Diese Zürcher Sportlerinnen und Sportler hoffen auf Olympia

Erstellt von Lorenz Steinmann |
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116 Schweizer Athletinnen und Athleten dürfen an die Olympischen Spiele in Tokio. Davon wohnen sechs Sportlerinnen und Sportler im Raum Zürich. Welche Chancen hat «Zürich» an diesen Wettkämpfen unter Pandemiebedingungen?

«Das olympische Feuer wird nicht vorhanden sein», dämpft der Triathlet ­Andrea Salvisberg aus Wallisellen die Fanhoffnungen. «Alle Sportler werden eingesperrt sein, man darf nicht mit anderen unterwegs sein», so der 32-jährige Olympionike gegenüber dieser Zeitung. Anderer Ansicht ist Joana Heidrich aus Kloten. Für sie trübt Corona die Vorfreude nicht. Sie sei vorsichtiger, aber die Situation sei ja für alle Sportlerinnen und Sportler gleich. Trotzdem bringen Salvisberg und Heidrich die Situation wegen des Coronavirus auf den Punkt. Denn für die Olympiade vom 23. Juli bis am 8. August gilt rund um Tokio die höchste ­Isolierungsstufe. Alle Wettkämpfe werden ohne Fans abgehalten, ebenso ist der traditionelle Austausch zwischen den Athletinnen und Athleten, der den viel zitierten Team-Spirit erzeugen soll, nicht erlaubt. Dabei sollten die wegen Covid-19 um ein Jahr verschobenen Olympischen Sommerspiele ein grosses Fest für Sportlerinnen und Sportler sowie für die Fans werden. Praktisch alle Wettkämpfe finden in einem Radius von acht Kilometer um das olympische Dorf statt. Nun ist aber der komplette Ausschluss der Fans Tatsache geworden, wie der japanische Premierminister Yoshihide Suga sagte. Sonst wäre ein enormer Anstieg der Infektionszahlen die Folge. In Tokio wird es also Geisterspiele geben, ohne das motivierende Anfeuern. Im Prinzip wurden auch die neuen Stadien mit den riesigen Zuschauertribünen umsonst gebaut. Das sollte aber die Zuschauerinnen und Zuschauer vor den TV-Geräten nicht weiter stören. Zu berücksichtigen ist aber der Zeitunterschied zu Japan. Dieser beträgt zu Mitteleuropa plus 7 Stunden. 

Eine kleine, aber feine Delegation
Doch zurück zu Triathlet Andrea Salvisberg und zu Beachvolleyballerin Joana Heidrich. Sie sind zwei von 116 Schweizer Athletinnen und Athleten, welche an die Olympischen Spiele nach Japan dürfen. Einigermassen erstaunlich ist, dass lediglich sechs Sportlerinnen und Sportler im Raum Zürich wohnen. In der Stadt selber sind sogar nur der Radrennfahrer Gino Mäder sowie die Schwimmerin Lisa Mamié zu Hause. Aus Wallisellen kommt Andrea Salvisberg und aus Kloten die Geschwister Joana und Adrian Heidrich. Die beiden starten an Olympia im Beachvolleyball, je in einem Zweierteam. 
Welche Chancen hat diese kleine Zürcher Delegation im Kampf um die Medaillen oder zumindest einem olympischen Diplom, das es bis zum achten Rang gibt? Wir haben nachgefragt, bei Lisa Mamié, bei Andrea Salvisberg, bei Joana Heidrich und bei Gino Mäder. Dabei wurde schnell klar: Die kleine, aber feine Abordnung von Zürich und Umgebung will mehr als nur dabei sein bei Olympia.  

Mamié: «Olympia ist ein Kindheitstraum»
Lisa Mamié (22) trainiert vor allem im Hallenbad Oerlikon. Schon 2011 gewann sie das Rennen um «de schnällscht Zürifisch». Sie liess damals auch alle männlichen Kontrahenten hinter sich. Heute hält sie den Schweizer Rekord im Brustschwimmen über 100 Meter und 200 Meter (Langbahn) bzw. über 50 Meter und 100 Meter (Kurzbahn). Bei den Europameisterschaften 2021 gewann sie in ihrem ersten EM-Final die Silbermedaille über 200 Meter Brust. «Dass ich in diesem Jahr selber mit dabei sein darf und die Schweiz repräsentieren kann, ist ein Kindheitstraum, der in Erfüllung geht», sagt sie zu dieser Zeitung. Trotz Corona und der Schutzmassnahmen in Tokio sei die Vorfreude sehr präsent. «Die Schutzkonzepte sind sehr strikt und deswegen bin ich überzeugt, dass es trotz Corona sichere Spiele werden und das ist natürlich das Wichtigste.» Mamié kann sich noch gut erinnern, wie ihre Schwester und sie mitten in der Nacht jeweils aufgestanden sind, eine Luftmatratze, die eigentlich fürs Wasser gedacht ist, vor den Fernseher platzierten und noch halb im Schlaf die Schwimmfinals schauten. Für Mamie ist Zürich ihr Zuhause, wie sie betont. Sie ist hier geboren und aufgewachsen. «Mein Wohnort vermittelt mir die Ruhe und Gelassenheit, die ich brauche, und ich freue mich, jedes Mal wieder nach einer Reise zurück nach Hause zu kommen», so Mamié, die italienische und französische Sprach- und Literaturwissenschaften an der Uni Zürich studiert.

