Die Corona-Kolumnen

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In den letzten Monaten haben die Einwohner von Küsnacht ihre Gedanken zum Lockdown mit der Öffentlichkeit geteilt - in der wöchentlichen Kolumne im "Küsnachter" sind sie zu Wort gekommen. Die Bibliothekarin, der Pfarrer, die Künstlerin. Und viele mehr. Hier sind sie nochmals - als Zeitdokument und Erinnerung an eine Ausnahmezeit.

In den letzten Monaten haben die Einwohner von Küsnacht ihre Gedanken zum Lockdown mit der Öffentlichkeit geteilt - in der wöchentlichen Kolumne im "Küsnachter" sind sie zu Wort gekommen. Die Bibliothekarin, der Pfarrer, die Künstlerin. Und viele mehr. Hier sind sie nochmals - als Zeitdokument und Erinnerung an eine Ausnahmezeit. 

 

Daniel J. Schüz, Korrespondent "Küsnachter"

Kurz vor sieben, Zeit zum Aufstehen.

Ich öffne das Fenster, begrüsse

den Tag – er verspricht, heiter

zu werden, ein Tag im Vorfrühling.

Einer, wie er gestern schon war

und morgen wieder sein wird.

Weich strömt das Morgenlicht herein.

Am Horizont steht die weisse

Kulisse der Berge. Im Garten

spriessen die Primeln. Auf der

Strasse führt der Nachbar Clooney

spazieren, seinen sanftmütigen

Sch.ferrüden.

Mir fällt auf, dass schon lange

kein Flugzeug mehr im Landeanflug

übers Dach gedüst ist. Ich reibe

mir den Schlaf aus den Augen –

und schon schiesst dieser alarmistische

Gedanke durch den Kopf:

Falsch! Du darfst dir nicht ins Gesicht

greifen. Hat der Bundesrat

gesagt. Schon gar nicht mit ungewaschenen

Händen. Händewaschen

ist das Gebot der Stunde –

noch vor dem Zähneputzen.

Es muss ein Traum gewesen

sein, einer von der Sorte, die man

am liebsten gleich wieder vergessen

möchte – und die sich gerade

deshalb so hartnäckig im Kurzzeitgedächtnis

einnisten. Wie ein Virus,

das sich an der Bronchialzelle

andockt. Oder war es ein Film? Einer

dieser Horror-Sciencefiction-

Streifen, die so schlecht sind, dass

sie erst nach Mitternacht programmiert

werden, meistens in einen

Albtraum münden – und manchmal

kein Ende finden.

«Sieben Uhr. Radio SRF Eins.

Nachrichten. … düdeldüdeldu.»

Steil ansteigende Infektionskurven,

tief abstürzende Börsenkurse.

Militär in den Spitälern, zehn Milliarden

Soforthilfe für die Wirtschaft.

Die Playoffs haben ausgespielt,

König Fussball hat abgedankt.

Annulationen statt Sportesultate.

Die Schulen geschlossen,

der Zoo auch, selbst bei Oma und

Opa sind die Türen zu. Der Zirkus

wird auch nicht kommen. Nur der

Böögg hat gut lachen; er wird nicht

hingerichtet. Und jenseits vom Atlantik

ruft der Narr im Weissen

Haus sich selbst aus. Nationaler

Notstand.

Nein – es ist kein böser Traum.

Auch kein schlechter Film. Dieser

Morgen ist alles andere als heiter.

Es ist Corona. Irgendwo da

draussen. Wahrscheinlich überall.

Ich schliesse das Fenster. Und

wasche mir die Hände.

 

Andrea Marco Bianca, reformierter Pfarrer

 

Corona hat unseren Alltag auf eine

unvorstellbare Weise verändert.

Wir wissen nicht mehr, woran wir

uns halten können. Jeden Tag kann

etwas auf uns zukommen, das uns

zu einer Änderung unserer Lebensweise

zwingt. Woran können wir

uns in dieser Zeit orientieren? An

den zehn Geboten in der Bibel? Ich

halte mich an diese, formuliere sie

aber anhand biblischer Werte für

die Coronakrise neu. Sobald die

wirtschaftlichen Nöte gegenüber

den gesundheitlichen Nöten weiter

zunehmen, brauchen sie ein Update.

