Das Märchenschloss hinter den Gleisen

Erstellt von Elke Baumann |
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Barock und Romanik, frühchristlich, römisch oder griechisch, zwischendurch auch Gotik, die Aussenfassade vom alten Landesmuseum hat von allem etwas.

Nach rund 15 Jahren Bauzeit ist die umfangreiche Erneuerung des Landesmuseums abgeschlossen. Im Westflügel präsentieren sich 7000 Objekte aus der eigenen Sammlung. Geschichte der Schweiz und Zürich führen chronologisch aus dem Mittelalter ins 20. Jh., in der Archäologie dominieren die Pfahlbauer und mit dem fliegenden Teppich können Familien durch die Weltgeschichte reisen. Das renovierte und sanierte Museumsschloss bietet alles, was man schon immer mal wissen wollte – wissen sollte.

Kunst am Bau
Wirklich alles? Wir haben die Aussenfassade des Gebäudes unter die Lupe genommen. Von ihr ist selten die Rede. Eingeweiht wird das Landesmuseum 1898. Sein Erbauer ist der Schweizer Architekt Gustav Gull, ein Vertreter des Historismus. Historismus ist ein Phänomen, das Ende 19. Jh. vorwiegend in der Architektur Stilelemente vergangener Kulturepochen mit neuen Erfindungen und Technologien zu einem neuen Ganzen fügt. Türme, Erker und Treppengiebel, Figurennischen, plastischer Schmuck, Porträtbüsten, Skulpturen, heraldische Elemente, dekorative Malereien – der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt. Unser besonderes Augenmerk gilt den sieben Wandfeldern (4,75 x 2,47m) und den Figurennischen an der hofseitigen Aussenfassade des Gebäudes. Geplant waren sieben Episoden aus der Schweizer Geschichte. Nach Fertigstellung von «Gründung Berns» und «Tells Gefangennahme» durch den Basler Künstler Hans Sandreuter (1850–1901) geht 1898 der Ärger los: personelle Schwierigkeiten, Einwände der Jury zu Details, Kritik des Künstlers an der Farbwirkung der Mosaiken und, und, und. Drei Jahre ein nerviges Hin und Her. 1901 stirbt Sandreuter – fünf Felder und einige Nischen bleiben leer zurück. 2014 kommt das Bundesamt für Bau und Logistik (BBL) auf die glorreiche Idee, die fünf inhaltslosen Bildfelder und die Nischen mit zeitgenössischen Arbeiten zu füllen! Mario Sala, Winterthur, erhält den Auftrag, die seit über hundert Jahren verwaisten Bildfelder und Figurennischen mit seiner Kunst zu bespielen, Urs Traber übernimmt die Steinmetzarbeiten.

Zerstörerische Eingriffe
Die erste der sieben Steinplatten vermittelt den Eindruck, als sei sie von Gewehrkugeln durchlöchert worden. Nach den beiden Sandreuter Mosaiken folgt die vierte Platte mit Sprüngen, wie wenn jemand mit Wucht dagegengerannt sei (hoffentlich nicht Kopf voran!), Platte fünf scheint zu explodieren und die sechste Platte weist Vertiefungen auf, durch die man mehrere Gesteinsschichten erkennt.

In die verwaisten Skulpturennischen hängt Sala «Figuren», die jeweils aus der Kombination von zwei unterschiedlichen Steinen geschaffen sind. Ein stehender Krieger mit Schild oder ganz oben an der Fassade hängende Steine, die davonzuschweben scheinen. Der Künstler nennt sein Gesamtwerk «DVSAVHELDS» (Die Verletzten schreien aus vollem Hals: Es lebe die Schweiz!)

Zugegeben, das eigenwillige Kunstwerk Salas irritiert und ist für den Betrachter eine Herausforderung. Beim genauer Hinschauen und Sinnieren entdeckt man am Gebäude aber immer mehr Details, die einem bisher entgangen sind: Affenskulpturen, Porträtmedaillons, kleinfigürliche Verzierungen. Im Fries Darstellungen von handwerklichen Berufen, Fauna, Flora und Wappen und vieles mehr. Spätestens hier wird einem klar, warum amerikanische Touristen am «Castle of former Kings of Switzerland» so sehr interessiert sind.

Während der Öffnungszeiten des Museums sind Eintritt und Durchgang zum Platzspitz offen.