«Das war die Tragödie seines Lebens»

Erstellt von Manuela Moser |
Zurück

Winston Churchill war scheu, und die Anerkennung durch seinen Vater blieb zeitlebens aus. Diese und andere unbekannten Seiten des grossen Staatsmannes hat Churchill-Spezialist Werner Vogt ausgegraben für sein neues Buch. Dabei kommt natürlich auch der Humor nicht zu kurz.

Werner Vogt, der grosse Winston Churchill sieht auf vielen Fotos etwas grimmig aus. Auch auf dem Cover Ihres neusten Buches. Hatte er wirklich so viel Witz?

Und wie! Churchill hatte einen ausgezeichneten Humor. Er reichte von Witz über Ironie bis zum scharfen Sarkasmus.

Gerne ein paar Müsterchen?

Berühmt sind natürlich ganz viele seiner Aussagen, beispielsweise diese hier: «Mein Geschmack ist sehr einfach. Ich bin leicht zufrieden mit dem Besten.» Er konnte aber auch schärfer. Über Bernard Montgomery, seinen Feldmarschall im Zweiten Weltkrieg, sagte er: «Unbezwingbar im Rückzug, unbesiegbar im Vormarsch, unerträglich im Sieg.»

Und dieses berühmte «No Sports!»?

Ist gar nicht von ihm! Zwar wird Churchill vielfach damit zitiert – er soll damit einem Reporter geantwortet haben, wie er als passionierter Zigarrenraucher und Whisky-Trinker trotzdem ein so hohes Alter erreicht habe. Doch in Tat und Wahrheit war Churchill sehr sportlich, er ritt, er schwamm und er focht. Und er absolvierte ja seine Offiziersausbildung in Sandhurst.

In Ihrem Buch nähern Sie sich dem Privatmann Churchill und haben viele Anekdoten parat ...

Von Churchill gibt es viele witzige Storys. Er lebte ja auch sehr exzentrisch, verbrachte meist den grössten Teil des Morgens im Bett – man muss sagen: arbeitenderweise. Nach dem Mittagessen badete er ausgiebig – auch von der Badewanne aus diktierte er aber des Öfteren neuste Mitteilungen an seine Angestellten, die diese abtippten. Der ausgedehnte Mittagsschlaf erlaubte es ihm, nach dem Nachtessen bis um 2 oder 3 Uhr morgens weiterzuarbeiten.

Das wird alles vorzüglich illustriert in Ihrem Buch. Sie arbeiteten mit der politischen Karikaturistin Agnes Avagyan aus Armenien zusammen, die auch an der Vernissage in Küsnacht anwesend sein und spontan zeichnen wird.

Wen oder was genau sie zeichnen wird, weiss ich selber nicht (lacht). Mich hat sie schon festgehalten mit den «Big Five» – dem Elefanten, dem Nashorn, dem Büffel, dem Löwen und dem Leoparden. Zusätzlich wünschte ich mir das Hippo und ein Krokodil. Aber zurück zu Avagyan: Ihre Karikaturen bereichern das Buch natürlich ungemein.  

Sie haben selbst über 100 Bücher von Churchill zu Hause, bereits Ihre Dissertation schrieben Sie über Churchill. Woher kommt diese Faszination?

Ich arbeitete damals ja als Redaktor bei der NZZ und hatte eben ein Geschichts­studium absolviert. Ich verknüpfte für meine Diss die beiden Themen und legte den Schwerpunkt auf die Presse-geschichte. Und weil die 1970er- und 1980er-Jahre schon so gut abgedeckt waren, konzentrierte ich mich auf die Zeit um den Zweiten Weltkrieg und fragte mich, wie nebst Churchill auch sein Erzfeind Adolf Hitler von der NZZ abgebildet worden ist. Und so kam ich zu meiner These, dass die Schweizer Presselandschaft eigentlich ein erstaunlich akkurates Bild der Geschehnisse abgeliefert hat, obwohl rundherum im deutschsprachigen Raum sämtliche Medien zensuriert worden sind.

Sie haben erzählt, dass bereits ab 1933 die Presse in Deutschland und Österreich gleichgeschaltet worden sei.