Bis dann orientiere ich mich an

folgenden zehn Geboten als persönliche

Selbstverpflichtungen:

1. Ich lebe achtsam einen Tag

nach dem anderen, um dadurch im

einzelnen Moment weder die Vergangenheit

zu vermissen noch die

Zukunft zu fürchten.

2. Ich glaube bewusst an die

Verbindung einer höheren göttlichen

Macht mit unserer inneren

menschlichen Kraft, um die Krise

zu bewältigen.

3. Ich hoffe zuversichtlich auf

schnelle Fortschritte in der Medizin

und überraschende Erkenntnisse

in der Wirtschaft, um die Krise zu

beenden.

4. Ich liebe mich selber so sehr

wie meine Mitmenschen und halte

mich an alle geforderten Massnahmen,

um mich und sie zu schützen.

5. Ich danke jeden Tag dafür,

dass sich Mitmenschen im Gesundheitswesen

über ihre Grenzen hinweg

einsetzen, um Leben zu retten.

6. Ich bete täglich fragend oder

klagend, wenn mich die Massnahmen

emotional zu sehr bedrücken

oder finanziell zu sehr belasten.

7. Ich freue mich täglich über

eine Kleinigkeit, die ich bisher

übersehen oder als zu unwichtig

nicht geschätzt habe.

8. Ich kümmere mich täglich

nicht nur um meine körperliche,

sondern auch um meine seelische

und geistige Gesundheit.

9. Ich melde mich täglich bei

einem Menschen, mit dem ich weder

verwandt noch befreundet bin,

um mich zu erkundigen, wie es

ihm oder ihr geht.

10. Ich nutze jeden Tag die gewonnene

Zeit, um zu entdecken,

wie ich kreativer und die Gesellschaft solidarischer werden kann.

 

Werner Vogt, freier Autor

 

Mein Anti-Corona-Motto in dieser

schwierigen Zeit heisst «Business

as usual». – Natürlich bleibt es

dabei beim Versuch. Als Historiker,

spezialisiert auf die Geschichte

des 2. Weltkriegs, denke ich

dieser Tage sehr oft an die Engländer

im Jahr 1940. Als die

Bomben von Hitlers Luftwaffe auf

London hagelten, als ganze Strassenzüge

in Schutt gelegt wurden,

hängte an den Läden der Krämer

trotzig das Schild: «Business as

usual» – «geöffnet, wie immer».

Ganz England war vereint hinter

den Helden der Royal Air Force.

«Wie immer» ist bei mir heutzutage

nur sehr wenig: Kater

Freddie, der lautstark nach seinem

Futter verlangt und meine

Zeitungen, die um 6 Uhr im

Milchkasten sind. Unangenehm

still ist es am Himmel. Zwar singen

die Vögel, was mich freut. Es

fehlen aber die grossen Vögel, die

Langstreckenmaschinen der

Swiss, etwa Flug LX 289 aus meiner

alten Heimat Johannesburg,

der pünktlich um 6.10 Uhr in Kloten

aufsetzt. Die Motorengeräusche

des Airbus A340 oder der

Boeing 777 habe ich in Küsnacht-

Itschnach nie als Störung,

sondern als gesundes Begleitgeräusch

einer brummenden Volkswirtschaft

empfunden.

Als selbstständig Erwerbender

– ich bin Buchautor, Kommunikationsfachmann

und Reiseleiter –

habe ich neben meinem Home Office

auch ein Büro im Geschäft.

Aber abgesehen von der morgendlichen

Zeitungslektüre und

der Fahrt nach Zumikon ist gar

nichts wie sonst. Im März leerte

sich mein Kalender schlagartig

geschäftlich wie privat.

Gerade weil ich auch zu normalen

Zeiten oft alleine in der stillen

Schreibstube arbeite, fehlen

mir die persönlichen Kontakte.

