«Der Stadtrat mauert und sitzt alles aus»

Erstellt von Lorenz Steinmann |
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Geschlagene drei Jahre brauchte der Stadtrat, um aufzuzeigen, dass er keine grundlegende Verwaltungsreform angehen will. Fazit der Kritiker aus allen Parteien ausser der SP: Es entstünden im Gegenteil neue Fachstellen und Koordinationsabteilungen, das Parlament werde nicht ernst genommen.  

In einem sind sich praktisch alle Parteien einig. Obwohl der Gemeinderat will, dass der Stadtrat von Zürich seine Verwaltungsabteilungen durchleuchtet und Synergien anstrebt, passiert fast nichts. Pointiert auf den Punkt bringt es Walter Angst von der AL: «Der Bericht hätte in einem Monat erstellt werden können und an den Gemeinderat zurückgespielt werden können. Es hätte nur einen Satz gebraucht: Wir wollen nicht.» Unzufrieden ist auch Markus Kunz, Fraktionsprä­sident der Grünen: «Die wesentlichen ­Herausforderungen werden nicht ­angepackt.» FDP-Stadtparteipräsident Severin Pflüger bläst ins gleiche Horn: «In der Stadtverwaltung hat sich nichts getan.» Pflüger kritisiert «die langwierigen Bewilligungsprozesse», bei welchen eine Unzahl von Departementen und Abteilungen mitwirken. Und: «Projektkoordinatoren sind zu einer grossen Berufsgruppe geworden, die primär sich selbst beschäftigten. Hinzu kommt eine Heerschar von Beratern und Beauftragten, die alle um Einfluss und Anerkennung ringen.» 

«Eigentliche Arbeitsverweigerung»
Susanne Brunner, Vizepräsidentin der Stadtzürcher SVP, stellt fest: «Dass alle Parteien im Gemeinderat dieses Postulat unterstützt haben, ist ein starkes Zeichen an den Stadtrat. Was er nun vorlegt, kommt einer eigentlichen Arbeitsverweigerung gleich.» Was vorliege vom Stadtrat, verdiene den Namen «Verwaltungsreform» nicht. «Die 16-seitige Antwort des Stadtrats zeigt, dass die Stadträtinnen und Stadträte das Parlament nicht ernst nehmen», so Brunner, die sich einen Namen im Kampf gegen die «gendergerechte» Sprache im Gemeinderat gemacht hat.  
Die Grünliberale Partei (GLP) schreibt: «Enttäuschend ist untertrieben. Obschon bei allen Parteien Einigkeit herrscht, dass die Verwaltungsstrukturen und die Aufgabenverteilung im Stadtrat überdacht und revidiert werden müssen, mauert der Stadtrat und sitzt alle Vorstösse aus.» 
Ähnlich tönt es von den kleineren Parteien wie der EVP und «Die Mitte». Ernst Danner von der EVP: «Die meisten Reformen haben bisher zu Stellenvermehrungen geführt, was nicht das Ziel sein kann.»
Und Karin Weyermann, Präsidentin von «Die Mitte» Stadt Zürich, der ehemaligen CVP: «Der Stadtrat führt kosmetische Überprüfungen und kleine Verschiebungen in der Antwort auf.» Auf die Frage, welche Departemente, Dienstabteilungen und Ämter zusammengelegt werden könnten, sind die angefragten Parteien durchaus kreativ – mit Ausnahme der SP, doch davon später. 
Severin Pflüger (FDP) ortet Potenzial bei der Mobilität. Es gebe in vier Departementen Mobilitätsspezialisten, welche unabhängig voneinander am selben ­arbeiten. «Das macht keinen Sinn», so Pflüger. Die Liste lasse sich Energiespezialisten etc., die redundant über diverse ­Abteilungen verteilt sind, beliebig erweitern, ist Pflüger überzeugt. «Gesetzt der Fall, die Volksinitiative ‹7 statt 9 Stadträte› wäre durchgekommen vor drei Jahren, welche Departemente sollte man aus Ihrer Sicht zusammenlegen?» – «Nun, das ist spekulativ. Heute würde ich das Präsidialdepartement und das Gesundheits- und Umweltdepartement GUD aufheben und deren Aufgaben auf die anderen Departemente verteilen», schlägt Gemeinderat Pflüger vor.
Walter Angst von der Alternativen Liste stört sich an neuen Fachstellen für die strategische Steuerung, welche die Zusammenarbeit koordinieren sollen. «Das trifft auf die Steuerung der  Netto-null-Strategie zu, wo im Gesundheits- und Umweltdepartement eine neue Fachstelle gegründet wurde, und es trifft auf die Digitalisierung zu, wo bei der Stadtentwicklung im Präsidialdepartement eine neue Abteilung aufgebaut wurde. Die neue Fachstelle Wärme beim Departement der Industriellen Betriebe, soll die thermischen Netze von ERZ Fernwärme, EWZ und Energie 360 Grad koordinieren.»  
Die Grünen sehen ebenfalls bei der Energiepolitik Handlungsbedarf. «Im Moment sind drei Anbieter der Stadtverwaltung daran, sich unnötig zu konkurrenzieren. Drei Departemente kümmern sich um die Energieversorgung der Stadt – oder eben nicht. Hier wären mutige Schritte nötig. Auch das zweite wichtige Feld der Klimapolitik, der Verkehr, ist viel zu verzettelt», urteilt Markus Kunz. 

