Vor 50 Jahren führte der Kanton Zürich das Frauenstimmrecht ein. Der Kampf dauerte Jahrzehnte. Frauen in der Stadt Zürich konnten bereits ab 1969 abstimmen und wählen. Die Eidgenossenschaft folgte erst 1971.
Fünfmal wurde im Kanton Zürich zwischen 1919 und 1970 darüber abgestimmt, ob Frauen wie die Männer das Stimm- und Wahlrecht erhalten sollten. Am 15. November 1970 sagte das männliche Stimmvolk des Kantons Zürich dann Ja zum Frauenstimmrecht. 67 Prozent der Männer waren dafür. Damit endete ein langer Kampf. Die erste Abstimmung zum Frauenstimmrecht im Kanton Zürich fand 1920 statt. Lediglich 20 Prozent der Männer sagten damals Ja. 1923 hatten Wahlrecht und Wählbarkeit der Frauen für Bezirks- und Gemeindebehörden keine Chance an der Urne. 1947 wurde die zweite kantonale Abstimmung durchgeführt. Nur 35 Prozent der Männer stimmten für die Initiative, das heisst für das Frauenstimmrecht. Für den Gegenvorschlag, das heisst das teilweise Frauenwahlrecht (Wahlrecht und Wählbarkeit der Frauen), waren 23 Prozent der Stimmen. 1954 wurde eine kantonale Volksinitiative, die die politische Gleichberechtigung der Frauen forderte, abgelehnt. 1966 stimmten 46 Prozent der Zürcher Männer für das Frauenstimmrecht.
Familie als Gegenargument
Auch auf eidgenössischer Ebene brauchte die Einführung des Frauenstimmrechts viel Zeit. Ein Grund dafür war der zögerlich agierende Bundesrat. So wurden im Dezember 1918 erstmals zwei Vorstösse im Nationalrat für das eidgenössische Frauenstimmrecht eingereicht. 1919 wurden sie an den Bundesrat überwiesen, der sie jahrzehntelang nicht behandelte. 1929 wurde eine gesamtschweizerische Petition für das Frauenstimmrecht mit 249 237 Unterschriften eingereicht. Am 1. Februar 1959 scheiterte die erste Volksabstimmung über das eidgenössische Frauenstimmrecht mit einer Stimmbeteiligung von 67 Prozent am Volks- und am Ständemehr. Ein wichtiger historischer Moment für die Frauen war der Marsch nach Bern am 1. März 1969, bei dem 5000 Personen, Frauen und Männer, teilnahmen. Sie stimmten der Resolution der späteren Zürcher Stadträtin Emilie Lieberherr (SP) mit grossem Applaus zu: «Die hier versammelten Schweizerinnen fordern das volle Stimm- und Wahlrecht auf eidgenössischer und kantonaler Ebene und in den Gemeinden.» Am 7. Februar 1971 wurde das Stimm- und Wahlrecht für Frauen in eidgenössischen Angelegenleiten mit 65,7 Prozent Ja- Anteil angenommen.
Zahlreiche Plakate mit Teppichklopfer, weinendem Kind, Familie, hysterischer Frau, Frau mit schwarzer Hand, die sagt, «Lasst uns aus dem Spiel», einem Nuggi sowie anderen Sujets verdeutlichten während der Abstimmungskämpfe die Ablehnung des Frauenstimmrechts sowohl bei Männern als auch Frauen. Weitere Argumente gegen das Frauenstimmrecht waren «politische Unreife» der Frauen und komplexe Materie. Die Befürworterinnen und Befürworter argumentierten mit Schlagwörtern wie Gerechtigkeit, gleichen Pflichten und gleichen Rechten, Menschenrechten sowie Mitbestimmung. Offensichtlich besonders wirksam waren der Spruch «den Frauen zuliebe – ein männliches Ja» mit dem Blumenstrauss und die Europakarte mit dem schwarzen Fleck in der Mitte.
Als eine der ersten Frauen in den Nationalrat wurde 1971 die Zürcherin Hedi Lang (SP) gewählt. 1983 wurde sie in den Regierungsrat des Kantons Zürich gewählt – auch das eine Premiere für eine Frau. Zweimal, 1989/90 und 1994/95, war sie Präsidentin des Regierungsrates. 1995 trat sie nicht mehr zur Wahl an. 1984 wurde die Zürcherin Elisabeth Kopp als erste Frau in den Schweizer Bundesrat gewählt. 2003 waren Frauen das erste Mal in der Mehrheit im Zürcher Regierungsrat: Regine Aeppli, Verena Diener, Dorothée Fierz und Rita Fuhrer. 2018 wurden das erste Mal in der Geschichte der Schweizer Regierung zwei Frauen gleichzeitig in den Bundesrat gewählt: Viola Amherd (CVP) und Karin Keller-Sutter (FDP).
Auf kommunaler Ebene früher
Bereits ein Jahr früher als der Kanton, nämlich am 14. September 1969, erhielten die Frauen in der Stadt Zürich auf kommunaler Ebene das Stimmund Wahlrecht zugesprochen: 65,3 Prozent der männlichen Stimmberechtigten sagten Ja. Am 2. November desselben Jahres schritten die Stadtzürcherinnen erstmals an die Urnen. 1970 wurden die ersten acht Frauen in den Zürcher Gemeinderat gewählt: 4 SP, 2 Unabhängige, 1 CVP und 1 EVP. Und Emilie Lieberherr wurde 1970 als erste Frau in den Stadtrat gewählt und blieb im Amt bis 1994. Sie war von 1970 bis zu ihrem Rücktritt Vorsteherin des Zürcher Sozialamts.
Problem des politischen Systems
Die Schweiz war eines der letzten europäischen Länder, das ihrer weiblichen Bevölkerung die vollen Bürgerrechte zugestand, Doch was meinten die Frauen selber zum Stimm- und Wahlrecht? Bei einer Befragung 1955 waren nur 40 Prozent der Frauen für das volle Stimm- und Wahlrecht. Ebenfalls 40 Prozent waren für ein beschränktes Stimm- und Wahlrecht, das heisst für Angelegenheiten der Schule, Kirche und Fürsorge. 19 Prozent waren gegen das Stimm- und Wahlrecht, wie Statistik Stadt Zürich kürzlich anlässlich einer Veranstaltung zum Thema «50 Jahre Frauenstimmrecht » ausführte. Die Zürcher Historikerin Elisabeth Joris vertritt auf Anfrage folgende Meinung: «Einen Hauptgrund für die späte Einführung des Frauenstimmrechts gibt es nicht. Diese ist das spezifische Zusammenspiel verschiedener Faktoren, So zum Beispiel der Gleichsetzung von Schweizer Wehrmann und Staatsbürger. Da Frauen keinen Wehrdienst leisten, gibt es kein Stimmrecht für sie.» Und weiter: «Das spezifische politische System der direkten Demokratie: Die Männer stimmten an der Urne ab, ob Frauen stimmen dürfen. In andern Ländern ist es das Parlament.» Zudem sei der Einfluss des Menschenrechtsdiskurses in der Schweizer Tradition gering. Und nicht zuletzt habe der Wille der Politiker in der Regierung und im Parlament völlig gefehlt, Frauen mitbestimmen zu lassen. «Wenn man daraus einen Hauptgrund ablesen will: die selbstgefällige Macht und der Unwille der Männer, Frauen als gleichberechtigte Wesen anzusehen, also das Patriarchat schweizerischer Prägung.»