Der heute als Energieberater tätige Silvan Rosser schrieb 17 Jahre lang die Wetterkolumne für diese Zeitung. Diese brachten der Leserschaft auf wissenschaftliche Art das Wetter und seine Hintergründe näher. Zudem kamen Themen wie Energiewende, Atomausstieg und Elektromobilität zur Sprache.
Silvan Rosser, was fasziniert Sie am Wetter?
Wetter ist omnipräsent. Es begleitet uns tagein, tagaus. Anstatt ständig darüber zu schimpfen, wie es viele tun, begann ich es zu beobachten, zu beschreiben und zu verstehen. Ein Small-Talk-Thema ist Wetter für mich nie, sondern eine Herzensangelegenheit. Darauf angesprochen, beginne ich auszuschweifen.
Wie hat Ihr Interesse fürs Wetter begonnen?
Im Hochsommer beobachtete ich als Kind zusammen mit meinem Vater jeweils die aufziehenden Abendgewitter von unserem geschützten Balkon aus. Wie das anfängliche Wetterleuchten in der Ferne immer näher kam und zuerst in Form von starken Windböen im Gesicht spürbar wurde, faszinierte mich sehr.
Warum wurde Ihr Hobby zum Beruf?
Über die Jahre habe ich im Selbststudium viel übers Wetter und Klima gelernt. Auch meine Maturaarbeit habe ich einem komplexen Klimaphänomen gewidmet. Danach war für mich klar, dass ich mein Wissen an der ETH Zürich vertiefen wollte, und so entschied ich mich fürs Studium der Umweltnaturwissenschaften und schrieb meine Masterarbeit in der Klimaphysikgruppe der ETH. Begleitend zum Studium konnte ich bei SRF Meteo als wissenschaftlicher Mitarbeiter unterstützen.
Was beschäftigte Sie während des Studiums an der ETH besonders?
Das Studium an der ETH orientierte sich stark an den relevantesten Umweltproblemen. Ausgehend vom Klimawandel faszinierte mich die Herausforderung der Dekarbonisierung des Energiesystems – also die Energiewende. Seit acht Jahren bin ich nun als Berater für Energiesysteme und erneuerbare Energien und insbesondere der Elektromobilität tätig.
17 Jahre Wetterkolumne in den Lokal-info-Zeitungen. Gingen Ihnen die Themen nie aus?
Nein. Das Wetter ist so vielseitig und erfindet sich ständig neu. Gewisse Themen werden zudem jedes Jahr aufs neue aktuell. Wann fällt im Frühling der letzte Schnee? Wie entsteht das wechselhafte Aprilwetter? Viele Fragestellungen griff ich über die Jahre immer wieder aufs Neue auf und stellte sie in den Kontext zum aktuellen Wetter. Zudem konnte ich über die Jahre die Themen sehr frei und breit wählen, so habe ich regelmässig auch über die Energiewende, den Atomausstieg oder die Elektromobilität berichtet. So gingen mir die Themen nie aus. Es gäbe auch für die nächsten 17 Jahre noch viele spannende Aspekte zu beleuchten.
Ein Wort tauchte in den Artikeln immer wieder auf: Rekord. Gibt es beim Wetter laufend neue Rekorde?
In den letzten 17 Jahren erlebten wir im Zuge der globalen Erwärmung eine extreme Häufung rekordwarmer Jahre. Lediglich drei der letzten 17 Jahre gehören nicht zu den 20 wärmsten Jahren in Zürich seit 1864. Das bisher wärmste Jahr seit Messbeginn erlebte Zürich im Jahr 2018, den wärmsten Winter in der Saison 2019/20, den wärmsten Frühling in 2011, den wärmsten Herbst in 2006. Vier der fünf wärmsten Zürcher Sommer wurden zudem seit 2015 gemessen.
Die Klimaerwärmung ist folglich ein Fakt?
Der vom Menschen verursachte Klimawandel ist seit Jahrzehnten ein Fakt und zeigt sich seit vielen Jahren in den Wetterbeobachtungen. Die letzten 17 Jahre stehen stellvertretend für die Beschleunigung der globalen Erwärmung mit immer neuen Rekorden.
Ihre Artikel waren stark von statistischen Daten geprägt. Woher kamen diese?
Die Daten stammen einerseits aus dem nationalen Messnetz von Meteo Schweiz und andererseits von eigenen Wetterstationen. Seit 2002 betreibe ich in Zürich-Witikon eine private Wetterstation, vor knapp 10 Jahre kam eine weitere Wetterstation in der Stadt am Central zum privaten Messnetz dazu.
Eigene Wetterstationen? Wie haben Sie Ihre erste Wetterstation aufgebaut?
Ich begann im Alter von 13 Jahren, erste Wettermessungen mit einfachen Messinstrumenten durchzuführen. Schnell wurde klar, um verlässlich die Lufttemperatur zu messen, braucht es eine Wetterhütte. So baute ich einen Lamellenkasten aus Holz, malte ihn weiss an und montierte die Wetterhütte auf einem Pfahl zwei Meter über der Wiese in unserem Garten. Es war erstaunlich, wie gross die Unterschiede in der Lufttemperaturmessung waren.
Wie war das Echo auf stark wissenschaftliche Artikel wie zum Beispiel denjenigen über «El Niño»?