Salvisberg: «Ich strebe eine Medaille an»
Andrea Salvisberg ist ein Olympionike. Sprich, er war schon 2016 in Rio de Janeiro dabei – und holte im Triathlon den 16. Rang. «Rio war megaschön, aber jetzt strebe ich die Top 8, wenn nicht gar eine Medaille an», so der 32-Jährige, der seit 2014 in Wallisellen lebt. Dass er sehr  sportlich ist, beweisen seine Topresultate 2020: Vize-Schweizer-Meister über 10 000 Meter hinter Tadesse Abraham und Schweizer Meister im Halbmarathon. Zu Olympia 2021 hat er wegen Corona ein gespaltenes Verhältnis. «Schnell hinfliegen, schnell das Rennen absolvieren, schnell zurückfliegen, dann hier geniessen», lautet der Plan von Salvisberg. Wegen der strengen Coronavorgaben werde man nicht viel von Tokio mitbekommen. Und die prognostizierte schwüle Hitze in Japan? Salvisberg hat viel in einem sogenannten Hitzezelt trainiert, wie auch seine Teamkollegin Nicola Spirig. «Ich war selber überrascht, wie viel an Schweiss und Gewicht man verliert. In einer Stunde habe ich drei Liter herausgeschwitzt», hat der gebürtige Emmentaler festgestellt.  Aber genau so müsse man trainieren, denn genau so werde es sein in Tokio. 
An Wallisellen schätzt Salvisberg die für ihn perfekten Trainingsbedingungen. Unpassend für ihn ist lediglich, dass der Schweizerische Triathlonverband das Leistungszentrum von Wallisellen nach Sursee im Kanton Luzern verlegen wird. «Für mich ist Wallisellen ein so wichtiges Zuhause, dass ich ein eigenes Trainingszentrum aufbauen möchte», betont er.  

Mäder: «Wir werden uns aufopfern»
Gino Mäder wohnt mitten in Zürich, in Altstetten. Er gehört diese Saison zu den weltbesten Radrennfahrern. Mäder (24) ist ein ausgewiesener Bergspezialist, fährt aber auch auf der Bahn stark. 2021 hat er mit je einem Etappensieg beim Giro d'Italia und bei der Tour de Suisse für Furore gesorgt. Nun strebt er zusammen mit seinen Nationalteam-Kollegen Stefan Küng, Michael Schär und Marc Hirschi auch am olympischen Strassenrennen am 24. Juli eine Medaille an. «Wir werden ein starkes Team haben, und wir werden uns für unseren Leader aufopfern», so Mäder. Ob er dann «die Karte zum Spielen bekomme», werde man vor Ort entscheiden. Vor der schwülen Hitze in Japan hat er wenig Angst: «Ich werde noch ein paar Tage in der süditalienischen Hitze Rennen fahren und mich so an die Hitze gewöhnen. Zudem kleide ich mich ein wenig wärmer als sonst, um ein bisschen stärker zu schwitzen daheim», sagt der gebürtige Flawiler im Kanton St. Gallen. 
Zürich schätzt er, weil er sich hier zurückziehen kann. «Ich bin gern allein und daheim. Den See mag ich aber sehr und auch der Uetliberg hat es mir angetan.» Mäder, der für das Team «Bahrain Victorious» fährt, hat beste Kindheitserinnerungen an Olympia: «2008 durfte ich mit Erlaubnis meiner Eltern den Unterricht schwänzen, um das Madison-Bahnrennen in Peking zu verfolgen. Das war schon cool, mein Idol Bruno Risi zu sehen und mitfiebern.» Nun hofft Mäder, in Tokio in die Fusstapfen seines Idols zu treten. 

Joana Heidrich: «Halbfinale als Ziel»
Joana Heidrich wurde 2020 zusammen mit Anouk Vergé-Dépré Europameisterin im Beachvolleyball. An den Olympischen Spielen in Rio 2016 holte Heidrich mit dem fünften Rang ein olympisches Diplom. Für Tokio hat sich das seit 2017 bestehende Duo das Halbfinale als grosses Ziel gesetzt. Heidrich freut sich riesig auf Olympia, wie sie im Interview sagt. «Corona trübt die Vorfreude nicht. Ich bin vielleicht einzig etwas vorsichtiger mit meiner Freude, weil ich nicht genau weiss, was mich erwartet», so die 190 Zentimeter grosse Athletin. Speziell sei, dass nicht einmal die lokale Bevölkerung dabei sein könne. «Aber die Situation ist für alle gleich», gibt sich Heidrich optimistisch. Die 29-Jährige ist in Gerlisberg, einem Teil von Kloten, aufgewachsen. Das erste Mal hat sie die Olympischen Spiele 2004 im Fernsehen so richtig mitverfolgt. «Da habe ich auch Beachvolleyball geschaut und war begeistert vom Spiel von Heuscher/Kobel. Als ich sie spielen sah, dachte ich mir: Das will ich auch!» – Nun ist Joana Heidrich schon zum zweiten Mal dabei, mit reellen Medaillenchancen. Heidrich wohnt unter der Woche trainingsbedingt in Bern. Sie ist aber eng mit Kloten verbunden: «Hier habe ich meine Wurzeln und meine Familie und engsten Freunde kommen aus der Region.» Joana Heidrich hat mit ihrem Bruder Adrian einen ebenso talentierten Beachvolleyballer in der Familie. Auch er wurde für Olympia selektioniert. Der 2,07 Meter grosse Athlet tritt mit Mirco Gerson an.