Teilprivatisierung EWZ?
Die GLP mit Sprecher Stefan Mühlemann, dem Initianten der «7 statt 9 Stadträte»-Initiative, schlägt das «von allen Parteien befürwortete Prinzip» vor, dass eine Dienstabteilung für ein Thema zuständig sei. Zudem sieht die GLP die Überführung gewisser Verwaltungseinheiten in öffentlich-rechtliche Anstalten (Stadtspitäler, Elektrizitätswerk) vor. «Dadurch wird die Verwaltung schlanker, während die ausgelagerten Betriebe an Agilität und Flexibilität gewinnen», findet Mühlemann. Als Möglichkeiten, Ämter zusammenzulegen, sieht er zum Beispiel Baubewilligungen Tiefbau und Hochbau, Immobilienportfolio Stadt Zürich, Energie und Umweltschutz. 
Punkto Zusammenlegung von Departementen sagt Karin Weyermann (Die Mitte), dass man das Sozialdepartement und die Gesundheit sowie Hochbau und Tiefbau zusammenlegen könnte.

SP will abwarten
Und was meint eigentlich die SP? Davy Graf, Fraktionspräsident der seit Jahrzehnten mächtigsten Partei im Gemeinde- und im Stadtrat, möchte sich nicht sehr konkret zu den Fragen dieser Zeitung äussern. «Die Weisung wird aktuell in der Kommission behandelt, daher wollen wir noch keine Wertung machen.» Nur so viel: «Die Verwaltungsentwicklung ist eine Daueraufgabe», teilt Graf mit.  Das hörte man schon vor der «7 statt 9 Stadträte»-Abstimmung – etwa von Parteikollegin und seit 2009 amtierender Stadtpräsidentin Corine Mauch. 

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Das hat der Stadtrat laut eigenen Angaben erreicht
«Die Zusammenarbeit über die Dienstabteilungs- und Departementsgrenzen hinaus wurde in den vergangenen Jahren stetig gestärkt und funktioniert gut», schreibt der Stadtrat in seiner Antwort auf einen gemeinderätlichen Vorstoss von SP, Grüne und AL vom 28. Februar 2018. Er listet in seiner Antwort vom Juni 2021 als Reorganisationsbeispiele auf, dass die städtischen Bäder 1999 vom Gesundheits- und Umweltdepartement in das Schul- und Sportdepartement überführt wurden. 2000 wechselten die Sanitätsdienste in das damalige Polizeidepartement und die Asylorganisation wurde 2005 in eine selbstständige öffentlich-rechtliche Anstalt der Stadt Zürich AOZ umgewandelt und ausgegliedert.

1998: Entsorgung + Recycling
Dazu kommen laut dem Stadtrat folgende Anpassungen: Schaffung ­eines Bevölkerungsamts durch die Zusammenlegung des Bestattungs- und Friedhofamts, der Einwohner- und Fremdenkontrolle (neu Personenmeldeamt) und des Zivilstandsamtes in der Präsidialabteilung (1995). Erprobung Globalbudgets (1995). Schaffung einer Fachstelle für Stadtentwicklung (unter Umorganisation des damaligen Stadtplanungsamts) und Schaffung einer Anlauf- und Koordinationsstelle Wirtschaft, heute Wirtschaftsförderung in der Dienstabteilung Stadtentwicklung (1997). Schaffung der Dienstabteilung Entsorgung + Recycling (1998). Zusammenlegung des Waldamts und des Gartenbauamts zur Dienstabteilung Grün Stadt Zürich (2001). 

Ab 2017 Kreisbüros zentralisiert
Neuorganisation Sozialdepartement («Chance SD») in der ersten Hälfte der 2000er-Jahre. Fusion der Fachstelle für interkulturelle Fragen und der Anlauf- und Koordinationsstelle Wirtschaft mit der Fachstelle für Stadtentwicklung (2005). Zusammenlegung des «Büros für die Gleichstellung von Frau und Mann» (PRD) und der «Fachstelle für Frauenfragen» (FD) zur Fachstelle für Gleichstellung (2005). Ablösung WoV (Wirkungsorientierte Verwaltungsführung) und Überführung des Pilotbetriebs in einen definitiven Betrieb (2007). Definitive Verankerung der Global­budgets (2010). Neuausrichtung der Schulbehördenorganisation auf die schulische Integration und weitere Massnahmen zur Verbesserung der Führung im Schulwesen der Stadt Zürich (2017). Zentralisierung der Kreisbüros (2017–2024). (ls.)