Die kalte Jahreszeit endlich wieder nach Zürcher Art vertreiben

Erstellt von Lorenz von Meiss |
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Nach zweijährigem Unterbruch kann das Sechseläuten dieses Jahr wieder in gewohnter Weise stattfinden. Victor Rosser, Sprecher des Zentralkomitees der Zünfte Zürichs (ZZZ), erzählt im Interview, wie die Zünfte mit dem Unterbruch umgegangen sind und was die Besucher dieses Jahr erwartet.

Wie sind die Zünfte mit der zweimaligen Verschiebung des Sechseläutens 2020 und 2021 umgegangen?

Die Einschränkungen wegen der Covid-Pandemie haben natürlich auch das Zunftleben stark beeinträchtigt. Vor allem während der Monate, als man gar keine Anlässe organisieren durfte. In den Vorsteherschaften wurden die Sitzungen online durchgeführt, damit die ordentlichen Vereinsgeschäfte trotzdem abgewickelt werden konnten. Am Sechseläuten usw. traf man sich in kleinen, erlaubten Gruppen, um das Brauchtum und die Freundschaften zu pflegen. Auch wurden originelle Filmchen von Pocketböögg-Verbrennungen und ganzen nachgestellten Umzügen online in die Runde verschickt.

 

Wann gab es letztmals eine derartige Absage des Sechseläutens?

Der kurzfristige totale Verzicht auf ein Sechseläuten war 2020 geschichtlich einmalig. In früheren Krisenjahren gab es aber auch schon Ausfälle des öffentlichen Teils des Sechseläutens, zum Beispiel wegen Cholera, Spanischer Grippe oder der Weltkriege. Und auch der Böögg konnte seit 1900 nicht immer auf der Sechseläutenwiese oder dem heutigen Sechseläutenplatz verbrannt werden. Wegen der Anbauschlacht im Zweiten Weltkrieg wurde die Wiese am Bellevue zum Anbauen von Lebensmitteln gebraucht und der Böögg musste auf die Mauer im Hafen Enge ausweichen, wo er 1944 ins Wasser fiel, bevor er explodierte.

 

Was haben Sie in diesen zwei Jahren gelernt betreffend Organisation?

Wir im ZZZ, das übrigens 2021 das 150-Jahr-Jubiläum gefeiert hatte, haben gelernt, den vielen Unsicherheiten mit Flexibilität und Optimismus zu begegnen. Und wie man ein «Unmöglich» in ein «Also probieren wir es» umwandelt. Sonst wäre letztes Jahr die Bööggverbrennung in Uri gar nicht realisierbar gewesen. Der Zeitaufwand war dann verständlicherweise viel grösser als für ein eingespieltes Sechseläuten in Zürich. Auch für dieses Jahr mussten wir doppelspurig planen, weil wir auch ein Alternativ-Szenario «Sechseläuten light» entwickelt haben.

 

Wie schon erwähnt, wurde der Böögg letztes Jahr in der Schöllenen im Kanton Uri verbrannt. Wie kam es dazu?

Nachdem 2020 kein Böögg verbrannt werden konnte, wollten die Zunftmeister und das ZZZ unbedingt 2021 den Böögg verbrennen. Wegen der «Bleiben Sie zuhause»-Empfehlung des Bundesrats mussten wir aber einen Ort suchen, wo wir die Zuschauer fernhalten konnten. Das ging am besten in einer Schlucht, die ohne grossen Aufwand gut abgesperrt werden konnte. Und die Idee, die Teufelsbrücke mit dem Coronavirus zu kombinieren, hat uns auch gefallen. Weil der Gastkanton Uri, der 2020 vorgesehen war, nun auch 2021 wieder nicht kommen konnte, wollten wir deren Treue belohnen und den Böögg in der Schöllenen verbrennen und zum allerersten Mal nicht in Zürich.

 

Der Kinderumzug ist für die Bevölkerung immer ein Highlight. Wie gross war das Unverständnis bei den Jüngsten, zweimal aussetzen zu müssen?

