Drei Freunde üben sich im Streiten

Erstellt von Céline Geneviève Sallustio |
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Frei nach der Frage «Ist das Kunst oder kann das weg?» ist das Erfolgsstück «Kunst» von Yasmina Reza im katholischen Pfarreizentrum Küsnacht aufgeführt worden. Nebst vielen Lachern kamen die Zuschauer auch ins Sinnieren darüber, was es für eine gute Freundschaft braucht.

Drei Freunde betrachten eine scheinbar weisse Leinwand, ein Kunstwerk. Der eine fassungslos, der zweite begeistert und der dritte ratlos. Die komische Szene ist Teil des Theaterstücks «Kunst» von der französischen Autorin Yasmina Reza, das vergangenen Freitagabend im katholischen Pfarreizentrum Küsnacht aufgeführt worden ist. Die Kulturkommission Küsnacht lud zur aktuellen Produktion des «Theater Kanton Zürich» ein, das am 1. Oktober sein 50-Jahr-Bestehen feierte.

Kunst – insbesondere zeitgenössische – polarisiert: Erst gerade kürzlich sorgte Jens Haaning in Dänemark für eine Kunst-Aufregung: Hanning lieferte dem Kunsten-Museum im jütländischen Aalborg leere Rahmen und verlangte dafür 74 000 Euro. Mit diesem aktuellen und ­kuriosen Geschehen begrüsste der Küsnachter Gemeindepräsident Markus Ernst (FDP) zur Theatervorstellung. Dass Kunst und eben solche Aktionen wie ­diejenige des dänischen Künstlers polarisieren, sei der Grund dafür gewesen, dass sich die Gemeinde Küsnacht für die ­Aufführung von diesem Theaterstück ­entschieden habe.

«Ein Haufen Stück Scheisse»

Die drei Freunde, das sind Serge (gespielt von Pit Arne Pietz), ein Dermatologe, der Ingenieur Marc (Andreas Storm) und Yvan (Manuel Herwig), der kürzlich von der Textilbranche in die Papierbranche umgestiegen ist. Der kunstbegeisterte Serge hat sich für 100 000 Euro ein ­Gemälde gekauft: ein Bild mit Linien, verschiedenen Grautönen und Strukturen. Für Marc hingegen ist es einfach eine weisse Leinwand – «ein Haufen Stück Scheisse», wie er es nennt.

An diesem Bild entzündet sich ein Streit zwischen den drei Freunden, denn Serge begeistert sich für das Gemälde, Marc bekämpft es auf das Heftigste und Yvan will es sich mit keinem von beiden verderben und bezieht keine Stellung. Das Kunstwerk dient als Katalysator, mit dessen Hilfe Yasmina Reza auf psychologisch fein gezeichnete Weise die drei Männer, ihre Gefühle, ihre Befindlichkeit, ihre Freundschaft und ihr gesamtes bisheriges Dasein auf den Prüfstand stellt.

Aufruf zur Selbstironie

Yasmina Reza schreibt zu ihrem Stück: «Sinn für Humor zu haben, in der erhabenen Bedeutung des Wortes, also nicht nur über Witze zu lachen, sondern über sich selbst lachen zu können, ohne Tabu, und jederzeit von Lachen geschüttelt zu werden – das ist eine beneidenswerte Gabe.» Wer sie habe, sei vom Schicksal oder von den Göttern gesegnet.

Das Lachen würde das Vertrauen in uns selbst wieder herstellen, es erhebe uns über die Situation. Und weiter: «Das Drama von ‹Kunst› ist ja nicht, dass sich Serge das weisse Bild kauft, sondern dass man mit ihm nicht mehr lachen kann.» Das Schauspiel ist also ein Aufruf zur Selbstironie. Und: Trotz der unüberwindbaren Meinungsverschiedenheiten war die wortgewandte und urkomische ­Komödie auch eine Hymne auf die Freundschaft.

Während des 90-minütigen Theaterstücks wurde viel gelacht – weit mehr als auf der Bühne. Die rund 60 Besucherinnen und Besucher dankten dem Trio mit einem tosenden Applaus. Othmar Zeder aus Zürich meinte nach der Vorstellung: «Das Stück war verwirrend, komplex und doch durchschaubar.» Es habe den Zuschauerinnen und Zuschauern vor Augen geführt, wie zwischenmenschliche Beziehungen funktionieren und sie in ihrer vollen Komplexität wiedergegeben.

«Über ein wenig mehr Harmonie zwischen den drei Freunden hätte ich mich gefreut», sagt der 66-Jährige. Wie gefiel dem Gemeindepräsidenten das Theaterstück? «Die Dialoge der Freunde waren sehr spannend. Auch das Thema sprach mich an: In der Politik kenne ich das Phänomen nur zu gut, dass aus einer Mücke ein Elefant gemacht wird», so Markus Ernst. Aus einer Mücke einen Elefanten machen oder aufgrund Meinungsverschiedenheiten eine Freundschaft in Frage stellen; das Stück plädierte nicht ­zuletzt für etwas mehr Gelassenheit.