Als das Quartier gegen die SBB aufbegehrte

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Vor 20 Jahren gab es im Industriequartier einen breiten Widerstand gegen die geplante Verbreiterung des Wipkingerviaduktes. Das führte zu einer nachhaltigen Weichenstellung: Zürich erhält den Durchgangsbahnhof.

Vor 20 Jahren gab es im Industriequartier einen breiten Widerstand gegen die geplante Verbreiterung des Wipkingerviaduktes. Das führte zu einer nachhaltigen Weichenstellung: Zürich erhält den Durchgangsbahnhof.

Robert Schönbächler *

Vor 20 Jahren beschäftigen die Bevölkerung im Industriequartier die Bahnausbauten im sogenannten «Knoten Zürich». Konkret sollen die Weichen für die Zukunft gestellt werden. Bahn 2000 führt mehr Züge Richtung Ostschweiz und Schaffhausen. Das braucht zwei zusätzliche Gleise auf der Wipkingerlinie und für die Anwohnerinnen und Anwohner besseren Schutz vor Lärm.

1989: Aufhebung der Lettenlinie

Nachdem die eidgenössischen Räte im Oktober 1982 die endgültige Stilllegung der Strecke Zürich HB–Zürich-Letten–Zürich-Stadelhofen auf den Zeitpunkt der Inbetriebnahme der S-Bahn beschliessen, wird am 28. Mai 1989 um 0.12 Uhr der Bahnhof Letten nach dem letzten Zug aufgehoben. 105 Jahre nach der Betriebseröffnung der Linie HB–Letten–Stadelhofen beginnen die quartierpolitischen Diskussionen um die Umnutzungspläne des Lettenareals, des Bahnhofgebäudes und des Lettenviaduktes. Die SBB ihrerseits starten in der Folge das Projekt «Bahn 2000», um unter anderem die Zufahrten für das Bahn-Nervenzentrum «Zürich» neu zu gliedern und die Verkehrsströme zu entflechten. Zu diesen SBB-Ausbauvorhaben gehören auch zwei zusätzliche Gleise auf dem Wipkingerviadukt. Nach Bekanntgabe des Zuschlages für das Projekt «Fil Rouge» zum Ausbau und zur Sanierung der Viaduktanlagen formiert sich breiter Widerstand im Industriequartier.
Der Unmut der Kreis-5-Bevölkerung manifestiert sich am 7. Mai 1998 an einer Versammlung im Pfarreisaal St. Josef. Über 200 Personen drängen in den Saal; ein Teil des Publikums steht an den Wänden und in den Vorräumen. Am 12. Oktober 1998 übergibt der Verein «Verrückt das Viadükt», welchen der heutige Kantonsrat Markus Bischoff (AL) präsidiert, dem Stadtrat eine Petition mit 4528 Unterschriften. Die Unterzeichner verlangen unter anderem den Verzicht auf die monströsen Viadukt-Ausbaupläne. Auch der Gemeinderat ist gegen die östliche Viadukterweiterung, nur wenige Meter vor den Haustüren von Hunderten von Wohnungen und zulasten eines Teils der Josefwiese. Ausserdem werden gegen diesen Viaduktausbau rund 150 Einsprachen eingereicht. Auch die Stadt fordert Alternativprojekte.

Runder Tisch Wipkingerviadukt

Am 29. April 1999 erfolgte dann die erste Sitzung «Runder Tisch Wipkingerviadukt» unter der Leitung von Stadtingenieur Urs Spinnler und der Protokollführung von Paul Stopper. Anwohner, Politiker, Vertreter der Quartiervereine, Baugenossenschaften, Gewerbeverein, VCS, Heimatschutz usw. fordern andere Lösungen und schlagen Alternativen vor. Eine Idee des Verkehrsplaners Paul Stopper setzt sich in der Folge durch: Am 23. September 2001 ergibt die kantonale Volksabstimmung mit 81,9% Jas eine Zustimmung zum neuen Durchgangsbahnhof unter dem Hauptbahnhof. Das hervorragende Ergebnis ist das Resultat, dass dieses nachhaltige Projekt vom Volk selbst lanciert wurde; Ausdruck einer Sympathiewelle für den neuen Bahnhof und für den langjährigen Widerstand der Bevölkerung. Aus heutiger Sicht war es eine äusserst nachhaltige Weichenstellung: Zürich hat einen neuen Durchgangsbahnhof und keine Erhöhung und Verbreiterung des Wipkingerviaduktes sowie keinen Flügelbahnhof bei der Sihlpost erhalten – das dritte und vierte Gleis des Wipkingerviaduktes befindet sich nun im Weinbergtunnel!

*Alt CVP-Gemeinderat Robert Schönbächler ist dem Kreis 5 und dem Bahnverkehr eng verbunden. Er schrieb u. a. die Neujahrsblätter «Der Eisenbahn-Viadukt von Aussersihl nach Wipkingen» und «Kreis 5: Brücken, Viadukte, Unterführungen und der öffentliche Verkehr».