Der Rotary-Lunch vom Donnerstag

im Hotel Sonne – Weiterbildung

und Seelenbad. Ebenso die

Reitstunde in der Forch mit den

Freunden der Zunft Hottingen auf

dem Schimmel Osi.

Wir erleben harte Zeiten. Aber,

was immer kommen mag: Wie die

Aktivdienstgeneration von 1939-

1945 werden auch wir als Individuen

und als Gesellschaft gestärkt

aus dieser Krise hervorgehen. Liebe

Leserinnen und Leser vom

«Küsnachter»: Bliibed Sie gsund!

 

Appalachian's Dasha, Hund

Ich heisse Appalachian’s Dasha

und bin ein Nova-Scotia-Duck-Tolling-

Retriever-Hund. Mehr als dreizehn

Jahre ruhen bereits auf meinen

Pfoten. Mit meinen Meistersleuten

bin ich schon oft gereist und

habe mich in vielen Gewässern

wohlgefühlt. Ihr müsst wissen, der

Einsatz meiner Rasse galt ursprünglich

der Entenjagd.

Diese Arbeit habe ich nie ausgeführt,

da ich zu einem Familienhund

herangewachsen bin. Aufgrund

meiner Lebenserfahrung

habe ich bemerkt, dass sich in den

letzten Monaten einiges verändert

hat. Die Meistersleute verwenden

plötzlich Worte – etwas über Corona

haben meine Ohren vernommen

–, welche ich vorher noch nie gehört

habe. Auch beobachte ich,

dass mein Meister, welcher zu anderen

Leuten in Küsnacht gerne

Kontakt pflegt, diesen dabei die

Hände schüttelt und sie manchmal

umarmt, plötzlich auf Distanz geht.

Seltsam, dachte ich. Natürlich,

er ist auch älter geworden, und

vielleicht mag er wegen seines faltenreichen

Gesichts den Leuten

nicht mehr zu nahe kommen. Im

Wald beobachte ich, dass vermehrt

Familien grillieren. Meine hochsensible

Nase liebt die Grillplätze, lässt

sich doch manchmal noch etwas

Essbares finden. Leider gab es

plötzlich keine gemeinsamen Spaziergänge

mehr mit meinen Hundefreunden.

Ich kann nicht nachvollziehen,

weshalb dies geschehen

ist. Ob das mit den neuen Worten

zu tun hat, welche in meinem

Zuhause ausgesprochen werden?

Mein feines Gespür lässt mich

auch erkennen, dass ich, insbesondere

für meine Meisterin, an Bedeutung

gewinne. Vermehrtes Berühren

und Streicheln wird mir zuteil.

Anscheinend gelingt es mir in

dieser schwierigen Zeit, meinen

Meistersleuten durch meine Anwesenheit

zusätzliche Geborgenheit

zu bieten. Nun, ich muss gestehen,

auch ich bin alt geworden und

stehe vielleicht deshalb vermehrt

im Zentrum. Seit kurzer Zeit und

zu meiner grossen Freude sind

plötzlich gemeinsame Spaziergänge

wieder möglich. Da müssen bedeutende

Personen etwas geändert haben!

Mit kräftigem Wedeln bedanke

ich mich, eure Dasha.

*Aufgezeichnet von Martin

Bachmann, alt Gemeinderat

 

Ilka Allenspach, Bibliothekarin

Seit Mitte Januar beschäftigt uns das neue Coronavirus. Was als unfassbare Nachrichten aus China begann, hat inzwischen grosse Teile unserer Wirtschaft und unseres täglichen Lebens lahmgelegt. Für uns als Gemeindebibliothek ist es weniger ein existenzielles Problem, wie für viele Gewerbetreibende, sondern eher eine logistische Herausforderung. Gerade in dieser «leeren» Zeit helfen Bücher, sich abzulenken und in fremde Welten einzutauchen. Und Kinder und Jugendliche finden eine Beschäftigung in einer Schulzeit ohne Präsenzpflicht.

