Was ist Fiktion, was ist Realität? Der ehemalige Journalist Mathias Ninck spürt in seinem Roman einem Justizskandal nach.
Eigentlich hätte daraus eine Artikelserie werden sollen. Doch mit der Zeit wurden aus Fakten Fiktion. «Mordslügen» heisst der erste Roman von Mathias Ninck. Er handelt von Simon Busche, Reporter beim Boulevard-Onlinemagazin «Das wahre Leben». Von seinen Berufsleuten ist er bitter enttäuscht, er selbst hat sich aufgegeben und fabriziert mehrheitlich seichte Geschichten. Als Busche über eine alte Frau schreibt, die in einen Gully gefallen war, verändert sich sein Leben.
Der Autor Mathias Ninck war selber 25 Jahre lang Journalist. Er schrieb als Reporter für den «Tages-Anzeiger» und die «NZZ». Für das «Magazin» hatte er auch über den Fall der sogenannten Parkhausmörderin Caroline H. recherchiert. Diese war 2001 für einen Doppelmord zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Ein Mord geschah im Parkhaus Urania. Erst vergangenes Jahr veröffentlichte das Onlinemagazin «Republik» mehrere Artikel und säte Zweifel am Geständnis der Frau.
Einen alten Kriminalfall aufrollen
Aus Nincks Recherchen entstanden keine Artikel, er wechselte den Job und wurde Mediensprecher beim Sicherheitsdepartement der Stadt Zürich. Im Buch «Mordslügen» geht es nicht um Caroline H., trotzdem sind deutliche Parallelen erkennbar. «Über den Wahrheitsgehalt darf ich nicht reden», sagt der 51-Jährige. Im Mittelpunkt der Geschichte steht eine Frau, die wegen zwei Morden in einem Hochsicherheitstrakt im Gefängnis sitzt. Der Reporter Simon Busche erhält Hinweise von einer Psychiaterin, die glaubt, dass hinter den Morden jemand anderes stecken könnte. Busche nimmt unbezahlten Urlaub und rollt den alten Kriminalfall wieder auf. Doch zusehends werden ihm Steine in den Weg gelegt, es wird ihm die Macht des Justizsystems und der Medien vor Augen geführt.
«Für mich war es ein Vorteil, keine wahre Geschichte schreiben zu müssen», sagt Ninck. Das Buch spielt nicht in Zürich, sondern in einer fiktiven Stadt, die an Biel angelehnt ist. «Meine Frau ist eine Bielerin, deshalb habe ich einen starken Bezug.» In «Mordslügen» sind immer wieder Anspielungen zu entdecken. So kommt eine Hündin der Rasse Welsh Corgi Pembroke mit dem Namen Daisy vor. Richard Wolff, der ehemalige Vorsteher des Sicherheitsdepartements und damit Nincks früherer Chef, hat eine Hündin namens Daisy. Und eine weitere Parallele zur Realität: Wie Simon Busche nahm Ninck unbezahlten Urlaub. Diesen konnte sich der dreifache Familienvater leisten, weil er sein Projekt bei der städtischen Literaturkommission eingereicht und ein halbes Werkjahr im Wert von 24 000 Franken gewonnen hatte. Doch aus den geplanten sechs Monaten wurden nur drei. «Damals wechselte ich gerade zum Sicherheitsdepartement, und mein damaliger Chef hätte wenig Freude gehabt, wenn ich länger ausgefallen wäre», erinnert sich Ninck. Die drei Monate reichten trotzdem aus, um das Buch zu schreiben. In «Mordslügen» kommen die Medien ganz schlecht weg. Protagonist Simon Busche lässt sich von seinem Vorgesetzten kommentarlos Texte umschreiben. Bei der Geschichte über die Frau, die in einen Gully fiel, setzte der Chefredaktor gar seinen Namen hinzu, weil er den Artikel sprachlich und inhaltlich habe «aufpimpen» müssen. Dass dabei die Wahrheit auf der Strecke blieb, ist auf der Redaktion von «Das wahre Leben» egal. Im Internet zählt nur, wie oft ein Artikel gelesen wird. Wer sich diesem Credo nicht beugt, der kann gehen.
Unschöne Seiten aufdecken
«Ich habe lange in der Medienwelt gearbeitet und konnte natürlich aus dem vollen Schöpfen», sagt Ninck. Klar gebe es ein paar Überzeichnungen, aber wer die Realität zeigen wolle, decke halt auch unschöne Seiten auf. Ob Ninck deshalb den Berufswechsel vom Journalisten zum Mediensprecher wagte? «Ich persönlich ging nicht in die Kommunikation, weil ich verbittert war», betont der Zürcher.
Aktuell bereitet sein Verlag die zweite Auflage von «Mordslügen» vor. Für ein weiteres Buch hat Ninck einige Ideen, aber noch nichts konkretes. Dass es nicht sein letztes gewesen sein dürfte, scheint klar. «Es hat mir richtig Spass gemacht, das Buch zu schreiben», sagt der Kommunikationsexperte. Man darf also gespannt sein, welchen Fall er sich als Nächstes einfallen lassen wird. (pw.)
Mathias Ninck, Mordslügen. Edition 8 2019. ISBN 978-3-85990-381-4. Infos: www.mathiasninck.ch