Der Mord in der Villa am Hornweg

Erstellt von Isabella Seemann |
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Vor 25 Jahren erschüttert der Mord an einer hochbetagten Küsnachterin in ihrer Villa die ganze Schweiz. Fast zwei Jahrzehnte lang bleibt die Tat unaufgeklärt – bis ein DNA-Spur-Treffer den Täter zufällig überführt. Doch der heute 78-jährige Italiener beteuert seine Unschuld.

Carlo F.* bestreitet nicht, ein Räuber, Betrüger und Lügner zu sein. Mit Berufsstolz weist der 78-jährige Italiener das Obergericht darauf hin, von den besten Lehrern gelernt zu haben: «Von den Politikern und Pfaffen.» Aber ein Mörder will er nicht sein. Der «korrupte» Staatsanwalt gehöre angeklagt, wegen ihm sitze er in «Auschwitz», wie er die Strafanstalt Pöschwies nennt. «Ich habe die Frau mit den Schildkröten nicht getötet», lässt er die Dolmetscherin am Berufungsverfahren übersetzen. Das Bezirksgericht Meilen hatte Carlo F. letzten November wegen Mordes an der Küsnachterin Ella Christen am 4. Juli 1997 zu einer Freiheitsstrafe von 13 Jahren verurteilt. Dies als Zusatzstrafe zu einem rechtskräftigen Urteil von 7 Jahren wegen mehrfachen schweren Raubs, Freiheitsberaubung, Geiselnahme und sexueller Nötigung.

Der Berufsverbrecher hatte bei einem bewaffneten Raubüberfall auf eine Juweliersfamilie in Thun im September 2016, bei der er auch die minderjährige Tochter zwang, ihn oral zu befriedigen, seine DNA hinterlassen. Mittels Fotos einer Überwachungskamera wurde er auf Teneriffa dingfest gemacht und an die Schweiz ausgeliefert. Im Zuge der Spurenauswertungen konnte die DNA-Spur aus der Wohnung des Juwelierehepaars der vor einem Vierteljahrhundert gespeicherten DNA in einem ungelösten Fall in Küsnacht zugeordnet werden.

An Kellertüre gefesselt

Am Mittag jenes Sommertags vor 25 Jahren beschloss Carlo F., so geht es aus den Gerichtsakten hervor, auf seiner kriminellen Europatournee in Küsnacht Halt zu machen und in die herrschaftliche Villa am Hornweg 11, just neben dem rauschenden Hornbach gelegen, versteckt hinter hohen Bäumen, einzudringen. Als Ella Christen von ihren Kommissionen nach Hause kam und die Diele betrat – die verwitwete Hausbesitzerin lebte alleine mit ihren Schildkröten im Haus und sollte in fünf Tagen ihren 87. Geburtstag feiern –, erblickte sie den Eindringling.

In diesem Moment prügelte Carlo F. mit der Faust auf die zierliche hochbetagte Dame ein, mehrmals, unempfindlich gegen die Schmerzensschreie, bis sie am Boden lag. Danach fesselte er ihre Arme hinter dem Rücken eng mit Schuhbändeln zusammen, verschnürte sie mit Packschnüren und fixierte sie mit einer abgeschnittenen Wäscheleine an der Kellertüre. Blutend und mit zahlreichen Knochenbrüchen liess er sie liegen und verschwand. Ella Christen hatte keine Chance, sich zu befreien. Nach einem zweistündigen Todeskampf mit Sauerstoffmangel und einer Lungenembolie starb sie schliesslich an Herzversagen. Die Polizei fand sie am nächsten Tag tot auf und konnte am Tatort DNA-Spuren sichern.

Das Verbrechen sorgte landesweit für Schlagzeilen und erschütterte die Goldküste, in Küsnacht war es Gesprächsthema Nummer eins. Doch blieb der Fall ungelöst. Die Villa wurde bald abgerissen, im Park am See stehen neue Gebäude, vergessen wurde die Tat aber nie. Die «Frau mit den Schildkröten», wie der Angeklagte Ella Christen stets nennt, habe ihn dafür bezahlt, damit sie mit ihm, ihre sado-masochistischen Fantasien ausleben könne, deshalb seien auch seine DNA-Spuren am Fesselungsmaterial gefunden worden, erklärt er dem Obergericht. Pro Dienstleistung habe er 12 000, auch mal 18 000 Franken oder eine Omega Constellation erhalten.

Verteidigung plädiert auf Verjährung

In den neun Monaten ihrer Bekanntschaft, die beim Schwänefüttern am Zürichsee begann, habe er als damals 54-jähriger Gigolo insgesamt 300 000 Franken erhalten. Seine Verteidigerin plädiert auf Freispruch und meint, dieser Prozess hätte gar nie stattfinden dürfen. Erstens sei ihr Mandant nicht der Täter. Zweitens handle es sich nicht um Mord. Drittens sei die Tat verjährt. «Wenn mein Mandant verurteilt wird, stirbt er im Gefängnis, das hat er nicht verdient.» Der Staatsanwalt beantragt die Bestätigung des vorinstanzlichen Urteils. Die Gigolo-Geschichte sei eine nachgeschobene Schutzbehauptung und «schändlich». Die «frappante, arrogante Kaltschnäuzigkeit» des Beschuldigten sei schwer zu ertragen und beelende ihn. Im ganzen Elend sei es tröstlich, dass es keine Angehörigen gäbe, die sich das noch anhören müssten.

Der Angeklagte hat das letzte Wort: «Jeder Psychiater wird Ihnen bestätigen, eine solche Tat begeht nur ein psychopathischer Junkie. Ich aber bin normal. Ich habe der Frau Licht und Wärme in ihr Leben gebracht.» Als der Gerichtsvorsitzende die Bestätigung des vorinstanzlichen Urteils verkündet, ruft Carlo F.: «Sie spinnen ja völlig.» Die Begründung sei ihm «scheissegal». Der Richter fährt trotzdem fort und erläutert, dass das Obergericht nicht in Abrede stelle, dass eine 86-jährige Frau ein Sexualleben habe, jene wilden Sexpraktiken, wie sie der Beschuldigte detailliert geschildert habe, schliesse es aber aus und könnten keine relevanten Zweifel an seiner Täterschaft wecken.

Man gehe davon aus, dass er den Tod der Frau zwar nicht direkt gewollt, aber in Kauf genommen habe. Die Bilder vom Tatort seien etwas vom Schrecklichsten, das die Richter je gesehen hätten. Die Skrupellosigkeit eines Mordes sei gleich in zweifacher Hinsicht erfüllt: im Beweggrund wie auch in der Ausführung der Tat. Carlo F. habe die zierliche alte Dame mit grösster Gefühlskälte und aufs Brutalste verschnürt zum Sterben zurückgelassen, damit sie keine Hilfe holen könne, nur damit er selber ungeschoren davonkomme, «was Ihnen auch 25 Jahre gelang».


* persönliche Angaben geändert