Aber wie kommen unsere geschätzten Leserinnen und Leser zu ihrer Lektüre, wenn auch wir auf behördliche Anordnung die Türen schliessen mussten? Ideen und rasches Handeln waren gefragt. Neu bieten wir eine tägliche Telefonauskunft an, und Neukunden können sich selbst registrieren. Vor allem aber bieten wir einen unentgeltlichen Heimlieferservice an. In einem Formular auf der Website der Bibliothek Küsnacht können bis zu zehn Medien notiert werden. Sofern uns die Bestellung wochentags bis 15 Uhr per Telefon oder Mail erreicht, wird sie möglichst noch am gleichen Tag ausgeliefert. Dafür ist jeweils ein Mitglied des fünfköpfigen Bibliothekteams zuständig.

Nach fünf Wochen «physical distancing» dürfen wir feststellen, dass das neue Angebot geschätzt und rege genutzt wird. Gefreut haben uns die vielen netten Rückmeldungen. Glück hatten wir bisher mit dem Wetter. Dank des Dauer-Sonnenscheins war es kein Problem, die Lieferungen trocken vor der Haustüre abzustellen. Eine grössere Herausforderung war ab und zu die Suche nach dem Lieferort – oftmals das letzte Haus in einer kleinen Nebenstrasse oder zuhinterst in einer Überbauung. Dass wir nicht immer die gewünschten Medien bringen können, bedauern wir. So werden öfters bereits andernorts ausgeliehene Medien bestellt. Trotz der positiven Erfahrungen mit dem Heimlieferservice fehlt uns der Kontakt mit den Kundinnen und Kunden und der direkte Austausch über Leseeindrücke. So hoffen wir, sie bald wieder in der Bibliothek begrüssen zu dürfen.

Beatrice Wäger Hayoz, Küsnachterin

Wir leben in einer schwierigen Zeit. Diesen aussergewöhnlichen Moment für die Welt – und auch für uns selber – sollten wir zum Anlass nehmen, um innezuhalten. Die kollektiven Ängste werden nun sichtbar. Dies zu erkennen, ist hilfreich, denn die Energiefelder bestimmen weitgehend das Geschehen und die Qualität der Kommunikation. Wird uns dies klar, verstehen wir, wie wichtig es ist, sich nicht von der emotionalen Infektion anstecken zu lassen.

Lenken wir bewusst unsere Aufmerksamkeit auf das Vertrauen in die Entwicklung des Lebens, erwächst aus der inneren Quelle eine stille Sicherheit, die sich dem, was werden will, öffnet. Jede Krankheit, jede Krise hat eine Bedeutung für die Welt und für jeden Einzelnen. Nutzen wir die Entschleunigung, um Fragen zuzulassen, die das Herz berühren:

Welche Beziehung habe ich zu mir und zu den Menschen, zur menschheitlichen Gemeinschaft und zur Natur?

Welche Bedeutung hat jede bzw. jeder von uns im komplexen Weltgeschehen?

Welche Prioritäten setzen wir, und welche Veränderung sollte ergriffen werden?

Wir sind gewohnt, für das Materielle Verantwortung zu übernehmen. Dabei haben wir die Seelenkultur vernachlässigt. Der Schritt von der Natur zur Kultur ist eine Lebenskunst, die dem Menschen anvertraut ist. In diesem Sinne ist die Seelenkultur

eine schöpferisch-künstlerische Gestaltung des eigenen Lebens: Sie ermutigt auch in schweren Momenten und verleiht der eigenen Wahl und Handlung Sinn.

Wir brauchen gerade jetzt eine tragfähige, schöpferische Seelenkultur der Mitmenschlichkeit. Daraus erwachsen Solidarität und Mitgefühl für die Schwierigkeiten der anderen. Dies ist die Kernkompetenz einer Seelenkultur, die ein Bewusstsein für das Ganze umfasst und Lichtpunkte ins Kollektiv setzt.

Es liegt an uns, mit Klarheit und Standfestigkeit das zu tun, was angebracht ist: Für eine tragfähige Seelenkultur Verantwortung zu übernehmen, entscheidet über das schöpferische Potenzial der Zukunft!

