Den Klang des Neubaus entdecken

Erstellt von Elke Baumann |
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Nur noch für kurze Zeit zu erleben: Mit der Inszenierung «The Sense of Things» des Choreografen William Forsythe lädt das Kunsthaus Zürich zu einer Klangschau in seinen Erweiterungsbau ein. Besucherinnen und Besucher können den Chipperfield-Bau individuell erkunden.

Nach rund zwölf Jahren Planungs- und Bauzeit ging vergangenen Dezember der Erweiterungsbau des Kunsthauses Zürich ins Eigentum der Stiftung Zürcher Kunsthaus über. Die Eröffnung im Vollbetrieb ist allerdings erst für Oktober geplant.

Im Vorfeld lädt das Kunsthaus Besucherinnen und Besucher zu einem neukonzipierten Werk von William Forsythe (71) ein. Sein Name steht weltweit für die kreativste und intelligenteste Erneuerung der Tanz-Tradition.

William Forsythe ist Zürich nicht unbekannt und Forsythe nicht den Zürcherinnen und Zürchern. Seit über dreissig Jahre gehören Stücke von ihm zum Repertoire des Balletts Zürich.

Klangkunst, auch Klanginstallation oder Klangskulptur, ist im 20. Jahrhundert zu einer bedeutenden Erscheinung der Musik geworden. Und Zürich zieht mit. Das Kunsthaus hat den Choreografen beauftragt, für die erste Begegnung im Erweiterungsbau eine akustische Vermittlung zu schaffen. Forsythe arbeitet nicht nur als Choreograf, sondern seit 1989 auch als Installationskünstler mit Klangskulpturen in Räumen. Die Arbeit mit Glocken war für ihn allerdings eine
Premiere.

Museum dient als Klangkörper

Forsythe betrachtet das Gebäude von Star-Architekt David Chipperfield als einen immensen Klangkörper und verteilt acht ausgediente tonnenschwere Kirchenglocken in verschiedenen Grössen, Tonhöhen und Klangfarben sowie eine Orchestertriangel in den noch unbesetzten Räumen. Damit erzielt er eine klingende Akustik, die Besucherinnen und Besucher einlädt, das Zusammenspiel von Architektur, Mensch und Kunst zu entdecken. Die Wahrnehmung der «Klangfarben» und Nuancen zu den natürlichen Geräuschen des Gebäudes ist für jeden Besuchenden ein persönliches Erlebnis.

Der Klang einer Glocke wird beim Guss festgelegt. Entscheidend für ihren Ton sind Durchmesser, Höhe und Wandstärke. Zwei Düsseldorfer Kirchgemeinden stellen Forsythe für sein Kunstobjekt leihweise acht Bronzeglocken aus ihren aufgegebenen Kirchen zur Verfügung. Die schwerste Glocke aus der Heilig-­Geist-Kirche hat das Gewicht eines Mittelklassewagens (1256 Kilogramm), die kleineren bringen zwischen 650 bis 900 Kilogramm auf die Waage. Die Glocken sind aufgehängt in eigens für sie gefertigten Glockenstühlen. Beide Geläute wurden neu gemischt und es kommen Klänge zusammen, die so nie in einem klassischen ­Kirchengeläut verwendet werden. Vom Glockenläuten sollen Zauberkräfte ausgehen, die sich positiv auf das Leben der Menschen auswirken. Sie läuten zu verschiedenen Ereignissen. Laden zum Gottesdienst ein, erklingen bei Hochzeiten, Todesfällen und Beerdigungen. Bevor es Telefon und Radio gab, warnten Kirchenglocken vor Gefahren, läuteten bei Feuer oder drohendem Sturm und warnten vor feindlichen Angriffen. Während des Zweiten Weltkrieges wurden in Europa mehr als hunderttausend Glocken eingeschmolzen und zu Kanonen und Waffen umgeschmiedet. William Forsythe: «Diese Glocken sind wie Geister der Geschichte europäischer Konflikte.»

Die Ausstellung «The Sense of Things» wurde kuratiert von Mirjam Varadinis, Kuratorin für zeitgenössische Kunst, und ihrem Team.

Ausstellung bis 24. Mai: www.kunsthaus.ch