Eine kleine Auszeit an der Goldküste

Erstellt von Sascha Vitolic |
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Sagen wir es so: Wenns unter der Woche nicht an die Cote d’Azur reicht, ein Ausflug ins Romantik Seehotel Sonne in Küsnacht könnte bei Zuhausegebliebenen ebenso Abhilfe schaffen gegen den Alltagsblues. Wir haben es für Sie ausprobiert.

Es ist einer dieser Abende, an denen sich der Sommer von seiner besten Seite zeigt. Und das ist purer Zufall. Die Tage davor hat es noch gestürmt. Jetzt kräuselt sich der See in dunkelstem Indigoblau in der niedrigen Abendsonne, die MS Zimmerberg gleitet heran, nur wenige Passagiere verlassen das Schiff, zwei Eidechsen flitzen über die Steinplatten auf der Terrasse des Romantik Seehotels Sonne in der kleinen Parkanlage mit Seeeinstieg – exklusiv für die Hotelgäste. Daneben der adrett getrimmte Rasen mit einladenden grauen Liegen von Kettall, auf die sich zwei Gäste nach einem kurzen Bad im See in weissen Bademänteln ausstrecken.

Eine Neuanschaffung, wie Besitzerin Catherine Julen Grüter verrät, als sie die Gäste von der Zeitung persönlich begrüssen kommt. Aus ihrer Stimme spricht eine leise Genugtuung über unsere bewundernden Blicke. Sie serviert ein vegetarisches Apéroplättli mit hausgemachten Gemüsechips. Dazu einen würzigen Gin Tonic und eine elegant-spritzige Giselle. So geht Sommer.

Aufmerksame Worte der Chefin

Die Begrüssung durch die Chefin ist uns keineswegs vorbehalten, auch die anderen Gäste begrüsst sie kurz, und findet Zeit und aufmerksame Worte für Bekannte, die auf einem Spaziergang in den Garten hereinschauen. Julen Grüter ist eine Direktorin, die sich zeigt, aber kein Tamtam macht. Freundlich, fast zurückhaltend erkundigt sie sich jeweils nach dem Wohlergehen: Dann lässt sie in Ruhe, wer die Ruhe geniesst. «Wenn es möglich ist, sind alle Gäste für mich VIP», sagt sie. Und das in einem Hotel, in dem einst Thomas Mann zu Mittag ass.

Darüber zu sprechen, welche Prominenz sich heutzutage im Romantikhotel zeigt, zieme sich nicht, erklärt Julen Grüter mit einer leisen, dennoch klaren Bestimmtheit. Grossspurige Anekdoten hat die Hotelière auch gar keine nötig, seit sie in ihrer Zeit an der Réception des Stadtzürcher Hotels Widder Arnold Schwarzenegger oder Cindy Crawford durch die verschlungenen Gänge navigieren musste.

Heute ist es anders. Und irgendwie gleich. Die Haltung zählt. Und vielleicht fühlten sich die Stars gar nicht so anders wie wir als Gäste an einem dieser raren Abende, an denen der Sommer zum Greifen nahe scheint. Vielleicht ist es ja doch kein Zufall. «Haben Sie Einfluss aufs Wetter?» – «Ja, natürlich», sagt Julen Grüter leise und lächelt. «Ich zeige Ihnen jetzt Mal die Zimmer.»