Genau, und ab dieser Zeit waren dort die Schweizer Zeitungen auch verboten. Diese Zensur dauerte bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs 1945.

Ihr Interesse am Zweiten Weltkrieg kommt ebenfalls von privater Seite .

Ich hatte sehr alte Eltern, mein Vater ist 1910 geboren und leistete aktiven Dienst im Zweiten Weltkrieg. Er stand als Grenadier an der Aargauer Grenze beim Rhein, also auf Schussdistanz zu den deutschen Truppen. Er erzählte mir viel von dieser Zeit, das hat mich schon geprägt und gleichzeitig mein Interesse geweckt.

Auch Churchill war stark geprägt von seinem Vater ...

Ja, aber nicht positiv. Sein Vater hielt ihn für einen Versager – er hat Churchills Aufstieg nicht mehr erlebt und starb, als Churchill 21 Jahre alt war. Das war im Prinzip die Tragödie seines Lebens. Er blieb Frauen gegenüber zeitlebens sehr scheu, diese Seite kennt man von ihm vielleicht gar nicht so. Das Verrückte: Churchill starb auf den Tag genau 70 Jahre nach seinem Vater. In einem Traum, so heisst es, soll dieser seinem Sohn erschienen sein und ihm schliesslich doch noch eine Anerkennung ausgesprochen haben. 

In Ihrem Buch wollen Sie diese private Seite auch zeigen. «Hinter dem Sarkasmus und den Bonmots verbarg sich ein Gefühlsmensch», schreiben Sie.

Ja, das stimmt unbedingt. Die Nichtanerkennung seines Vaters prägte ihn sein ganzes Leben lang. Sein Vater war überdies ein Playboy, seine Mutter – sie hatte 200 Liebhaber, sagt man jedenfalls – war den Freuden offensichtlich auch nicht abgeneigt. Churchill selber hingegen hatte die grösste Mühe mit dem anderen Geschlecht. Sein Heiratsantrag kam so zögerlich – auch das eine belegte Anekdote –, dass seine Frau Clementine Hozier den Schauplatz fast entnervt verlassen hätte.

Schnurgerade verlief auch die schulische Laufbahn von Churchill nicht .

Stimmt. Für ein Universitätsstudium reichten seine Schulleistungen nicht. Die Eintrittsprüfung in die Offiziersschule von Sandhurst schaffte er erst beim dritten Anlauf. Churchill war ein sehr renitenter Schüler und brachte sich eigentlich alles lieber autodidaktisch – also selber – bei. 

So auch das Malen .

Er fand heraus, dass ihn das Malen beruhigte und ihm gut tat, wenn er depressive Verstimmungen hatte. Also fing er an zu malen, genau, und seine Landschaften sind sogar besonders schön gelungen. Vielleicht hätte er sogar vom Malen leben können, ein grosses Talent war da. Und auch der Übermut: Es kam schon mal vor, dass er einen der ganz Grossen «ausbesserte» und «Fehler» korrigierte (lacht). 

Churchill konnte die halbe Bibel und ganze Shakespeare-Stücke auswendig .

Ja, er konnte unglaubliche Ambitionen entwickeln und wollte letztlich aus dem Grund in die Politik, weil sein Vater selber Minister in England gewesen war.

Also bleibt Churchill für Sie, auch nach Ihrem dritten Buch über ihn, interessant?

Unbedingt. Ich bewundere, wie er jeden Rückschlag überlebt und immer weitergekämpft hat. Er liess sich einfach nie unterkriegen. 

 

Buchvernissage: 12. Dezember, ab 10 Uhr (Türöffnung: 9.45 Uhr), Buchhandlung Wolf, Küsnacht. Es spricht Lukas Heim vom Weber Verlag mit Werner Vogt über dessen Buch, das Publikum kann anschliessend Fragen stellen. Anwesend ist auch Karikaturistin Agnes Avagyan, die live zeichnen wird. Anschliessend gibt es einen Apéro. Eintritt frei. Die Veranstaltung endet um 11 Uhr. Dann beginnt der Sonntagsverkauf.