Damit hatte Schuhmacher Koçoglu nicht gerechnet. Acht Monate nachdem er sich in Hottingen vor seinen Laden setzte, erhielt er einen Strafbefehl.
Dass ein Schuhmacher nicht vor seinen Laden sitzen darf, will Ferit Koçoglu nicht in den Kopf. Auch ist er der Meinung, der Polizist habe ihm eine Busse nur angedroht, für den Fall, dass er erneut gegen das Gesetz verstosse. Im Juni 2018 war das, als Koçoglu einen Ständer mit Lederschnüren vor seinen «Schuhservice Ferit» an der Asylstrasse 66 gestellt hatte sowie ein Tischchen und zwei Stühle. Die «fahrlässige Benützung des öffentlichen Grundes» kostete ihn 190 Franken für Busse, Pauschalen und für einige Fotos.
Die Stühle hatte Koçoglu von seinem Vermieter geschenkt erhalten. «Am Tag bevor die Polizei vorbeikam», sagt er. In der Stadt war es warm. Der Juni fühlte sich wie Sommer an. Koçoglu stellte deshalb die Stühle und ein Tischchen nach draussen. Um abzusitzen und einen Kaffee oder Tee zu trinken: alleine, mit der Nachbarin oder einem Kunden. Frisch ist die Luft an der Asylstrasse zwar selten, aber vor dem Laden war es immerhin kühler als drinnen.
Das Schuhmacherhandwerk hat der 67-jährige Koçoglu in Istanbul gelernt. Ab 1982 arbeitete er im Toggenburg. Zur vollen Zufriedenheit seines Chefs, davon zeugen Plaketten und Urkunden im Schaufenster des «Schuhservice Ferit». Nach einiger Zeit machte sich Koçoglu in Wattwil selbstständig. Später musste er das Geschäft wegen anhaltender Rückenschmerzen verkaufen. Er machte eine Therapie und suchte nach einer leichteren Arbeit, fand aber keine. Vor 13 Jahren übernahm er darum in Hottingen den Laden eines Schuhmachers, der in Pension ging.
Anzeige eines Bekannten
Das Geschäft laufe gut, obwohl es im nahen Umkreis vier oder fünf weitere Schuhmacher gebe, sagt Koçoglu. Seine Kundinnen und Kunden stammen mehrheitlich aus dem Quartier, einige kommen auch von weiter her. Vielleicht weil Koçoglu nicht bloss Absätze ersetzt, sondern auch fachmännische Reparaturen vorzunehmen weiss. «Ferit Koçoglu kennt unglaublich viele Menschen, und seine Arbeit wird sehr geschätzt», sagt sein Vermieter Ueli Birnstiel. Er hält es für unverhältnismässig, dass Koçoglu für seinen unwissentlich begangenen einmaligen Verstoss bestraft wird.
Anlass für den Rapport der Stadtpolizei war eine private Anzeige. Koçoglu und Birnstiel kennen den Urheber. Warum sich dieser nicht direkt beim Schuhmacher gemeldet hat, wissen sie hingegen nicht. Koçoglu räumte Stühle und Tischchen sofort weg und holte für den Verkaufsständer eine Bewilligung. Ein halber Quadratmeter Trottoir kostet netto 145 Franken pro Jahr, brutto sind es 251 Franken. Für die Stühle und das Tischchen hat sich Koçoglu bisher nicht um eine Bewilligung bemüht. Er kann es gleich bleiben lassen. Detailhändlern könnten lediglich Warenauslagen bewilligt werden, alles andere sei nicht bewilligungsfähig, teilt die Stadtpolizei auf Anfrage mit. Insgesamt gebe es in der Stadt 400 bewilligte Warenauslagen. 2018 sei es in diesem Zusammenhang zu 30 Verzeigungen gekommen.
Bei einer Anzeige sei die Polizei verpflichtet, den Sachverhalt zu prüfen, sagt Marco Cortesi, Mediensprecher der Stadtpolizei. Spielraum dafür, eine Busse anzudrohen oder von einer Anzeige abzusehen, gebe es keinen. «Die Polizei hat Herrn Koçoglu mitgeteilt, er müsse mit einer Busse rechnen», sagt Cortesi. Möglicherweise habe Koçoglu etwas falsch verstanden. Warum es so lange gedauert habe, bis das Stadtrichteramt den Strafbefehl ausgestellt habe, kann sich Cortesi nicht erklären. Die Stadtpolizei habe ihren Rapport schon nach wenigen Tagen weitergeleitet.
Koçoglu hat den Strafbefehl Ende Februar 2019 erhalten und dagegen zuerst Einsprache erhoben. Weil er den Sachverhalt aber nicht bestritt, riet ihm das Stadtrichteramt, die Einsprache zurückzuziehen. Diese könne ihn teuer zu stehen kommen. Davon hat sich der Schuhmacher überzeugen lassen. Warum er während der Öffnungszeiten nicht vor seinen Laden sitzen darf, versteht Koçoglu allerdings nach wie vor nicht ganz. «Die Stühle und das Tischchen liessen sich doch schnell wegräumen», sagt er und hebt fragend die Hände. (dh./Foto: dh.)