 

Elisabeth Abgottspon, Museumsleiterin

Seit November erarbeite ich zusammen

mit der Stäfner Szenografin

Barbara Pulli die nächste

Ausstellung im Ortsmuseum

Küsnacht. Wir präsentieren Alltagsobjekte

aus der Zeit zwischen

1900 und 1960 in einem

Ablauf von 24 Stunden, beginnend

um 6 Uhr mit dem Rasiermesser

bis um 5 Uhr durch die

Nacht mit Petrollampe und

Nachthemd.

Der Titel der Ausstellung lautet

«all#täglich – Museumsobjekte

als Zeitzeugen». Seit Mitte

März begleitet mich nun ein

neuer Blick bei der Auswahl der

Gegenstände, da der Alltag doch

so anders geworden ist. Corona

bringt auch den Tagesablauf

durcheinander. Was macht man

wann, wenn Zeiten und Räume

durcheinandergeraten, die Kinder

zu Hause bleiben, das Büro

in die Stube kommt? Rasiert

Mann sich überhaupt am Morgen

noch? Was machen die Kinder

ohne ihren Schulweg, fehlt

er ihnen?

Im virenfreien Zivilschutzbunker

stehe ich im Depot und

tauche ein in eine Welt vor 70

oder 100 Jahren. Rechenmaschinen,

Telefonapparat, Schreibmaschinen

– wie wäre wohl ein Homeoffice

um 1950? Verschiedene

Gesellschaftsspiele aus den

1940ern lassen mich darüber

nachdenken, ob die neue Häuslichkeit

nun auch mit neuen familiären

Qualitäten verbunden

sein könnte. In der Sammlung

befinden sich 120-jährige Inhalationsapparate.

Welche Objekte

werden wohl in 100 Jahren Zeitzeugen

der aktuellen Pandemie

sein?

Die Diskussion rund um

Schutzmasken fällt mir ein, und

dass Küsnachter Frauen selbst

Masken nähen. Eine dieser Masken

wird in die Sammlung des

Ortsmuseums aufgenommen.

Das alte Schild der Busstrecke

Zürich–Zollikon–Küsnacht vermeldet

«Halt auf Verlangen» –

ist das nicht gerade auch passiert?

Gespannt bin ich, wie es

dem Publikum in der Ausstellung

ergehen wird – hat es auch

einen anderen Blick auf den Alltag

entwickelt? Wie beeinflusst

uns diese Zeit längerfristig? Und

wann kann das Museum wieder

ein Ort der Begegnung sein?

Catrina Erb Polla, Gemeindeschreiberin

Bis vor Kurzem haben in der

Schweiz die meisten von uns das

Wort «Krise» nur vom Hörensagen

gekannt: aus Erzählungen der Eltern

und Grosseltern über die inzwischen

lange vergangenen Kriege in

der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts.

Oder aus Medienberichten

über Konflikte und Katastrophen,

die meist auf der anderen Seite

der Erdkugel stattfinden und deren

Bilder wir in der warmen Stube

vom Sofa aus konsumieren.

Dass die Krise innert kürzester

Zeit mitten unter uns, in der sicheren

Schweiz, weilen könnte – nein,

das haben sich die meisten von uns

nicht vorstellen können. Wie auch?

Wir leben seit Jahrzehnten in einer

einzigartigen Zeit von Wohlstand

und Sicherheit. Jetzt, wo die Krise

da ist, können wir aus ihr Erkenntnisse

und Erfahrungen gewinnen,

gute wie schlechte. Und wir lernen

viele Menschen von einer neuen Seite

kennen.

Natürlich gibt es immer solche,

welche aus der Krise einfach Kapital

schlagen wollen. Darunter sind etwa

diejenigen, welche sich, kaum ist

das Ärgste vorbei, lauthals zu Wort

melden und wissen, wie man alles

anders und besser hätte machen

können. Meistens sind das Personen,

welche während der gesamten

Zeit keinen einzigen Entscheid für

die Allgemeinheit fällen mussten. Ihre

Meinungen verbreiten sie am

liebsten direkt an Dritte, statt mit

den Verantwortlichen zu kommunizieren

– das Problem muss schliesslich

nicht gelöst, sondern nur bewirtschaftet

werden.

