Die Zwischennutzung der Brache Guggach neigt sich dem Ende zu. Als Schlussbouquet zeigt das Tanztheater Rigolo vom 24. Juni bis 25. Juli sein aktuelles Programm «Sospiri» («Seufzer»).
«So wie der Wind tobt und mit ganzer Kraft durch die Natur fegt und ein andermal sanft im Blattwerk flüstert – so unterschiedlich ist unser Atem», beschreibt das Rigolo Tanztheater den Inhalt seines neuen Stücks «Sospiri». «Auch der Atem kann wütend fauchen und sanfte Worte hauchen. Der Atem ist ein vortrefflicher Verwandlungskünstler und ist der Maler unserer wechselnden Gefühle. Und dabei ist Sospiri, das Seufzerchen, der kleinste Atem, der durch unseren Körper weht.»
Drei Frauen auf Sinnsuche
«Sospiri» wird von drei Performerinnen mit 13 Palmblattrispen und einer weissen Feder in 13 Szenen getanzt, gespielt und artistisch performt. Das Stück erzählt Episoden aus dem Leben. Die drei jungen Frauen suchen nach ihrem Platz auf dieser Welt und nach ihrer Bestimmung. Sie durchleben verschiedene Erfahrungen und zeigen, wie sich das Gleichgewicht überall wiederfindet. Im dreizehnten und letzten Akt kommen schliesslich Feder und alle in den Szenen gesammelten Palmblattrispen zum Gesamteinsatz. Es entsteht ein sechs Meter grosses Mobile, die «Sanddornbalance», und der Seufzer im Moment des Gelingens entsteht.
Eine lange Erfolgsgeschichte
Das Tanztheater Rigolo blickt auf eine lange Erfolgsgeschichte zurück und ist eine Fortsetzung des Lebenswerks von Lena Roth und Mädir Eugster aus Wattwil, die 1978 den «Rigolo Swiss Nouveau Cirque» als Strassen- und Kindertheater gegründet hatten. Daraus wurde ein Tanztheater von Weltformat, das auf vier Kontinenten auftrat und allein vier Monate am Broadway gastierte.
Das Tanztheatervirus ging auch auf die drei Töchter des Paares über, und heute ist Tochter Nuria für die Organisation des Thurgauer Familienunternehmens zuständig, Lara gehört zu einem kanadischen Tanzensemble und die jüngste, Marula Eugster Rigolo, hat von ihrem Vater im letzten Jahr die Gesamtleitung von Rigolo übernommen. «Sospiri» ist ihr erstes Werk, bei dem sie alle Fäden selber in der Hand hatte, für die Choreografie zuständig ist und tanzt.
Sanddornbalance weiterentwickelt
«Das war eine grosser Herausforderung für mich», sagt sie. «Die Arbeit war jedoch sehr spannend.» Den Inhalt des Stücks hat sie auf der weltbekannten «Sanddornbalance» aufgebaut, die den Höhepunkt am Ende der Geschichte darstellt. Dieser Balanceakt, bei dem Marula Eugster in Zeitlupentempo aus 13 Palmblattrispen und einer Feder ein äusserst unstabiles Riesenmobile baut und balanciert, das erst dann zusammenbricht, wenn sie die Feder entfernt, hat als Soloakt weltweit für Aufsehen gesorgt, wurde mit Preisen überschüttet und hat auf Youtube über 43 Millionen Klicks erhalten. «Alles entstand, als meine Eltern auf einer Reise in Indien am Strand unzählige dieser Blattskelette herumliegen sahen», erzählt die Tänzerin. « Meinem Vater gefiel das Material und er erfand damit die Sanddornbalance.» Die Kreation und Erstaufführung geht auf das Jahr 1996 zurück und wurde in den folgenden Jahren in den Rigolo-Produktionen «Sanddorn» und «Balance» eingesetzt. Dann wurde der Act ausgekoppelt, zur eigenständigen Nummer weiterentwickelt und fand in zahlreichen Festivals, Shows und Firmenanlässen Einlass.
Erst hat Mädir Eugster die Nummer selber aufgeführt, aber die Nachfrage nach dem Act war so gross, dass sich Mädir Eugster entschloss, sie auch an andere Artisten weiterzugeben. Bis heute sind es fünf Darstellerinnen und vier Darsteller, die in einer einjährigen Ausbildung zu Sanddornbalance-Artistinnen und -artisten ausgebildet wurden. Zwei seiner Töchter, Lara und Marula, gehören dazu. «Ich habe die Nummer sicher schon 200-mal aufgeführt», so Marula Eugster. «Auch schon ist sie missglückt, aber das ist nicht so schlimm, denn das erhöht die Spannung und die Leute sehen, dass kein Trick dahinter ist und die Rispen wirklich nur aufeinandergelegt werden.» Diese Rispen werden bei den Eugsters wie Heiligtümer behandelt. Erstens, weil sie nicht so einfach zu beschaffen sind, und zweitens, weil mit jeder neuen Rispe die Nummer neu einstudiert werden muss. «Jede Blattrispe ist anders, und das Gewicht muss millimetergenau verteilt sein, sonst bricht alles zusammen.» Obwohl die ganze Familie Eugster in der Ostschweiz wohnt, ist Marula der Stadt Zürich sehr verbunden. «Ich habe unter anderem in Zürich Tanz studiert. Hier gibt es eine sehr starke Tanzszene.» Geplant ist, dass Marula Eugster auch nach «Sospiri» die Leitung des Familienunternehmens weiterführt.
«Sospiri» feierte im September 2020 Premiere. «Wir hatten Glück und konnten das Theater in Lichtensteig und Kreuzlingen 25-mal aufführen. Danach kam leider das Aus wegen der Pandemie.»