Ein luxuriöses zweites Zuhause

Die «Wirtschaft zur Sonne» taucht erstmals 1641 in einer Urkunde auf. Seit 2002 führen René Grüter und Catherine Julen Grüter das «Romantik Seehotel». Romantik, weil es Mitglied der Romantik Hotels AG in Frankfurt ist. Aber auch, weil es passt. «Jedes Zimmer ist anders», versichert die Direktorin. Und vereint in der Verlockung, dem Alltag zu entfliehen. Die Juniorsuite im zweiten Stock fühlt sich an wie ein luxuriöses zweites Zuhause. Eine lange, weiche Couch, gepolsterte Stühle, ein Eileen-Gray-Glasbeistelltisch, eine kleine Anrichte mit Spirituosen, ein massiver schwarzer Teak-Sekretär mit grosszügigem Seeblick und einer geheimnisvollen Schublade, ein Boxspringbett und gleich am Kopfende hinter einer dicken, tiefschwarzen Trennwand ein nach oben offenes Badezimmer (die Toilette ist separat). Angesichts der überwältigenden Aussicht auf See und Garten fühlen sich die Bang & Olufsen-Stereoanlage und der Fernseher nahezu redundant an. Ein anderes Zimmer, im Maisonette-Stil dieses, nimmt die Gewölbe eines früheren Speisesaals auf und führt über die freistehende Treppe in die heimelige Abgeschiedenheit eines Dachzimmers. Das Fenster ist kleiner. Am frühen Morgen leuchtet die Sonne zielgenau an den Betten vorbei, bevor es ganz erleuchtet. Auch das ein ­poetisches Zimmer, ganz auf seine Weise, mit Stützbalken und einer freigelegten Freske gegenüber der Ankleide.

Die Gänge führen den Besucher an Gemälden, Stuck und einer anthrazitfarbenen Sichtstützenstruktur entlang in zahlreiche Ecken und Zwischenstöcke des Hauses, in kleine Säle und Sitzungszimmer mit anachronistisch anmutenden Videoprojektoren und Flipchart. Und natürlich gibt es auch einen kleinen Wellness- und Fitnessbereich.

Mit Vielfältigkeit gegen Pandemie

«Wir sind schliesslich auch ein Seminar- und Banketthotel, und als solches hat uns die Pandemie natürlich sehr mitgenommen», erklärt Julen Grüter. «Noch heute planen wir vorsichtig. Man weiss ja nicht, was jetzt noch auf uns zukommt.» Marketingfachleute hätten über die Vermischung von Business- und Romantikhotel die Nase gerümpft, in der Krise erwies sich diese Vielseitigkeit als Stärke. Ein Rückzugsort wie eine Festung. So nah an der Stadt und doch so für sich.

Nach dem Rundgang ist Zeit fürs Abendessen im Restaurant Sonnengalerie, deren Terrasse sich leicht gegenüber des Biergartens direkt am Wasser ­erhebt. Die Saisonkarte ist üppig, erfrischend und sommerlich. Ein Blauburgunder rundet das unverfälschte ­Geschmackserlebnis der marinierten Ceviche von der Seeforelle ab. Die Fischsuppe mit einer kalten Knoblauch-Crème, leider eine Seltenheit hierzulande, bekennt sich herzhaft zu ihrer Herkunft. Einzig die Crostini sind nicht knusprig, sondern schlicht hart. Auszusetzen gibt es ansonsten nichts. Das Kalbsschnitzel an leichter Zitronensauce ist ein Klassiker, der allen Ferienerinnerungen gerecht wird, und selbst die Tagliata vom Irischen Rind offenbart an einer würzigen Salsa verde die passende, sommerliche Geschmacksnote. Passend dazu der Nito, dieser Rote ist nicht unbedingt leicht, aber wohltuend, vor allem, wenn es abends allmählich etwas kühler wird. Beim Dessert geht es dann noch einmal ans Eingemachte: Die Schokoladen-Variationen sind ein Seelenwärmer, und die in Kokosstreusel gebadete «Raffaello»-Kugel mit Mandelsplittern zeigt sich nachsichtig mit dem eigentlich bereits vorhandenen Sättigungsgefühl.

Etwas noch, ich möchte der Bedienung, Samira Meier aus Kienberg, einen besonderen Dank aussprechen, die es so lange und geduldig selbst mit den letzten Gästen ausgehalten hat. Denn wenig, wirklich wenig fällt schwerer, als den Platz auf der Terrasse der Sonnengalerie unter den ausladenden Platanen aufzugeben, während der Mond über dem See leuchtet.