eigentlichen Volkssport. Die Schweizer Langläufer gewannen damals überraschend die Bronzemedaille.

Bereits 1976 wurden am Engadin Skimarathon über 10 000 Teilnehmer gezählt. In dieser Zeit entwickelte sich der Langlaufsport rasant, und die Skifabrik Müller produzierte Langlaufski für jegliche Bedürfnisse, immer auf dem letzten Stand der Technik. Infolge der immer grösseren Konkurrenz und der mangelnden Nachfolgelösung wurde die Fabrikation um die Jahrhundertwende aufgegeben, und damit hat die Geschichte einer einst erfolgreichen Skifabrikation, die in Altstetten ihren Anfang genommen hatte, ihr Ende gefunden.
Man fragte sich in Altstetten oft, was mit dem heruntergekommenen Areal der ehemaligen Skifabrik Müller geschehen wird. Nun steht das Baugespann für eine Neuüberbauung. Als Bauherr tritt das Familienunternehmen Senn auf, ein Immobilienentwickler aus St. Gallen. Die Unternehmung ist seit 1995 auf dem Markt und zeichnet sich aus durch innovative und qualitativ hochstehende Projekte. So ist es nicht verwunderlich, dass die Architekten Herzog & de Meuron aus Basel für das Projekt verantwortlich zeichnen. Dieses Büro muss man nicht vorstellen, denn es handelt sich um die international bekanntesten Schweizer Architekten.

Mit begrüntem Innenhof

An der Badenerstrasse soll an Stelle der ehemaligen Skifabrik eine differenzierte Wohnüberbauung ent­stehen mit einem markanten Hochbau an der Ecke Badener-/Segnesstrasse. Dabei weist die geplante kleinteilige Überbauung überdurchschnittliche Qualitäten auf. Es sollen insgesamt 72 Wohnungen erstellt werden um einen begrünten Innenhof mit teilweise gewerblichen Nutzungen für Verkauf und Gastronomie im Erdgeschoss. Damit entsteht ein für das Quartier prägender Kontrapunkt beim Lindenplatz gegenüber dem Hotel Spirgarten des Architekten Werner Stücheli und der schönen Altersresidenz des Architektenduos Miller & Maranta am Kopf der Spirgartenstrasse.