Bei den Jüngsten war die Enttäuschung wohl am grössten. Wir sind deshalb froh, dass dieses Mal am Sechseläutensonntag auch der Kinderumzug wieder stattfinden kann. Für die Kinder, die ab 5-jährig mitlaufen dürfen, ist das ein riesiger Wunsch und ein grosses Highlight. Stellen Sie sich ein Kind vor, das sich 2020 gefreut hatte, zum ersten Mal am Umzug teilnehmen zu dürfen, und dann drei Jahre darauf warten musste. Eine unverständlich lange Wartezeit in diesem Alter! Wir hoffen aber nun, trotz Sechseläuten mitten in den Frühlingsferien, auf viele teilnehmende Kinder. Die Informationen über die Kostümvermietung und die Reservation der Anprobetermine sind online verfügbar.

 

Zwischenzeitlich stand ein Sechseläuten «light» ohne Umzüge zur Diskussion. Wäre das überhaupt noch ein Sechseläuten gewesen und wie hätte sich dieses gestaltet?

«Lieber ein Sechseläuten ohne Umzüge als wieder gar kein Sechseläuten», das war die Überlegung bei den Zunftmeistern. Seit Herbst 2021 planten wir deshalb ein Sechseläuten «light», denn eine Bewilligung der Umzüge war unter den damals geltenden Covid-Schutzbestimmungen nicht denkbar. Auch wäre ein Umzug zwischen Absperrgittern und ohne Blumen und Umarmungen sehr ungewohnt gewesen. Für die Bööggverbrennung auf dem Sechseläutenplatz hätte dies einen grossen personellen und logistischen Aufwand bedeutet. Absperrgitter und Sichtschutzwände hätten rund ums Bellevue aufgestellt werden müssen und die Zünfter und die Zuschauer wären an Kontrollpunkten auf das Covid-Zertifikat geprüft worden. Das wäre natürlich kein richtiges Volksfest mit bis zu 80 000 Besuchern geworden. Aber es hätte immerhin wieder ein Festakt um 18 Uhr auf dem Sechseläutenplatz gegeben.

 

Wie hat sich Ihre Aufgaben im ZZZ in diesen zwei Jahren gestaltet?

In unsicheren Zeiten gestaltet sich auch  die Kommunikation um einiges schwieriger und wir haben alle gelernt, wie unberechenbar die Covid-Entwicklung in den letzten zwei Jahren verlief. So musste ich diesen Januar auch veröffentlichen, dass dieses Jahr keine Umzüge stattfinden können. Doch schon einige Tage später änderte sich die Situation und wir konnten uns wieder daran machen ein normales Sechseläuten mit Umzügen zu planen und in die Bewilligung zu geben. Das bedeutete für mich, dass sich die Kommunikation wieder optimistisch den Attraktionen des Sechseläutens widmen kann.

 

Welche Besonderheiten erwartet die Besucher dieses Jahr am Sechseläuten?

Vom 22. bis 25. April feiern wir hoffentlich wieder ein normales Sechseläuten mit Kinderumzug, Zug der Zünfte und dem Gastkanton Uri, der während 4 Tagen in Zürich zu Gast sein wird, sowie der Böögg-Verbrennung auf dem Sechseläutenplatz. Wegen der kürzeren Vorbereitungszeit wird es beim Verkauf der Sitzplätze entlang der Umzüge eine Neuerung geben. Als Test und als Schritt in die Zukunft werden die Sitzplatzkarten ab 4. April online über die Sechselaeuten.ch-Website verkauft, ebenso das Magazin. Als Unterstützung für Leute ohne Zugang oder Lust zu elektronischen Bestellmöglichkeiten wird es aber doch noch während dreier Tage einen Verkauf in der Schalterhalle der Zürcher Kantonalbank an der Bahnhofstrasse geben.

 

Ist das Sechseläuten 2022 ein weiteres Kapitel im «Brückenschlag» zwischen Uri und Zürich?

Beim «Brückenschlag» treffen sich in periodischen Abständen Mitglieder des Landrats von Uri mit Parlamentarierinnen und Parlamentariern des Gemeinderats der Stadt Zürich. Seit 1998 mit dem Ziel, partnerschaftlich und nachhaltig das Verständnis zwischen Stadt und Land zu vertiefen und zu fördern. Natürlich werden die als Ehrengäste eingeladenen Politikerinnen und Politiker beider Seiten ihre persönlichen Kontakte auch am Sechseläuten weiter pflegen, einerseits am «Umzug für Volk und Stände» vom Montag, aber auch an den vier Tagen auf dem Lindenhof. Denn zusammen feiern, ist wohl die schönste Art der Freundschaftspflege.

 

(Das Interview wurde schriftlich geführt)