Drei Mythen rund um den Schnee

Erstellt von Silvan Rosser |
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Flockdown oder Snowdown waren die schnell gefundenen Bezeichnungen für die Starkschneefälle Mitte Januar. Zeit, um mit den Mythen rund um das Zürcher Winterwetter abzurechnen – etwa dem «Schwinter», dem schlechten Winter.

Beinahe zeitgleich mit dem zweiten harten Lockdown zur Eindämmung der Coronapandemie bewies einmal mehr auch das Wetter, dass es das öffentliche Leben und insbesondere den (öffentlichen) Verkehr im Handumdrehen zum Stillstand zwingen kann. Flockdown oder Snowdown waren die schnell gefundenen Bezeichnungen für die Starkschneefälle Mitte Januar 2021.

Tatsächlich spielte sich Seltenes in der Stadt Zürich ab, als zwischen dem 14. und 15. Januar innert 24 Stunden mehr als 30 Zentimeter Neuschnee fielen. Auf dem Zürichberg über 600 Meter über Meer, wo der Regen während der intensiven Niederschlagsphase schon rund zwei Stunden früher in Schnee überging, dürften es sogar rund 45 Zentimeter gewesen sein. Eine Analyse der Schneefälle in der Stadt Zürich zeigt auf, dass solch intensive ­1-Tages-Starkschneefälle nur alle 30 Jahre zu erwarten sind.

Winter meldete sich zurück

So viel Schnee lag seit sechs Jahren nicht mehr in der Stadt Zürich. Nach äusserst schneearmen Jahren meldet sich der Winter in diesem Jahr eindrücklich zurück. Einige erinnerten sich auch wieder an die Rekordschneefälle von Anfang März 2006 zurück. Damals summierten sich die Schneemassen in der Stadt Zürich bis auf 55 Zentimeter, wovon 52 Zentimeter innerhalb eines Tages vom Himmel fielen. Die Ausdrücke Flockdown und Snowdown waren damals allerdings noch nicht bekannt.

Jetzt ist der richtige Zeitpunkt, um mit Mythen rund um das Zürcher Winter­wetter abzurechnen.

Mythos 1

Der Mythos 1 lautet: Früher lag im Winter in Zürich während Wochen oder sogar Monaten eine Schneedecke:

Die «NZZ» lancierte kürzlich in der ­Rubrik Karpipedia den neuen Begriff «Schwinter». Er beschreibt einen schlechten Winter, der bedingt durch den Klimawandel warm, grau und feucht ist. «Der ‹Schwinter› beginnt im Herbst und endet im Frühling», so die «NZZ».

Doch sind «Schwinter» eine Neuerscheinung? Waren früher alle Winter richtige Winter mit Schnee, wie der Mythos besagt? In der Stadt Zürich werden seit dem Winter 1930/31, also seit rund 90 Jahren, systematisch Schneemessungen durchgeführt. In der Schneestatistik sind nur sieben Winter zu finden, in denen während zwei oder mehr Wochen am Stück eine geschlossene Schneedecke von mindestens 15 Zentimetern lag.

Die entsprechenden Winter sind alle in der Periode zwischen 1942 und 1986 zu finden. In den Wintern 1942 und 1963 wurde sogar eine mindestens 15 Zentimeter dicke Schneeschicht während mehr als einem Monat, exakt während 31 respektive 42 aufeinanderfolgenden Tagen, gemessen.

Allerdings waren längst nicht alle Winter dauerhaft schneebedeckt. Zwischen 1946 und 1951 und dann auch wieder zwischen 1957 und 1961 gab es kaum zusammenhängende Perioden mit einer Schneedecke von mindestens 15 Zentimetern. Zum Vergleich: Seit den Starkschneefällen Mitte Januar liegt nun seit mehr als einer Woche eine Schneedecke von mindestens 15 Zentimetern. Letztmals gab es das im Winter 1998/99. Die Jahr-zu-Jahr-­Variabilität war also schon immer sehr hoch.

Keineswegs gab es früher in Zürich eine Garantie für eine lang anhaltende Schneedecke im Winter. Auch früher gab es schon «Schwinter». Allerdings ist das kein Gegenbeweis zum Klimawandel. Denn dieser ist ebenfalls eindrücklich ersichtlich in der langjährigen Schneestatistik. Bei der Betrachtung von längeren Zeitabschnitten anstelle von einzelnen Jahren zeigt sich deutlich, dass die zusammenhängenden Tage mit einer Schneedecke in Zürich deutlich abgenommen haben.