Auf der anderen Seite bringen

Krisen bei vielen Menschen das Beste

hervor. Ich finde es eindrücklich,

wie viel Entschlossenheit, Kreativität,

Gemeinsinn, Mut, Hilfsbereitschaft

und Improvisationstalent die

Küsnachterinnen und Küsnachter

und auch die Mitarbeitenden der

Gemeindeverwaltung in diesen Zeiten

an den Tag legen: sei es beim

Leisten von Nachbarschafts- und

Familienhilfe, bei der Arbeit in den

Krisenstäben der Gemeinde, beim

Entwickeln von neuen Ideen für das

Fortbestehen des eigenen Geschäfts,

beim Vermitteln von Kultur, beim

Erlernen digitaler Fähigkeiten oder

beim Erledigen der eigenen Arbeit

trotz stark erschwerter Bedingungen.

Das macht mich zuversichtlich,

dass wir diese Krise meistern werden

– was auch immer sie in den

nächsten Wochen, Monaten oder

gar Jahren noch bringen mag.

Annemarie Schmidt-Pfister, Kolumnistin "Küsnachter"

Als damals, in Vor-Corona-Zeiten,

das Hornen der Schiffe auf dem Zürisee

ausblieb – wie schwer haben

wir uns da getan, konnten nicht

glauben, dass der See auf Dauer so

still und starr liegen könnte! Heute

sind auch noch die Schiffe verschwunden,

vom Raddampfer bis

zum Ruderboot. Flugzeuge ziehen

ihre Striche kaum mehr in den

Himmel – so sehr wir früher über

sie schimpften, heute fehlen sie

uns. Ebenso wie der Coiffeur, der

Blumen- und der Buchhändler, der

nette Beizer und der ältere Herr

von nebenan, der jeden Morgen auf

dem Fahrrad vorbeifuhr und charmant

den Hut zum Gruss lupfte.

Und ja: Freunde und Familie eben,

vertraute Nähe, «social contact».

Stattdessen «social distancing» –

für mich jetzt schon das Unwort

des Jahres!

Als Teil der «Risiko-Gruppe» –

auch so ein Unwort! – bin ich in

freiwilliger Quarantäne, bleibe zu

Hause. Manchmal fühle ich mich

dabei wie ein Amselkind im Nest,

nur dass nicht die Vogeleltern, sondern

unsere Kinder Tag für Tag Säcke

mit wunderbarstem Futter im

Treppenhaus deponieren und den

Hund ausführen. Der nette Beizer

schickt seinen «arrosto» mit italienischen

Kräutern ins Haus. Das bewährte

Gourmethaus liefert Köstlichkeiten

nach Wunsch. Der Buchhändler

sendet ausgesuchte Lektüre,

die Apotheke Pillen und am Ostermorgen

liegt ein frischer Zopfhase

im Milchkästchen! Familie,

Freunde und Bekannte denken an

uns, telefonieren, skypen, mailen,

helfen und schicken Zeichen der

Verbundenheit. Den prächtigen

Bluescht dürfen wir im eigenen

Garten geniessen und haben plötzlich

Zeit – Zeit, Bücher zu lesen und

Artikel zu schreiben, Zeit sogar, mit

dem Partner Rommé auf dem Stubentisch

und mit dem Sohn ein

Scrabble per Internet zu spielen.

Bei alledem wissend, dass dieser

Zustand vielleicht etwas länger

dauern könnte – aber doch nicht

ewig. Wie privilegiert wir sind!

Ein «Ruck» müsse durchs Land

gehen, hat der deutsche Bundespräsident

Herzog seinerzeit gefordert.

Dass aus dem Ruck dereinst

ein solches «Zusammenrücken»

würde, wer hätte das gedacht? In

der Tat: Wir sind «zämegruggt»,

Alte und Junge, solche, die sich

schon lange liebten und andere, die

sich kaum kannten. Dafür ganz einfach: DANKE!

