«Aus Corona resultieren auch körperliche Beschwerden»

Erstellt von Manuela Moser |
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In die Massagepraxis von Brigitte Wettstein aus Küsnacht kommen seit der Pandemie vor allem jüngere Menschen. Viele von ihnen zahlen den Preis des Homeoffice: verspannter Nacken, Schmerzen in den Schultern, emotionale Isolation.

Brigitte Wettstein, wie geht es Ihnen während dieser langen, nicht enden wollenden Corona-Zeit?

Es geht mir gut. Ich fühle mich sehr privilegiert, in der Schweiz und in Küsnacht leben zu dürfen. Ich bin dankbar, dass meine Familie und meine Lieben gesund sind und ich nach wie vor arbeiten darf.

Was ist für Sie anders als noch in der ersten Welle?

Die Angst zu Beginn der Coronazeit wurde bei mir durch einen ruhigen Pragmatismus abgelöst. Wir wissen mehr über das Virus, ich vertraue unseren Behörden und muss nicht mehr um meine Existenz und die meiner Familie bangen. Auch die Tatsache, dass in dieser kurzen Zeit geprüfte und einsatzbereite Impfstoffe entwickelt werden konnten: Wenn das kein Lichtblick ist! Dass wir keine wirkliche Sicherheit und Kontrolle haben können im Leben ­— diese Lektion habe ich bereits aus der Zeit einer schweren Krankheit gelernt. Scheint sie anfangs beängstigend, entpuppt sie sich schliesslich als befreiend und auch als Kraft dafür, den Moment, das, was ist, zu geniessen und dankbar zu sein. Dankbar sein, glücklich sein — das sind oft bewusste Entscheidungen.

Was haben Sie noch aus der ersten Welle gelernt?

Das Meditieren hat mir gutgetan, ebenso wie Neues zu lernen. Ich mache gerade eine Ausbildung in Schmerztherapie nach Liebscher & Bracht. Auch die Akzeptanz dessen, was im Moment nicht zu ändern ist, und den Fokus auf das zu lenken, was geht und Freude macht, gibt mir Energie. Dann Kreativität, wie immer sie geartet ist. Und Bewegung in der Natur. Was mir auch geholfen hat, den Mut nicht zu verlieren, ist die Solidarität, die ich spüren durfte, zum Beispiel seitens meines Vermieters in der Praxis in der Zeit des Lockdowns.

Nun haben Sie als Masseurin ja auch einen schönen Beruf und können den Menschen auch so Gutes tun ...

Auf jeden Fall. Bei mir muss sich auch niemand verstellen. Das tut allen gut und motiviert letztlich auch mich.

Was sind für Sie die schlimmsten Folgen aus dieser Pandemie?

Ich habe das Glück, mich nicht beklagen zu müssen, trotz Pandemie. Natürlich fehlt mir das Zusammensein mit Familie und Freunden, und es ist bedauerlich, dass Anlässe, auf die wir in den Vereinen wie zum Beispiel der KulturBar Küsnacht oder dem Zürcher Konzertchor so lange hingearbeitet haben, abgesagt werden mussten. Doch das sind alles vorübergehende Einschränkungen, die ich gut verkraften kann. Bedauerlich finde ich, wie sehr Corona polarisiert.

Wie meinen Sie das?

In Bezug auf die Politik, also das Vertrauen oder die Kritik in den Bund. Und natürlich die Impffrage.

Gibt es gute Folgen?

Ich hoffe es: die Erkenntnis, dass alles mit allem zusammenhängt und es auf jeden von uns ankommt. Dass Menschlichkeit, körperliche, geistige und seelische Gesundheit und der Schutz unserer Erde wichtiger sind als alles andere. Das Überdenken dessen, was wir wirklich brauchen, was uns wirklich gut tut — oder eben nicht. Ein einfacheres, entschleunigtes Leben, das uns Zeit lässt, um vom Tun auch mal ins Sein zu kommen. Ich hoffe auch, dass wir bescheidener werden. Und dankbarer.

Haben Sie in der Krise mehr Klientinnen und Klienten, die zu Ihnen kommen?

Meine Kundschaft hat sich in der Corona-Zeit gewandelt. Menschen ab zirka 60 Jahren bleiben mehrheitlich fern, doch haben viele nun im Homeoffice tätigen jüngeren und jungen Menschen durch ihr Daheimsein meine Praxis und die Wirkung der meditativen kalifornischen Esalen-Massage entdeckt. Sie hilft, tief zu entspannen, Stress zu vermindern und durch fokussierte Eigenwahrnehmung den unendlichen Gedankenstrom zu beruhigen. Die Nachfrage war bis zum mutierten Virus und dem Shutdown erfreulich, da stockte es zwischenzeitlich.

Was beschäftigt die Klienten am meisten?

Die Isolation und die damit einhergehende Einsamkeit ist ein grosses Thema. Vieles, was Freude machte, fällt weg. Stress — auch emotionaler Stress —, Existenz- und Angstzustände, daraus resultierende Schlaflosigkeit und Depressionen sind deshalb ebenso grosse Themen. Das Urvertrauen, das Gefühl der Sicherheit wurde einem Erdbeben ausgesetzt. Kommt dazu, dass stundenlanges Sitzen am Bildschirm sowie mangelnde Bewegung nicht guttun, aber auch fehlende Nähe, Geborgenheit und Berührung. Daraus resultieren viele körperliche Beschwerden wie verspannte Nacken und Schultern, Rücken- und Kopfschmerzen.

Wird Corona unsere Gesellschaft verändern, was meinen Sie?

Es wäre schön, wenn die in der Pandemie gewonnenen Erkenntnisse unsere Gesellschaft nachhaltig verändern und als Startrampe für wunderbare Innovationen wirken könnten und wir weiterhin lokaler, sorgfältiger, bewusster einkaufen und reisen — oder eben nicht reisen. Es wäre schön, wenn das Gesundheitspersonal mehr geschätzt und deshalb gerecht entlöhnt würde. Es wäre schön, wenn das kollektive menschliche Bewusstsein weiterhin genauso grosse Fortschritte machen würde wie die Entwicklungen in Technik und Wissenschaft.