Das letzte Wort hat die Trauerrednerin

Erstellt von Elsbeth Stucky |
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Wälder, Flüsse oder Berge als letzte Ruhestätte und eine Trauerrednerin anstelle eines Pfarrers zum Abschiednehmen: Immer mehr Menschen suchen nach Alternativen zur klassischen Abdankung. Julie Kudlich aus Küsnacht übernimmt diesen Dienst seit kurzem.

Julie Kudlich ist in Bayern mit sechs Geschwistern aufgewachsen. «Alle waren wir redselig und jeder von uns wollte das letzte Wort haben», erzählt die 40-Jährige amüsiert. «Manchmal war ich froh, wenn mir überhaupt jemand Gehör schenkte.»

Das mit dem letzten Wort hat jetzt eine andere Bedeutung für sie bekommen. Die Küsnachterin ist Trauerrednerin. Wie es dazu kam, erzählt sie auf dem idyllischen Rundgang mit Weitblick durch den Friedhof Hinterriet Küsnacht.

«Sehe mich nicht als Konkurrenz»

Vor einem Jahr habe ihr Bruder zu ihr gesagt: «Ich weiss, was du machen musst, du bist die ideale Trauerrednerin.» Das kam nicht von ungefähr, ihr Bruder betreut einen Friedwald in Ostdeutschland, wo Bäume die letzte Ruhestätte sind.

«Ich war sofort ‹entflammt› und wusste: Das will ich.» Weltliche Abschiede sind in Ostdeutschland an der Tagesordnung, seien doch gegen 90 Prozent der Menschen aus der Kirche ausgetreten. Auch in der Schweiz gebe es vermehrt das Bedürfnis nach Alternativen anstelle einer konventionellen Zeremonie.

Seit letztem Herbst bietet nun die Küsnachterin Trauerreden an. Sie ist für Menschen da, die ihre Verstorbenen würdig verabschieden möchten, aber nicht mit einem Pfarrer.

«Ich sehe mich nicht als Konkurrenz zur kirchlichen Abdankung», betont Kudlich. Eher fülle sie eine Lücke. Selber gläubig und der Kirche verbunden, finde sie aber, dass auch der Tod individuell angegangen werden darf. Und die meisten Menschen wünschten sich für ihre Nächsten einen stimmigen Abschluss am Ende des Lebens.

«Vor allem höre ich zu»

Als studierte Pädagogin bringt Kudlich das nötige Fingerspitzengefühl mit. Zusätzlich hat sie sich letztes Jahr zur zertifizierten Trauerrednerin ausbilden lassen. «Das war mir wichtig, obwohl es kein geschützter Beruf ist», erklärt die Küsnachterin. Die Liebe zu Texten hat die Mutter von zwei Buben (4 und 8) und einem Mädchen (12) ihr Leben lang begleitet. So bringe sie die Fähigkeit mit, die eine Trauerrednerin brauche, um diese sensible Aufgabe in Worte zu fassen. Als gläubiger Mensch bettet sie auf Wunsch auch gerne religiöse Inhalte in die Trauerfeier ein.

Im Gespräch mit den Angehörigen staune sie immer wieder, wie reich jedes Leben ist. Aber auch wie hart es sein konnte in früheren Zeiten. Spricht Kudlich über das Verfassen einer Trauerrede, geschieht es mit tiefem Mitgefühl für unterschiedliche Lebensmuster. Sie notiere Eigenheiten und Vorlieben des Verstorbenen und lasse auch durchaus amüsante Anekdoten in ihre Texte einfliessen. «Manchmal spreche ich Ungesagtes an. Vor allem höre ich aber zu.» Das Schreiben der Trauerrede wird zu einer Erinnerungsreise.

Jedes Leben ist einzigartig und darüber sollte am Lebensende gesprochen werden. Stehe sie am Grab, spüre sie immer sehr viel Dankbarkeit dem Verstorbenen gegenüber. «Ist der Wunsch da, dass ich den gebührenden Rahmen schaffe, Blumen besorgen oder Ballons fliegen lassen, dann organisiere ich das natürlich auch gerne.» Manchmal fehlten den Hinterbliebenen in schweren Stunden die Worte und die Kraft, alles selber an die Hand zu nehmen. Klar möchte Kudlich dabei etwas verdienen, doch da sei sie sehr offen und je nach Budget auch bereit, ihren Kunden entgegenzukommen.

Des Öftern ernte sie im Umfeld erstaunte Reaktionen, wenn die Sprache auf ihre Arbeit als Trauerrednerin komme, wie: «Was, das machst du wirklich?» Ein bisschen mehr Normalität im Angesicht des Todes fände sie durchaus wünschenswert. «Doch im Trauern sind wir Europäer nicht so gut.» Und doch ändere sich zusehends etwas.