Das Lampenfieber der Ankleiderin hinter dem Vorhang

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Der Applaus ist das Lebenselixier für die Schauspielkunst. Der gilt auch dem Team, das verantwortlich ist für die optische Erscheinung. Dazu gehört die Ankleiderin Franziska Drossaart, die uns hinter die Kulissen führt, denn jetzt hat sie Zeit wegen der Corona-Krise.

Der Applaus ist das Lebenselixier für die Schauspielkunst. Der gilt auch dem Team, das verantwortlich ist für die optische Erscheinung. Dazu gehört die Ankleiderin Franziska Drossaart, die uns hinter die Kulissen führt, denn jetzt hat sie Zeit wegen der Corona-Krise. 

Interview: Urs Heinz Aerni

Franziska Drossaart, Sie sind Ankleiderin, Angestellte im Ankleidedienst. Nicht in einem Modegeschäft, sondern hinter der Bühne von Theatern. In welchem denn?

Ich arbeite seit zehn Jahren am Schauspielhaus Zürich, sowohl am Pfauen als auch im Schiffbau. Wir gehen mit den Produktionen auch ins Ausland, auf sogenannte Abstecher.

Wie darf man sich das vorstellen? Sie müssen parat stehen, wenn die Schauspielerinnen und Schauspieler während des Stückes hinter den Vorhang kommen?

Ja, genau. Wir positionieren uns direkt hinter dem Vorhang oder auch in einer improvisierten Garderobe, da eben, wo der nächste Auftritt am schnellsten gewährleistet ist. Es kommt auch vor, dass wir für den Zuschauer sichtbar auf der Bühne umziehen, falls es vom Regisseur oder von der Regisseurin gewünscht wird.

Muss hektisch zu- und hergehen, oder?

Wir treffen mit den Schauspielenden in einem Moment zusammen, der potenziell heikel ist. Meistens herrschen Zeitdruck, Nervosität und Unsicherheit, zumal bei den finalen Proben, bei denen zum ersten Mal die Originalausstattung dazukommt, neben Requisite und Bühnenbild, eben auch Maske und Kostüm.

Also ähnliche Herausforderungen für Sie wie für die Spielerinnen und Spieler?

Für alle ist das erste Mal eine gewisse Überforderung. Auch wir müssen uns ins Zeug legen, um schnell einen Überblick zu bekommen, wer wo was und zu welcher Zeit aus- und wieder anzieht. Dabei werden wir von der Kostümassistentin unterstützt, die bis zu diesem Zeitpunkt die Produktion kostümtechnisch begleitet hat.

Wie ist das für die Schauspielenden?

Auch für sie ist es verständlicherweise nicht einfach, sich vor uns bis auf die Unterwäsche auszuziehen. Da braucht es Taktgefühl, die richtige Distanz und Empathie. Ausserdem rückt die Premiere in greifbare Nähe. Der Druck auf die Darsteller ist enorm. Das versuchen wir durch Ruhe und Sicherheit auszugleichen.

Welche Arbeiten und Vorbereitungen gibt es jeweils vor der Aufführung?

Mindestens zwei Stunden vor der Vorstellung richten wir die Garderoben ein. Danach bringen wir die Kostümteile, die direkt auf der Bühne oder für die schnellen Umzüge gebraucht werden, an ihren Bestimmungsort. Oft kleiden wir nur die Künstler in den Garderoben ein, die beim Anziehen Hilfe brauchen, wie zum Beispiel ein Mieder schnüren oder einen Fatsuit – ein Anzug, der dick macht – am Rücken schliessen oder eine Krawatte binden.

Das heisst, Ihr Kontakt zu den Schauspielenden ist recht nah?

Ja, bevor dann der berühmte Vorhang hochgezogen wird, werfen wir im Bühnenvorraum ein Auge auf die angekleideten Ensemblemitglieder und zupfen da und dort noch einen Kragen zurecht oder holen den vergessenen Schal in der Garderobe. Dieser Moment der Kontaktaufnahme mit den Künstlern ist wichtig. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die blitzschnellen Umzüge umso besser funktionieren. Man stimmt sich gemeinsam ein.

Gehört dazu auch, da was zu stopfen und dort was zu nähen?

Wir sind spätestens ab der Premiere dafür verantwortlich, dass die Kostüme in tadellosem Zustand sind. Das heisst, kleinere Reparaturen und die Pflege der Kostüme sind unsere Aufgaben. Dazu kommt, wachsam zu sein und für genügend Nachschub zu sorgen, falls Verschleissteile zur Neige gehen, wie zum Beispiel besondere Damenstrümpfe. Auch die Schuhe bringen wir zum Schuhmacher, falls nötig. Es ist gefährlich für die Künstlerinnen und Künstler, wenn das Schuhwerk zur Stolperfalle wird.

Bei Musicals wären Sie eine sogenannte Dresserin. Wie gross sind die Unterschiede für Ihre Arbeit zwischen Musical, Oper und Theater?

So ganz genau weiss ich das nicht. Bei der Oper habe ich auch gearbeitet, da aber ausschliesslich beim Chor. Dort war das Anziehen und Aufräumen der oft schweren und umfangreichen Kostüme auch eine körperlich anstrengende Arbeit. Sobald Tanz dazukommt, sollte man kein Problem mit viel fremdem Schweiss haben.

Was könnten so Pannen sein im Alltag?

Da gibt es einiges. Klemmende Reissverschlüsse, blöderweise dann, wenn es pressiert, Stoffe, die reissen, vergessene Kostümteile, Kollisionen mit der übrigen Technik, also enge Platzverhältnisse hinter der Bühne. Aber auch Schauspieler, die noch unsicher sind, was die Umzüge betrifft, und am falschen Ort abgehen; das kann am Anfang auch uns passieren.

Welche Fähigkeiten und Interessen wären am passendsten für diesen Beruf?

In unserem Team arbeiten ausschliesslich Frauen vom Fach. Damenschneiderinnen beziehungsweise Herrenschneiderinnen oder wie das heute heisst: Bekleidungsgestalterin. Nebst der fachlichen Kompetenz ist ein gutes Gespür für Künstlerseelen und Situationen unter Druck von Vorteil. Bereitschaft zu ungewöhnlichen Arbeitszeiten und keine Scheu vor Abenddiensten sind Voraussetzung.

Kennen auch Sie für Ihre Arbeit jeweils ein Lampenfieber?

Durchaus. Gerade an der Premiere, wenn knifflige Umzüge auf mich zukommen, die keinen Verzug vertragen, und die Abläufe noch nicht ganz klar sind, wird es auch mir manchmal heiss! Ausserdem lass ich mich auch gerne anstecken von dieser besonderen, belebenden Nervosität, bevor der rote Vorhang den Blick auf die Bühne frei gibt.