Zu den eindrücklichsten Werken zählen Querrollen, auf denen sich eine Geschichte entfaltet: Nur noch kurze Zeit zeigt das Museum Rietberg mit der Ausstellung «Liebe, Kriege, Festlichkeiten» die bislang im Westen wenig bekannte narrative Kunst aus Japan.
Narrative Kunst (monogatari-e) erzählt Geschichten in Bildern. Sie begleiten einen literarischen Text entweder als Bildfolge oder mit einzelnen Illustrationen. Das kann ein Moment sein, eine fortlaufende Geschichte oder die Abfolge von Ereignissen, die sich entwickeln. Der Begriff umfasst Malereien, Holzschnittdrucke sowie dreidimensionale Objekte bis hin zu gedruckten, grafischen Erzählungen der Manga («Comics), die ein zentraler Bestandteil der japanischen Gegenwartskultur sind.
Die Ausstellung «Liebe, Kriege, Festlichkeiten» im Museum Rietberg präsentiert japanische Meisterwerke vom 13. bis zum 20. Jahrhundert. Sie zeigt Szenarien aus der höfischen Gesellschaft sowie der Alltagskultur, zeigt altbekannte Geschichten oder moralische Lehren, die immer wieder der Gegenwart angepasst werden. Sie umfasst Geschichten über den Ursprung von Gottheiten und Kultstätten, Darstellungen aus dem Leben bedeutender religiöser oder politischer Persönlichkeiten, Liebesgeschichten, Volksmärchen oder Kriegsepen. Merkmale der «monogatari-e» sind die vielen Objekte, die zu «Trägern» und Vermittlern von Geschichten werden: Stellschirme, Fächer, luxuriös gestaltete Keramiken und Seidengewänder, Lack- und Metallobjekte und anderes. Auf ihnen zeigen sich Helden, schöne Frauen, smarte Jünglinge, Dämonen, Bösewichte und Tiere in einer facettenreichen, farbenfrohen Bilderwelt.
Viele Werke zum ersten Mal zu sehen
Die über hundert im Museum ausgestellten Kunstwerke stammen ausschliesslich aus europäischen Sammlungen. Viele von ihnen werden zum ersten Mal gezeigt. Ganz speziell sind die bis zu 40 Metern langen Hänge- und Querrollen. Beim Auf- und Einrollen des Bildes ist immer nur ein Ausschnitt zu sehen. Die Szenarien wechseln in rascher Folge und es entfaltet sich eine dramaturgische Handlung, wie wir sie vom «Vor- und Zurückspulen» eines Videos kennen. In der Ausstellung beschreibt unter andrem eine Querrolle aus den 1560er- bis 1580er-Jahren die Geschichte von Shibuzane, einem Shintō-Priester, der einem Mann aus Yogawa seine Tochter zur Ehe anbietet. Die Charaktere werden alle als Affen dargestellt, die der damaligen Wohlstandselite einen Spiegel vorhalten.
Der Rundgang der Ausstellung führt an Glasvitrinen mit 20 Meter langen, ausgerollten Episoden und romantischen Erzählungen vorbei, führt vorbei an Hängerollen, kunstvoll gestalteten Stellschirmen und prächtigen Exponaten. Einmal befinden wir uns mitten im Kampfgetümmel – und da geht es nicht zimperlich zu und her – oder sind voller Bewunderung für die eleganten Bewegungen einer jungen Taucherin, die leider auf unschöne Art in der nächsten Szene ihr Leben lassen muss. Wir werfen einen diskreten Blick in das Gemach einer Geisha, sind irritiert über einen nackten Tenno, verstört beim Anblick eines Dämons oder amüsiert von scherzhaften Bildfolgen.
Die Schau bietet eine Begegnung mit Japans Tradition, mit seiner Gesellschaft, seinem Kunsthandwerk und bildender Kunst. Die Präsentation ist hervorragend. Jedes noch so kleine Objekt bekommt seinen grossen Auftritt. Vertieft werden kann das Geschaute durch reichhaltige Informationen auf Texttafeln und Broschüren.
Von Tradition zur Popkultur
Manga erzählen alte Geschichten so, als wären sie neu. Sie sind selten bunt, meist schwarz und weiss. Manga ist eine Sprache, die international verstanden und geliebt wird. In «Flow», der Parallelausstellung zu «Liebe, Kriege, Festlichkeiten», wird gezeigt, wie mit modernen Techniken die historischen Querrollen in bildliches Erzählen umgesetzt werden.
Ausstellung bis 5. Dezember: www.rietberg.ch