«Schwinter» sind heutzutage viel häufiger als noch früher. Beispielsweise hat sich die Länge der winterlichen Perioden mit einer anhaltenden Schneedecke von mindestens 5 Zentimetern seit 1987 halbiert. Dauerten sie vor 1987 noch rund 22 Tage, haben sie sich in den letzten 30 Jahren auf zehn Tage verkürzt.

Mythos 2

Der Mythos 2 lautet: Der Winter hat sich in den Frühling verschoben.

Kälterückfälle und kurzlebige Schneefälle im Frühling gehören zum mittel­europäischen Klima. Insbesondere nach schneearmen Wintern ist es schwer verständlich, wieso der Schnee ausgerechnet dann kommen muss, wenn alle schon in Frühlingsstimmung sind. So entstand der Mythos, dass sich der Winter womöglich in den Frühling verschoben hat.

Der Blick in die Schneestatistik bestätigt diesen Mythos allerdings nicht. Im Gegenteil. In den letzten 30 Wintern seit 1991 war häufig Ende Februar Schluss mit Schnee. Nur in wenigen Jahren gab es jeweils im März noch einzelne Schneetage. Das war in den Wintern vor 1991 noch anders. Zum wiederholten Mal schneite es im März. Erst Ende März und im April wurden die Schneefälle selten. Der Winter hat sich folglich keineswegs in den Frühling verschoben. Nach wie vor besteht Mitte Februar in der Stadt Zürich die grösste Wahrscheinlichkeit für Schnee. In den Wintern vor 1991 war das auch schon so. Damals standen allerdings auch die Chancen für Schnee Mitte Januar sehr gut. Diese Tatsache ist in den Wintern ab 1991 trotz der Schneefälle im diesjährigen Januar nicht mehr ersichtlich.

Mythos 3

Der Mythos 3 lautet: Nie mehr richtig Winter wegen des Klimawandels.

Der Klimawandel schreitet unbeirrt voran. Meteo Schweiz gibt bekannt, dass das Klima der Schweiz von Jahrzehnt zu Jahrzehnt wärmer wird. Seit 1971 war jede Dekade wärmer als diejenige davor. Die soeben zu Ende gegangene Dekade 2011 bis 2020 war klar die wärmste Dekade seit Messbeginn 1864. Und Klimasimulationen zeigen, dass die Erwärmung auch in den nächsten Dekaden weitergehen wird. So behauptet manch einer, dass es wegen des Klimawandels nie mehr richtige Winter in Zürich geben wird. Der Mythos eines richtigen Winters wird stark von ausgesprochen schneereichen (siehe Mythos 1) oder eisigkalten Wintern mit Seegfrörni (1963) genährt.

Tatsächlich zeigen die Klimaszenarien CH2018 der Schweiz, dass die eisigkalten Tage (Eistage) und Neuschneetage in Zürich im Zuge des Klimawandels stark abnehmen werden. Wird im heutigen Klima pro Jahr noch mit knapp 25 Eistagen gerechnet, sind es in wenigen Jahrzehnten noch 15 und gegen Mitte Jahrhundert ohne Klimaschutz nur noch zehn Eistage pro Jahr.

Auch die Anzahl Tage pro Jahr mit Neuschnee nehmen durch den Klimawandel ab. Sind es heute noch rund 20 Tage mit Neuschnee pro Jahr in der Stadt Zürich, dürften es Mitte Jahrhundert ohne Klimaschutz noch rund elf sein. Damit sinkt naturgemäss die Wahrscheinlichkeit für eisigkalte und/oder schneereiche Winter.

Allerdings sind solch richtige Winter nicht ausgeschlossen. Die Jahr-zu-Jahr-­Variabilität bleibt auch in Zukunft gross. So ist denkbar, dass es auch Mitte Jahrhundert nach sieben Wintern mit kaum einem Eistag es auch selten noch einen gibt mit 30 oder mehr Eistagen im Gepäck. Gleiches gilt für den Schnee.

Der Januar 2021 hat gezeigt, was auch für eine Zukunft mit Klimawandel gilt. Es wird immer wieder richtige Wintermonate geben. Sie werden aber wohl immer seltener. Auf sieben «Schwinter» folgt ein Flockdown, oder so ähnlich.