Der Pinguin-Flüsterer vom Schübelweiher

Erstellt von Daniel J. Schüz |
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Der Küsnachter Benno Lüthi setzt sich für den Schutz und die Erforschung der antarktischen Tierwelt ein, allen voran der Pinguine. Der Präsident der Stiftung
Antarctic Research Trust kann dieses Jahr zum ersten Mal nicht zu seinen gefiederten Freunden reisen.

Am Anfang war es eine Bieridee, ausgeheckt zu mitternächtlicher Stunde an einem Ort, der wilder und einsamer kaum sein könnte. Die Drake-Passage, wo Atlantik und Pazifik aufeinandertreffen und keine Landmasse Wind und Wellen bremst, ist eines der gefürchtetsten Seegebiete der Weltmeere: Auf 500 Seemeilen verbindet sie die antarktische Peninsula mit dem Kap Hoorn, dem südlichsten Felsen von Südamerika.

Schlingernd tanzt die «World Discoverer» durch das vom Sturm aufgewühlte Südpolarmeer. Die meisten Passagiere leiden in ihren Kabinen; nur oben in der Bar trotzen drei Männer der Seekrankheit. Ergriffen von der Schönheit des siebten Kontinents und der Verletzlichkeit seiner Fauna beschliessen sie spontan: «Wir gründen eine Stiftung!» Hanspeter Corti, ein Winterthurer Unternehmer, der in Kanada lebt. Klemens Pütz, ein deutscher Meeresbiologe, der auf den Falkland-Inseln forscht und auf Expeditionsschiffen Vorträge hält. Und Benno Lüthi, Chemielaborant vom Küsnachterberg, der zum ersten Mal die Antarktis besucht – sie alle sind sich einig: «Diese einmalige Tierwelt muss besser erforscht und geschützt werden.»

Stiftung von Bedeutung
In jener stürmischen Nacht Ende Februar 1997 schlug die Geburtsstunde einer Institution, die der Wissenschaft bis heute wichtige Erkenntnisse liefert über das Leben und den Lebensraum von Robben, Walen und Vögeln in der Antarktis und auf den subantarktischen Inseln: Die Stiftung Antarctic Research Trust. Lüthi präsidiert sie seit zwanzig Jahren.
«In erster Linie legen wir den Fokus auf die Pinguine», sagt der Küsnachter, der im Oktober seinen 75. Geburtstag feiert. «Manche Arten wie der Felsenpinguin sind stark gefährdet», sagt er, «im Gegensatz zum Königspinguin, der unter anderem die Strände von Südgeorgien bevölkert.» Hightech-Sender, die ausgewählten Tieren im Gefieder befestigt werden, geben erstmals Aufschluss über die enormen Strecken, die Pinguine auf ihren Wanderungen durchs Wasser zurücklegen. Die Daten werden Natur- und Tierschutzorganisationen zur Verfügung gestellt, die Schutzgebiete einrichten und dafür sorgen, dass die Handels- und Explorationsschiffe nicht die Wege der Tiere queren.

Frühe Tierliebe
Lüthi, der in Zürich-Oerlikon aufgewachsen ist, war schon früh von Tieren fasziniert. «Ich habe alle meine Schulferien in Obersaxen verbracht, im Landdienst bei Bündner Bergbauern. Dort habe ich Kühe, Schafe und Geissen gehütet und abends wieder in den Stall getrieben, damit sie gemolken werden konnten.» Sein Beruf – Lüthi arbeitete als Assistent im Chemielabor eines ETH-Professors – hat sein Interesse für die Wissenschaft geweckt. Er lernte, analytisch zu denken und Forschungsresultate empirisch zu interpretieren. 1980 zog Lüthi, inzwischen verheiratet, mit Gattin Marianne auf die Forch, wo das Paar sich dem praktischen Tierschutz verschrieb. Um die Fledermaus-Kolonie, die in der sogenannten Franzosenhöhle nahe dem Forch-Denkmal Unterschlupf gefunden hatte, kümmerten sie sich ebenso liebevoll wie um Frösche und Lurche, die jedes Jahr im Vorfrühling zum Schübelweiher und Rumensee wandern. Um dem jährlichen Massaker auf dem Asphalt ein Ende zu setzen, veranlassten die Lüthis die jährliche Sperrung der Strasse zwischen den Gewässern. «Diese Aufgabe», sagt Lüthi, der sich regelmässig auch im Zoo Zürich als freiwilliger Helfer nützlich macht, «haben wir inzwischen in jüngere Hände gegeben.»

Aber die Bewohner der Antarktis, die Pinguine und Albatrosse, die Wale und Robben, lassen ihn nicht los. Benno Lüthi und Klemens Pütz, der mit ihm vor 27 Jahren den Antarctic Research Trust gegründet hatte, wurden nicht nur Freunde, sondern auch Kollegen: Schon bald nach seiner ersten Expeditionsreise begann Lüthi als Lektor sein unerschöpfliches Wissen mit den Passagieren zu teilen, die das weltweit grösste Natur- und Tierschutzgebiet bereisen. Das Geld, das er mit Vorträgen verdient, fliesst vollumfänglich in die Stiftungskasse.

Eine Reise pro Jahr
Jedes Jahr ist Lüthi bisher in den tiefen Süden gefahren. Einerseits, um die Tiere zu studieren, die mit ihren grotesken Widersprüchen und genialen Fähigkeiten «zu den faszinierendsten Lebewesen unseres Planeten» gehören: «Der Pinguin», sagt Lüthi, «ist ein Vogel, der nicht fliegen, aber besser tauchen und schwimmen kann als manch ein Fisch. Sein Brutgeschäft besorgt er zwar mit grossem Aufwand an Land, aber eigentlich ist er ein Meeresbewohner.» Andererseits aber auch, um Antarktis-Touristen für die Schönheit zu begeistern und für den besonderen Respekt zu sensibilisieren, der dieser Welt im Eis gebührt.

Kritikern, welche die Belastung der Antarktis durch den wachsenden Expeditionstourismus anmahnen, hält er entgegen: «Nirgendwo sonst auf der Welt sind die Schutzbestimmungen strenger, jedes Jahr werden sie weiter verschärft.» Die Schiffsmotoren würden immer nachhaltiger – auch wenn es noch lange dauern werde, bis man CO2-neutral in die Antarktis fahren könne. «Vor allem aber sorgen wir dafür, dass jeder Reisende, der als Tourist ins Eis fährt, als Umweltbotschafter nach Hause kommt – mit einem geschärften Bewusstsein für die Schönheit und Verletzlichkeit unseres Planeten.»

Nach mehr als dreissig Jahren wird Lüthi diesen Winter – coronabedingt – zum ersten Mal seine gefiederten Freunde nicht besuchen können. «So, wie es aussieht, gibt es dieses Jahr keine Expeditionsreise», sagt Lüthi – mit gemischten Gefühlen. «Ich werde die Pinguine vermissen, Und mich mit Sport trösten: Marianne und ich schnallen uns die Langlaufski unter die Füsse.»