Annelies Hegnauer: «Nicht alle bekamen das gewünschte Ressort

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Annelies Hegnauer ist die neue Kirchenpflegepräsidentin von Zürich. Im «Turmgespräch extra» spricht sie über ihre Vermittlungsgespräche mit den Ressortleitenden, schwierige Videokonferenzen und den rasch gefällten Entscheid, Gewerbemieten zu stunden.

Als erste Kirchenpflegepräsidentin der 80 000 reformierten Zürcherinnen und Zürcher hat Annelies Hegnauer kein leichtes Amt angetreten am 1. April 2020. Dazu kommt die Ungewissheit wegen des Coronavirus. Das erste Turmgespräch des Jahres findet wegen der weltweiten Pandemie verspätet und im Garten von Annelies Hegnauers Eigenheim in Zürich-Schwamendingen statt. Immerhin: Es wird gefilmt und das Video ist via Internetkanal Youtube verfügbar.
Hegnauer betont einleitend, dass ihr Wahlslogan «unsere Präsidentin» keine Worthülse sei. «Seit ich Präsidentin bin, bekam ich schon sehr viele Rückmeldungen. Viele Anliegen gelangen direkt zu mir.» Sie sei das Einfallstor, «und das finde ich schön», so die gebürtige Herisauerin. Doch der direkte Kontakt habe auch Tücken: «Gemeindemitglieder hoffen, dass ich alle ihre Probleme lösen kann, was natürlich nicht stimmt», schmunzelt Hegnauer. «Aber ich kann Lösungen auf der operativen Ebene in die Wege leiten.» Hegnauer ist froh, dass die Ressortgespräche mit den sechs gewählten Kirchenpflegerinnen und -pflegern vor dem Corona-Lockdown stattfinden konnten. «Ich lud alle zu einem persönlichen Gespräch ein und fragte sie nach ihren Wunschressorts.» Fazit: Es brauchte viele Gespräche, und nicht alle bekamen jenes Ressort, das sie wollten. Aber: Alle können sich laut Hegnauer nun mit den Lösungen identifizieren.

Zoff programmiert?
Wie die Gruppe mit nicht wenigen Alphatierchen innerhalb der Exekutive funktioniert, wird sich weisen. Hegnauer hat sich in einer emotionalen Ausmarchung mit zweitem Wahlgang am 9. Februar gegen Res Peter durchgesetzt. Michael Braunschweig, dritter Aspirant auf das Präsidium, verzichtete auf den 2. Wahlgang. Braunschweig hat nun das Ressort Mitglieder, Kommunikation und Gesellschaftspolitik gefasst, Res Peter Finanzen und IT. Das anspruchsvollere, prestigeträchtigere Ressort Immobilien managt weiterhin Michael Hauser, Architekt und ehemaliger Stadtbaumeister von Winterthur.

«Ich war sehr vorsichtig»
Die Corona-Pandemie bedeutete auch für Annelies Hegnauer eine grosse Zäsur. «Ich war sehr vorsichtig, habe mich fast nichts getraut» sagt Hegnauer (65). «Meine Arbeitsweise lebt von der persönlichen Begegnung, das war für mich also nicht einfach.» Denn nach dem allgemeinen Lockdown am 16. März fanden Treffen fast nur noch per Videokonferenz statt.

Da sein für 450 Mitarbeitende
Zudem ist Hegnauer neben ihrer Funktion als Kirchenpflegepräsidentin auch Leiterin des Corona-Krisenstabs. «Das ist momentan die grössere Aufgabe. 450 Mitarbeitende der reformierten Kirche wollten rasch wissen, wie es weitergeht, wie es mit dem Lohn ist, welche Anlässe noch möglich sind und so weiter. Die Verunsicherung war gross.» Ziel war es, intern Sicherheit auszustrahlen und dass sich die Kirche als grosszügiger Partner positionieren könne, so Hegnauer.
«Hattet ihr denn in der Krise mehr Kompetenzen, um schneller zu reagieren?», hakt Guggenbühl nach. «Ja, alles, was mit Corona zu tun hat und pressiert, können wir entscheiden, alles, was mit dem Regelbetrieb zu tun hat, geben wir in die Kirchenpflege.» Ein Beispiel sei die Frage, ob die Mieter in den kircheneigenen Liegenschaften weiter Miete zahlen oder nicht. «Über diesen Einnahmeverlust kann nicht der Krisenstab entscheiden, je nach Höhe muss das gar vor das Parlament. Momentan wird die Miete gestundet. Sie müssen also im Moment nichts bezahlen. Alles Weitere entscheiden die Gremien», erklärt Hegnauer.

Nachfolgerin von Andreas Hurter
«Wie ist denn der Einstand gelungen?», erkundigt sich David Guggenbühl. «Andreas Hurter, mein Vorgänger, hat mir bei einigen Sitzungen sehr vieles übergeben. Ich hatte also einen guten Start.»
Hurter hat den Verband die letzten zwei Jahre im Mandatsverhältnis geführt. Er zog seine Kandidatur fürs Präsidium im Sommer 2019 eher überraschend zurück.
Für Hegnauer eine ziemliche Herausforderung sind die Sitzungen. «Auf der Internetplattform Microsoft Teams treffen sich jeweils 14 Personen. Ich moderiere die Sitzungen von jeweils höchstens zweieinhalb Stunden. Mehr ist physisch, psychisch und mental nicht zu verarbeiten», ist Hegnauer überzeugt. Dabei gelte es, den Überblick zu bewahren. «Wenn sich zum Beispiel jemand eine Stunde nicht zu Wort gemeldet hat, frage ich nach, wie es ihm geht. Denn bei Microsoft Teams sieht man jeweils nur die vier, die zuletzt geredet haben, die anderen verschwinden.» Dies sei der grosse Unterschied zu physischen Sitzungen.

Neue Werte hinüberretten
«Videokonferenzen bringen Effizienzgewinn, aber das Zwischenmenschliche geht verloren, so wie auch das Kreative, dafür gehen Absprachen besser», so das Urteil von David Guggenbühl, der wie Hegnauer Kommunikationsfachmann ist. Hegnauer ergänzt, dass es kein «Geschwätz durcheinander» gebe. «Die Leute sind sehr viel disziplinierter.» Das sei zumindest ein Vorteil von Corona und das könne man mitnehmen «ins normale Leben nach Corona: Bitte redet nacheinander und nicht miteinander.»
Hegnauer hofft, dass man einige neue Werte hinüberrettet. Ihre Erfahrung ist, dass man schnell vergesse und wieder ins alte Fahrwasser hineinkomme. Beunruhigt wegen der Zukunft ist sie aber nicht. «Ich freue mich darauf, wieder aus diesem Tal des Leidens in einen positiven Groove zu kommen.» Sie ist sich sicher: «Die Kirche hat in der Krise bewiesen, dass sie für die Menschen da ist.» (ls.)