 

Amba C. O'Hara Kaufmann, Lifecoach

 

Die Natur ist unsere Mutter – wir

alle sind aus ihrem Material. Sie

ist unsere Lebensgrundlage,

schenkt uns Wasser, Luft und

Nahrung. Und sie wird seit Jahrzehnten

vergiftet. Das wird auch

so kommuniziert – und leider

noch immer zu wenig ernst genommen

und in der politischen

Agenda noch zu oft aufgeschoben.

Die Bedrohung unserer Existenz

ist ein unangenehmes Thema.

Was macht das mit uns?

Nachrichten von Zerstörungen

führen zu tiefen Verunsicherungen.

Noch mehr, wenn wissenschaftlich

belegt wird, dass wir

alles im Griff haben. Angst ist ein

Grundgefühl der heutigen Zeit,

trotz all dem Fortschritt.

Covid betrat Anfang dieses

Jahres unsicheren Boden. Wuhan

ist eine der am meisten verschmutzten

Städte der Welt. Ein

Virus, das die Atemwege

schwächt, die schon längst massiv

belastet sind. Wuhan ist kein Einzelfall.

Zerstören wir uns selber

mit der Art, wie wir leben?

Die Angst ist berechtigt, denn

Covid lässt sich weder mit Technik

noch moderner Medizin aufhalten.

Sind wir gerade Zeugen,

wie die Stützen des Fortschrittes

versagen? Wie belastbar werden

diese Pfeiler sein, wenn weitere

Tonnen an Giften in die Böden,

Gewässer und Luft fliessen? Das

Gift der Flüsse endet letztlich in

uns. Das verstehen die Kinder auf

natürliche Weise. Unser archaisches

Körperwissen spürt das genauso.

Doch Angst bringt uns nicht

weiter. Angst lähmt. Sie führt zu

Verdrängung von dem, was uns

am meisten bedroht. Angst lässt

uns erstarren, weil wir noch keine

Kultur haben, mit ihr zu arbeiten.

Schieben wir sie weg, macht sie

uns stumpf und wir beschäftigen

uns mit allerlei Dingen, um uns

abzulenken. Beziehen wir sie in

unsere Reflexion mit ein, zeigt sie

uns genausten auf, wo es Anpassungen

braucht.

Angst kann uns auf die grossen

Zusammenhänge hinweisen,

damit wir uns so anpassen können.

Wir können Bedingungen erschaffen,

um uns wieder sicher zu

fühlen. Das bedeutet Richtungswechsel.

Hin zu einer Zusammenarbeit

mit der Natur. Sie ist unser

grösster Schutz.

 

Elsbeth Stucky, Korrespondentin "Küsnachter"

 

Meine Mutter entschied mit gerade

92 Jahren, dass es jetzt genug

des Lebens sei. Sie hörte auf zu

essen, wurde schwach und

schwächer, fiel um. Und kam etwas

angeschlagen, aber eigentlich

gesund, ins Spital.

Nachdem sie sich von uns allen

verabschiedet hatte – für immer

und auf ewig –, ging es wieder

aufwärts. Essen tat sie zwar

kaum, Tabletten nimmt sie aus

Prinzip nicht und Untersuche

verweigert sie sowieso. Verständlich

befanden die Ärzte, «ein Hotel

sind wir nicht». Meine Mutter,

schon immer entscheidungsstark,

sagte: «Jetzt gehe ich ins

Altersheim.» Bis anhin hatte sie

selbstständig gelebt.

Seit die Pflegenden in normalem

Ton mit ihr reden, findet sie,

alle seien nett. Denn unmissverständlich

hat sie kundgetan: «Ich

bin im Fall bei vollem Verstand.»

Essen tut sie auch wieder, trinkt

ihren Roten und beschäftigt sich

mit Stricken, Lesen und Rätsellösen.

Im Zimmer will sie wenig

Persönliches: «Lange bleibe ich

hier sowieso nicht.»