Wetter und Klima sind Wissenschaft pur. Ich habe immer versucht, die komplexen Zusammenhänge einfach zu erklären und einen Bezug zum Alltag oder zum aktuellen Wetter herzustellen.
Haben Sie allgemein Reaktionen auf Ihre Artikel für die Lokalinfo bekommen?
Es gab immer wieder positive Reaktionen auf meine Artikel. Eine Zeit lang erhielt ich nach jedem Artikel einen Anruf und wurde zu all meinen Überlegungen und Formulierungen im Artikel ausgefragt.
Wie wichtig sind die Grafiken zu den Artikeln?
Wissenschaftliche Aussagen und Statistiken können am besten in Form von Grafiken erläutert respektive untermauert werden. In den letzten Jahren wurde die mediale Berichterstattung grundsätzlich stärker auf Bilder und Grafiken ausgerichtet. Ich habe versucht, das auch für die Lokalinfo-Zeitungen umzusetzen.
Welchen Stellenwert haben Eisheilige, Schafskälte, Martinisommer in einem wissenschaftlichen Artikel?
Es gilt zwischen Bauernregeln und Witterungsregelfällen, sogenannten Singularitäten, zu unterscheiden. Bauernregeln haben in einem wissenschaftlichen Artikel nur zur Auflockerung respektive als Einstieg oder zum Abschluss eines Artikels Platz, da sie wissenschaftlich – zumindest im heutigen Klima – keine Bedeutung haben. Sie sind häufig in Reimform gehalten und eignen sich daher als Stilmittel. Eisheilige, Schafskälte und Martinisommer sind allerdings Singularitäten, also eine an bestimmten Kalendertagen mehr oder weniger regelmässig auftretende Abweichung vom mittleren jährlichen Gang der Witterung.
Aber gibt es diese Abweichungen heute noch so wie früher?
Ich habe in den letzten Jahren berichtet, dass die Eisheiligen aus dem heutigen Klima verschwunden sind und auch die Schafskälte ist kaum noch ausgeprägt und tritt, wenn überhaupt, später im Juni auf. Andere Witterungsregelfälle wie der Altweibersommer sind allerdings, wenn auch schwach, auch im heutigen Klima ersichtlich.
Was möchten Sie persönlich noch wissen übers Wetter?
Viele Meteorologen – auch ich – möchten besser verstehen, wie sich das Wetter im Zuge des Klimawandels verändert. Bleiben die Witterungsabläufe grundsätzlich die gleichen, nur werden sie eben immer wärmer mit entsprechend mehr Sommer- und Hitzetagen und weniger Frost- und Eistagen, oder verändern sich auch die Häufigkeit und die Persistenz, also die Langlebigkeit, gewisser Wetterlagen. Werden beispielsweise milde Westlagen im Winter häufiger und gewitteranfällige Südwestlagen im Sommer seltener? Die bisherigen Forschungsresultate in diesem Gebiet sind noch nicht zufriedenstellend.
Interessiert es Sie auch, wie das Wetter morgen wird?
Ja, ich interessiere mich für das Wetter von gestern, von heute und von morgen. Ich interessiere mich auch für die möglichen Trends des Wetters in den nächsten zwei bis drei Wochen. Dazu studiere ich (wenn Zeit dafür ist) stundenlang die neusten Wetterkarten. Für das Wetter der nächsten Stunden und Tage konsultiere ich die Wetter-App von Meteo Schweiz oder SRF Meteo auf meinem Smartphone. Dabei gilt: Wer nur die Wettersymbole anschaut, ist nicht richtig informiert. Nur der von Meteorologen geschriebene Wetterbericht enthält die relevanten Wetter der nächsten Stunden und Tagen.
Wie geht es jetzt weiter? Haben Sie eine Website, wo Sie Texte veröffentlichen, gibts andere Organe, für welche Sie schreiben?
Die aktuellen Werte meiner Wetterstationen können unter www.meteozurich.ch abgerufen werden. Zudem poste ich auf Twitter unter @Climate4U spannende Artikel oder Grafiken zum Wetter und Klima. Ob ich künftig Texte in einem anderen Medium veröffentliche, ist momentan offen. Fest steht, dass ich das Wetter und Klima in Zürich auch weiterhin im Auge behalte.
Silvan Rosser
Silvan Rosser (*1987) beobachtet seit rund 20 Jahren mit seinen privaten Wetterstationen in Zürich-Witikon und am Central das städtische Wetter und Klima. An der ETH Zürich studierte er im Bachelor und Master Umweltnaturwissenschaften und schrieb seine Masterarbeit zu Unsicherheiten in Klimamodellen in der Gruppe für Klimaphysik von Prof. Reto Knutti. Seit neun Jahren arbeitet er als Berater im Bereich Elektromobilität, Stromsysteme und erneuerbare Energien. Im Ingenieur- und Beratungsbüro EBP in Zürich leitet er das Marktfeld Elektromobilität.
«Ich begann mit 13 Jahren, erste Wettermessungen mit einfachen Instrumenten durchzuführen.»In luftiger Höhe, am Central, betreibt Silvan Rosser eine seiner beiden privaten Wetterstationen.Bilder zvg./Pia Meier