«Die Frischlinge» planen Revolution im Detailhandel

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Eine Gruppe junger Menschen besticht mit der Idee eines Mitgliederladens mit nachhaltigen Produkten des täglichen Lebens. Das schweizweite Pionierkonzept beinhaltet ein Abo, dank dem man faire und ökologische Produkte ohne hohe Margenkosten einkaufen kann.

Die grossen Plakate fallen in ganz Zürich auf. «Weil Selbstgemachtes am besten schmeckt. Eistee aus meinem Laden.» Oder: «Ich bleibe Migros-Besitzerin.» Alex (die Abkürzung von Alexandra) Meili und Jonas Walther schmunzeln über diese Werbung. Die Migros ist so ziemlich das Gegenteil von ihrer Geschäftsidee. Doch davon später.
Alex und Jonas sitzen gut gelaunt im Restaurant Nordbrücke in Zürich-Wipkingen. Sie gehören zum fünfköpfigen Kernteam, das die Genossenschaft «die frischlinge» vor rund zehn Monaten gegründet hat. «Wir möchten eine Einkaufsmöglichkeit, wo wir die Produkteauswahl aus sozial und ökologisch nachhaltige Herkunft selber bestimmen können», legt Alex los. Das Kernstück des Konzepts sei ein Zwei-Preis-Modell und eine partizipative Struktur. Die Idee besticht: Schon rund 150 Genossenschafter sind in den vergangenen Monaten Teil des Ladenprojekts geworden. «Wer ein Abo für rund 50 bis 80 Franken pro Monat kauft, finanziert den Ladenbetrieb und kann mit durchschnittlich 35 bis 40 Prozent Preisnachlass einkaufen», erklärt Alex weiter. Dies entspricht der sonst üblichen Marge bei anderen Läden und Grossverteilern. «Einkaufen bei uns rechnet sich schnell», ist die 25-Jährige überzeugt. Monatlich gebe man pro Person 300 Franken aus, mit Bio-Produkten schon mal 400 bis 500 Franken. Tatsächlich scheint das für die Schweiz neuartige Geschäftsmodell zumindest für die Mitglieder finanziell durchaus interessant zu sein. Dazu kommt die berücksichtigte Ethik: «Wir wollen Erzeugnisse aus saisonaler und regionaler Produktion bevorzugen, die wir möglichst direkt vom Produzenten beziehen», betont Jonas. Der studierte Soziologe ist sich aber bewusst, dass dies nicht immer so einfach sei. Immerhin: «Ein Olivenölproduzenten aus Griechenland war letzthin bei uns. Er gewährleistet faire Produktion und fairen Handel», erzählt der 27-Jährige.

Avocado? Es gilt, die Balance zu finden
Und die viel diskutierte, weit gereiste Avocado? «Da müssen wir, wie bei den Bananen auch, eine Balance finden zwischen dem nachhaltigen Konzept und den Wünschen der Mitglieder», räumt Jonas ein. «Wir möchten eng mit Zürcher Bio-Läden und zum Beispiel mit dem Lieferanten Pico-Bio zusammenarbeiten», ergänzt Alex. Erfreulich sei, dass Pioniere wie etwa der «Bachsermärt»-Gründer Patrick Honauer beratend zur Seite stünden, wie auch die Betreiber des Bio-Ladens «l’Ultimo-Bacio» an der Nordstrasse. Alex hält fest, «dass wir keine Konkurrenz, sondern ein anders Angebot sein wollen». Also kein Laden, der fast immer offen habe wie «l’Ultimo-Bacio» und weniger ein Reformhaus, das auf Spezialitäten setzt. Apropos: Ist nun Bio besser oder Fairtrade? «Eine fiese Frage», sind sich Alex und Jonas einig. Oft hänge das zusammen, aber wenn Bio-Weissmehl als Herkunftsdeklaration «Kanada oder Europa» aufweise, seien Fragen berechtigt. «Wir wollen mit unserem Frischlinge-Projekt auch eine Diskussion über die Herkunft und Produktion anstossen», so Alex. Dazu organisiere man im künftigen Laden Veranstaltungen über genau diese Themen oder beteilige sich an Quartierfesten. Auch damit will man sich von Grossverteilern und Detaillisten abgrenzen. Da das Startkapital von rund 60 000 Franken – via Anteilscheinverkauf – relativ schnell zusammenkam, ist eigentlich alles bereit für den Start. Budgetiert pro Monat sind vorderhand rund 6000 Franken, für die Lokalmiete und die Schaffung einer 50-Prozent-Stelle für die Ladenleitung.

Noch fehlt das Ladenlokal
Der Name «Frischlinge» assoziiert durchaus die heute kennengelernten «jungen Wilden» sowie «die frischen, heimischen Produkte». Und der Bezug zu Obelix Leibspeise, junge Wildschweine oder eben «Frischlinge»? Alex lacht: «Mir gefällt der Bezug zu den unbeugsamen Galliern. Wir sind anders und denken wild.» Sobald ein Ladenlokal gefunden ist, wollen «die Frischlinge» loslegen. Idealer Standort: die Stadtzürcher Kreise 3, 4, 5, 6 oder 10. Warum nicht in Zürich Nord? «Viele der Genossenschafter wohnen und arbeiten in besagten Kreisen, die Wege sollten nicht zu weit sein», erklärt Jonas. Man sei aber offen, später einen Ableger im boomenden Norden zu gründen. Übrigens: Der Laden wird auch Nichtmitgliedern zum Einkaufen offenstehen. Darum werden die Produkte auch mit zwei Preisen angeschrieben sein. Eine clevere Marketingidee zur Mitgliederwerbung. Willkommen sind freiwillige Helfer im Verkauf oder bei der Organisation, auch stundenweise. «Schön wäre der Start im Mai, wenn alles spriesst», lachen Alex und Jonas. Nun müssen sie weiter. Es sind noch einige Ladenlokale anzuschauen. (ls.)

Das sehr transparent kommunizierte Projekt ist auf

www.frischlinge.ch

dokumentiert.