Rektor Christian Grütter verlässt die Kantonsschule Küsnacht nach 13 Jahren. Sein Bürobaum, über die Jahre gross und grösser geworden, wird ihn beim Umzug nach Zuoz begleiten.
Er gehe «schweren Herzens», sagt der scheidende Rektor der Kantonsschule Küsnacht schon bei der Begrüssung. Und ergänzt, noch immer in der Tür zu seinem Büro stehend, dass er sich «irrsinnig freue» auf seinen neuen Job am Lyceum Alpinum in Zuoz, Engadin. Christian Grütter ist ein emotionaler Mensch, das wird schnell klar. Einer, der sich gerne in die Karten schauen lässt. Weil er genug offen ist und weil er genug überzeugt von sich selber ist.
Symbolisch für diese Stärke steht in seinem Büro ein Fikusbaum. Platzeinnehmend ist er wohl einer der grössten Bäume, die irgendwo in einem Büro stehen. Er überragt den Rektor bei weitem, hängt seine Äste tief über das Schreibpult. Er nimmt einem aber nicht die schöne Sicht auf den Zürichsee und den historischen Kachelofen im Raum. «Diesen Baum hat mir meine Lieblingstante ins Spital gebracht, als ich als Student eine schwere Operation hatte», erzählt Grütter. «Der Baum war damals nur ein kleiner Zweig in einem Topf, inmitten von anderen Blumen.» Die Blumen seien verwelkt, der Zweig aber grün geblieben. Also pflanzte Grütter diesen in einen Topf um, dann in einen grösseren und noch grösseren, bis er jetzt heute – nach 30 Jahren – in einem wirklich grossen Topf steht.
Genauso organisch scheint auch die Karriere des heute 52-Jährigen gewachsen zu sein. Grütter schloss sein Physikstudium an der ETH Zürich im Jahr 1997 mit einer Dissertation ab. Schon während des Studiums unterrichtete der gebürtige Stadtzürcher an der Kantonsschule Altdorf im Kanton Uri. «Das hat mir gut gefallen, trotzdem ging ich zuerst in die Forschung.» Bald stand für ihn aber fest, dass ihm das Labor «zu wenig Leben» bieten würde. «Dieser Weg hätte zudem in einer Sackgasse enden können, denn nicht viele Forscher schaffen es bis an die Spitze.»
Als junger Lehrer unterrichtete er dann zum ersten Mal in Küsnacht und an der Hohen Promenade, um ab 1999 eine Hauptstelle an der Schule Limmattal in Urdorf ZH anzunehmen. Dort blieb er sieben Jahre. Als er für eine neue Herausforderung bereit war, ergab sie sich auch: Weil der Sohn des damaligen Küsnachter Rektors bei Grütter im Unterricht gewesen war und gut von ihm gesprochen hatte, holte dieser ihn als Prorektor nach Küsnacht zurück.
Das ist jetzt 13 Jahre her. So lange gehört Grütter nun schon der Schulleitung an der Kanti Küsnacht an. 2013 folgte die Ernennung zum Rektor. «Wenn sich eine gute Gelegenheit ergibt, muss man sie packen», sagte er sich damals, und so auch heute, als das Angebot aus dem Engadin kam. «Da die Amtszeit in Küsnacht auf zwölf Jahre beschränkt ist, hätte ich 2025 sowieso gehen müssen.» Und das wollte er nicht, sondern lieber jetzt, kurz nach 50, nochmals etwas Neues anpacken.
Familie für den Umzug bereit
Organisch sozusagen hatte sich dieser Schritt auch für Grütters Familie ergeben. Obwohl diese Koordination alles andere als einfach ist, besteht seine Patchwork-Familie doch aus acht Mitgliedern. «Meine Frau brachte ein Kind in die Ehe, ich zwei, zusammen hatten wir dann nochmals drei.» Die Älteren seien inzwischen selbstständig, die Kleineren hätten im Sommer sowieso einen Wechsel in die Sekundarschule oder ans Gymi vor sich gehabt. «Daher war es der ideale Zeitpunkt für so einen grossen Schritt. Nur schon ein Jahr später wäre es nicht mehr gut gewesen.»
In Küsnacht hatte es Grütter besonders «der Charme» der Schule angetan. Schliesslich war die Kantonsschule früher ein Lehrerseminar. «1832 als erstes Lehrerseminar im Kanton aus einer liberalen Bewegung heraus gegründet, behielt es dieses ‹Lehrersemimässige›», sprich Gemütliche, wohl auch unterstützt durch die Holzböden in den Räumen, die alten Fenster und die getäferten Wände. «Die historische Bausubstanz wurde weitgehend erhalten», so Grütter. Heute allerdings ist die Kanti Küsnacht ausgerichtet auf die beiden Schwerpunkte Neusprachlich und Musisch-Gestalterisch.
Besonders freut es Grütter, dass die Immersion – also der zweisprachige Unterricht auf Deutsch und Englisch – seit 2003 eine Selbstverständlichkeit ist in Küsnacht. Genau auf diese Herausforderung freut er sich auch in Zuoz, wo das Lyceum Alpinum ebenfalls als zweisprachiges Gymi geführt wird. Mit dem Unterschied, dass es dort ein privates Internat mit öffentlichem Auftrag ist. Es besteht zur einen Hälfte aus Schülern von überall aus der Welt, die dort leben. Zur anderen Hälfte aus Kindern aus dem Tal, die jeden Abend nach Hause gehen. Grütter wird mit seiner Frau zusammen eines der Häuser führen und dort auch mit seinen eigenen Kindern wohnen. «Der neue Job ermöglicht mir, mehr Zeit mit meiner Familie zu verbringen. Darauf freue ich mich.»
Velofahrt um den See
Heute liegt ein ganzer See zwischen Grütters Arbeitsort Küsnacht und seinem Haus in Richterswil. «Wir werden es als Feriendomizil behalten.» Und nun muss er schmunzeln: «Wir machen es einfach umgekehrt als alle anderen, die gewöhnlich ein Ferienhaus im Engadin haben und im Unterland wohnen.»
Seine Fahrten mit dem Velo wird Grütter vermissen. Oft radelte er über Rapperswil nach Küsnacht und zurück. Rund 50 Minuten dauerte ein Weg; wenn er die Abkürzung über die Fähre nahm, war er schneller. Künftig wird Grütter nur noch etwa alle drei Wochen unterwegs sein, für dreieinhalb Stunden mit dem Zug. Dann, wenn er fürs Wochenende nach Richterswil zurückfährt. Was die Büroaussicht angeht, sei sie in Zuoz so schön wie in Küsnacht. Dass Christian Grütters Bürobaum mitkommt, auch wenn er fast einen eigenen Zügelwagen braucht, ist selbstverständlich. (Manuela Moser)