«Wir Alten sind zu nichts

mehr nütze», sagt sie, «wir werden

zu gut umsorgt, so kann man

nicht sterben. Es werde aktiviert,

gefüttert, gehegt und gepflegt

und alle wollen eigentlich nur eines:

Heim. Und alle müssen bleiben.

Denn alleine gehts halt nicht

mehr.

Meine Mutter fügt sich entspannt

ein in diese letzte Station

ihres Lebens. Solange sie nicht

gezwungen werde, in der Gruppe

zu kochen oder an Unterhaltungsnachmittagen

teilzunehmen,

sei es gut, sagt sie. Im Moment

besteht da sowieso keine

Gefahr. Und Corona? «Ach hör

mir auf damit, wir haben den

Krieg und die Klauenseuche erlebt.

»

Letzthin habe sie gedacht,

«nun steht der Allmächtige vor

mir». Aus Versehen habe sie den

roten Knopf gedrückt. Eine

Nachtwache mit Maske sei urplötzlich

an ihrem Bett gestanden.

«Rosemarie, willst du schon

aufstehen?» Geduzt habe er sie,

das stört sie zwar gar nicht, aber

sie habe gehofft, ihre Zeit sei gekommen.

Wieder nichts, aber gedanklich

arbeitet sie weiter darauf

hin.

 

Manuela Moser, Redaktionsleiterin "Küsnachter"

Wir haben bedrückte Zeiten hinter

uns – und vielleicht ja auch

noch vor uns: Corona-Zeit. In dieser

Kolumne sind in den vergangenen

Wochen Küsnachterinnen

und Küsnachter zu Wort gekommen.

Sie sollten erzählen, wie es

ihnen in dieser aussergewöhnlichen

Zeit geht. Sie sollten eine

Stimme bekommen und ein Zeitdokument

für die Ewigkeit liefern,

zumindest für die Zeit, wenn wir

einmal zurückschauen und es

vielleicht fast nicht mehr glauben

können, dass wir in der sicheren

Schweiz – in unserer wohlbehüteten

Welt – so eine bedrohliche Situation

erleben mussten.

Eben habe ich nochmals die

vergangenen Corona-Kolumnen

durchgelesen. Es gab da so viele

Facetten, von einem freien Journalisten,

der Gemeindeschreiberin,

einer Bibliothekarin. Wir hatten

auch eine Naturheilerin, den

Alt-Gemeinderat, einen Buchautoren,

den Pfarrer, die Museumsleiterin.

Und es «sprach» sogar einmal

ein Hund, augenzwinkernd

aus seiner Sicht, für ihn war diese

Zeit vor allem eine Zeit mit viel

mehr Streicheleinheiten. Denn

Herrchen und Frauchen waren ja

immer zu Hause.

Vorbei ist die Corona-Zeit noch

nicht. Vielleicht stehen wir ja sogar

vor einer neuen Welle. Aber:

Die Schulen haben wieder geöffnet,

erste Versammlungen finden

statt, wir können uns wieder auf

ein Bier treffen. Wenn Corona

noch ist, so ist zumindest alles

wieder normaler geworden. Vielleicht

so normal, wie es nun normal

bleiben wird. Oder anders gesagt:

Die Zeit nach Corona wird

nie mehr die gleiche sein wie die

davor. Alles hat sich verändert –

und dies vielleicht für immer, oder

zumindest für eine sehr lange

Zeit. Wir waschen uns die Hände,

wir halten Distanz, wir tragen

Masken, wenn wir viele sind.

Und wir haben auch viel gelernt,

über uns und unsere Mitmenschen.

Sie berührten uns. Auch

die Kolumnen im «Küsnachter» haben

berührt – mich jedenfalls. Ich

hoffe, Sie auch. Das Dorf hat zusammengehalten,

das Menschliche

ist hervorgetreten, wir haben einander

durch geteilte Erlebnisse

über diese Zeit geholfen. Vielen

Dank an alle Autorinnen und Autoren.

Und wer die Kolumnen nochmals

lesen will: Es gibt sie online

unter www.lokalinfo.ch.