Als Standesläufer auf die letzte Tour

Erstellt von Karin Steiner |
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Am letzten Arbeitstag bei der Post erfüllte sich Aldo Pfäffli einen grossen Wunsch. In der Uniform eines Zürcher Standesläufers aus dem 15. Jahrhundert ging er auf die letzte Zustelltour im Kreis 6 und verteilte eingeschriebene Briefe. Vor allem der Speer zog die Aufmerksamkeit der Passanten auf sich.

sagier lachend im Tram. Sprüche dieser Art bekam Aldo Pfäffli an diesem letzten Arbeitstag viele zu hören, aber alle waren durchaus positiver und freundlicher Art. «Manche Leute haben mich angesprochen und interessierten sich dafür, was diese Uniform bedeutet, woher sie kommt und wieso ich sie trage. Einige wollten sogar ein Selfie mit mir machen», erzählt der frischgebackene Rentner strahlend. «Auch die Kundschaft fand meinen Auftritt ganz originell. Mit vielen gab es noch nette Gespräche zum Abschied. Es war ein tolles Erlebnis.»

Postboten des Mittelalters

Schon seit langem hegte Aldo Pfäffli den Wunsch, an seinem letzten Arbeitstag bei der Post in der Kleidung eines Zürcher Standesläufers aus dem 15. Jahrhundert auf Tour zu gehen. Denn schliesslich waren das quasi die Vorgänger der heutigen Postboten. «Im Mittelalter, als die meisten Menschen weder lesen noch schreiben konnten, gab es noch kein Postwesen», erklärt Aldo Pfäffli. «Wichtige Dokumente wurden von Boten entweder zu Fuss oder auf dem Pferd von Ort zu Ort gebracht.»

Die Standesläufer waren damals wichtige Amtspersonen. Sie repräsentierten die Macht und das Ansehen des Herrn, in dessen Dienst und Auftrag sie reisten. Daher trugen sie auch besondere Wahrzeichen, zum Beispiel das Wappen ihres Standes oder Kantons, und auch die Kleidung war in den Standesfarben gehalten. Die Botschaften, die sie brachten, waren in hölzerne oder silberne Büchsen eingeschlossen. Diese Briefbüchsen selbst ­waren ebenfalls mit den Standesfarben versehen. «Da man wusste, dass die Dokumente oft wichtige und brisante Informationen enthielten, waren die Läufer an Leib und Leben bedroht, denn damals war man nicht zimperlich und ein Menschenleben galt nicht viel. Deshalb waren die Standesläufer zusätzlich mit Dolch und Speer bewaffnet.»

Schwierige Beschaffung

Als Aldo Pfäffli einmal im Internet ein Bild eines Zürcher Standesläufers sah, stand sein Entschluss fest, sich diese Kleidung zu beschaffen. Doch das war nicht ganz einfach. Einige Bestandteile der traditionellen Kleidung fand er in den zahlreichen Mittelaltershops, die mit der immer beliebter werdenden und wachsenden Mittelalterszene nach und nach entstanden sind, zum Beispiel Speer, Dolch, ­Federhut, Schuhe und Büchse. «Die ­Kleidung habe ich originalgetreu nachmachen lassen», erzählt er. Und das alles für den einen Tag? «Ja, dieser Tag war mir sehr wichtig. Aber ich werde die Kleidung natürlich aufbewahren. Ich kann mir zum Beispiel vorstellen, später einmal eine Schaufensterpuppe zu kaufen und sie mit der Uniform bekleidet im Wohnzimmer aufzustellen.»

Ein Leben für die Post

Sein Leben lang hat Aldo Pfäffli bei der Post gearbeitet. Die Lehre als Briefträger machte er im thurgauischen Sulgen. Später kam er nach Zürich auf das Bahnpostamt und arbeitete 23 Jahre lang auf der Sihlpost im Verteilzentrum. «Dann wurde ich umgeteilt auf die Zustellung», erzählt Aldo Pfäffli. Lange Zeit war der in Zürich West wohnende Briefträger im Kreis 6 unterwegs. «Das hat mir immer sehr gut gefallen, weil man viel Kontakt zu den verschiedensten Menschen hat.»

Unfall mit Folgen

Doch die harte körperliche Arbeit bei jedem Wetter machte ihm immer mehr zu schaffen. «Ich leide an den Folgen eines schweren Unfalls. Ich habe sechs Schrauben im Rücken, und das wird mit zunehmendem Alter immer beschwerlicher.» Die dauernden Schmerzen schlugen sich auch auf seine Psyche nieder, und so ­beschloss er, nach 36 Jahren mit 53 in Pension zu gehen. «Lange bemühte ich mich noch um einen sitzenden Job, aber in meinem Alter ist das schwierig. Man will jüngere Leute einstellen.» Seine Idee, als Zürcher Standesläufer auf die letzte Tour zu gehen, habe auch bei seinen Vorgesetzten Anklang gefunden. «Sie fanden es witzig und haben mich unterstützt.»

Neues Leben in Panama

Wer mit 53 Jahren in Rente geht, muss mit grossen finanziellen Einbussen rechnen. «Das Leben in der Schweiz ist teuer. Deshalb habe ich beschlossen, gemeinsam mit meiner Freundin nach Panama auszuwandern. Dort können wir mit unserer Rente gut leben.» Vor dem tropischen Klima, das dort herrscht, fürchtet er sich nicht: «Ich habe lieber warm als kalt.» Mit im Gepäck ist natürlich die Uniform des Zürcher Standesläufers. «Ob ich den Speer und den Dolch mitnehmen darf, ist noch ungewiss, das muss ich erst abklären.» Aber dort soll sie einen festen Platz in der neuen Wohnung bekommen und ihn für immer an seinen letzten Arbeitstag erinnern. Auf was Aldo Pfäffli auch niemals verzichten würde, ist seine Harley Davidson, die er 1993 gekauft hat und die seither seine ständige Begleiterin in der Freizeit ist. Damit will er in sein neues Leben starten und die Heimat erkunden.