«Eine Stadt Sihltal ist für mich keine Utopie»

Zurück

Der 69-jährige Harald Huber (FDP) tritt nach elf Jahren als Adliswiler Stadtpräsident nicht mehr zur Wahl im April an. Mit «Zürich 2» sprach er über seine Zeit in der Politik und über die Zukunft der Sihltaler Gemeinde.

Harald Huber, Sie machen als 69-Jähriger Schluss mit der Politik. Was haben Sie jetzt vor?
Ich habe mein Amt sehr geschätzt und viel davon profitiert. Nun möchte ich etwas mehr freie Zeit haben, zum Beispiel für Reisen. Aber ich bleibe weiterhin Verwaltungsratspräsident der Sihltal Zürich Uetlibergbahn (SZU). Die Bahn wird in den nächsten zehn Jahren 600 Millionen investieren. Das ist eine spannende Aufgabe, die ich weiterbegleiten möchte.

Wenn wir gerade bei der SZU sind: Was macht Adliswil, damit das Geld von Bund und Kanton sicher gesprochen wird?
Sich in diesem Bereich einzusetzen, ist primär die Aufgabe der SZU selbst. Der direkte Einfluss der einzelnen Gemeinden über die SZU AG ist nicht sehr gross und passiert insbesondere in den regionalen Gremien, etwa der Regionalen Verkehrskonferenz.

Die Luzerner weibeln für ihren Tiefbahnhof in Bundesbern. Sollten die Sihltaler Gemeinden dies nicht auch tun?
Sie könnten natürlich. Aber wir von der SZU gehen mit unseren strategischen Projekten erst dann an die Öffentlichkeit, wenn die Pläne abgesegnet sind. Wir erwarten eine massive Passagierzunahme auf der S4 und der S10 und müssen auf diese Zunahme reagieren. Die Vorhaben sind auf beiden Ebenen – Bund und Kanton – eingeplant.

Adliswil liegt im Schatten von Zürich. Wie haben Sie das erlebt?
Natürlich profitiert Adliswil in vielerlei Hinsicht von der Nähe zu Zürich, beispielsweise bei der Arbeit, Freizeit und Ausgang. Aber daneben bietet Adliswil auch eine Vielzahl an Qualitäten, die es von der grossen Metropole abheben. Die Natur mit der Sihl und dem Sihlwald werden von vielen sehr geschätzt. Das intensive Vereinsleben und die dadurch entstehenden Kontakte und Beziehungsnetze sind in Adliswil stark und in meinen Augen einzigartig.

In welchen Bereichen konnte Adliswil seine Autonomie bewahren?
In sehr vielen. Die Bürgerinnen und Bürger entscheiden, wie und wo sich Adliswil entwickelt. Nehmen wir all die grösseren Projekte, welche in den letzten Jahren aufgegleist wurden. Zum Beispiel die Zusammenführung von Stadt und Schule oder die zahlreichen Renovationen von Infrastrukturbauten wie Schule oder Strassen. Im Kulturbereich haben wir mit der «Kulturschachtle» eine erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen öffentlicher Hand und Privaten geschaffen. Wir kümmern uns zudem sehr um gute Bedingungen für die Freiwilligenarbeit.

Weshalb ist Freiwilligenarbeit wichtig?
Freiwilligenarbeit hat viele Gesichter. Sie sorgt beispielsweise dafür, dass ein Vereinsleben überhaupt existieren kann. Aus meiner Sicht kommt die Gesellschaft nicht weiter, wenn wir nicht bereit sind, ein gewisses Mass an Freiwilligenarbeit
zu leisten.

Wie hat sich Adliswil in Ihren elf Jahren als Stadtpräsident verändert?
Es gibt viele Spots, die sich sehr positiv entwickelt haben. Auf alle hier einzugehen, würden den Rahmen sprengen. Der Grösste ist wohl das Entwicklungsgebiet zwischen Adliswil und Wollishofen.

Manche bemängeln, dass das Dietlimoos-Quartier wenig vom Adliswiler Zentrum profitiert.
Aufgrund der Kulturlandinitiative wurde das Projekt der Quartierentwicklung zu einem ungünstigen Zeitpunkt unterbrochen. Wohnungen waren bereits realisiert, hingegen fehlten die Schule, Treffpunkte und Einkaufsmöglichkeiten. Dies wird nun nachgeholt. Ausserdem wurde ein Quartierverein gegründet, den wir unterstützen.

Ist schon bekannt, welche Einkaufsmöglichkeiten kommen werden?
Nicht im Detail, aber sie sind geplant. Sie finden niemanden, der einen Laden eröffnet, wenn keine Leute dort leben.

Was halten Sie von einer Verlängerung des Trams 7?
Da bin ich noch in die Schule gegangen, als man zum ersten Mal darüber gesprochen hat (lacht). Ich kann es verkehrstechnisch zu wenig beurteilen. Sicher ist, wenn das Gebiet sich weiterentwickelt, auch in der Sunnau, dann stellt sich die Frage, ob die aktuellen Buslinien reichen.

Die grösste Baustelle Adliswils befindet sich quasi direkt vor Ihrem Fenster – das Stadthausareal. Ist das Projekt nicht einfach eine Nummer zu gross?

Dieser Meinung bin ich ganz und gar nicht. Wir haben zusammen mit der Bevölkerung die Anforderungen an die Nutzung in diesem Areal erarbeitet und damit einen Investorenwettbewerb durchgeführt. Das Resultat überzeugt, denn es schafft in Adliswil einen markanten Brückenkopf am Ostufer und lässt den Zugang zur Sihl offen. Und das Projekt bringt eine neue Dynamik in unsere Stadt. Viele Gebäude in Adliswil sind in die Jahre gekommen. Als ich in der Politik anfing, hatten wir beispielsweise einen grossen Renovationsstau im Schulbereich.

Wurden zu wenige Schulhäuser gebaut?
Dies nicht, aber sie wurden nicht saniert. Wir hatten zudem finanzielle Probleme. Als ich Stadtpräsident wurde, mussten wir den Steuerfuss auf 110 Prozent erhöhen. Erst etwas später machte sich die Ansiedlung grosser Firmen auch in unseren Finanzen positiv bemerkbar, sodass wir heute eine gute Finanzlage haben.

Aber beim Stadthausareal wurde vor acht Jahren mit der Planung begonnen.
Das stimmt. Die Planung und Bewilligung von grossen Projekten nimmt oft viel Zeit in Anspruch, denn jeder versucht, seine Interessen wahrzunehmen. Wenn es politisch nicht mehr geht, dann halt mit rechtlichen Schritten.

Haben Sie dafür Verständnis, dass der Rekurs gegen das Projekt bis vors Verwaltungsgericht weitergezogen wurde?
Was soll ich dazu sagen? Persönlich fehlt mir das Verständnis, weil ich es ein gutes Projekt finde. Auf der anderen Seite gibt es in einer Demokratie diese juristischen Möglichkeiten. (Die Rekurrenten fanden, das Land sei zu günstig verkauft worden, Anmerkung der Redaktion.)

Das dauert ja ewig.
Der Weg durch alle juristischen Instanzen dauert seine Zeit. Das Verwaltungsgericht hat den Entscheid zum Landverkauf aufgehoben. «Return to Sender» hat Elvis einst gesungen. Jetzt liegt der Ball wieder beim Stadtrat, den Einnahmeverlust aufzuzeigen.

Und das können Sie?
Ja, das können wir. Wir werden das Geschäft noch im ersten Halbjahr 2018 vors Parlament bringen.

Sind Sie enttäuscht, beim Spatenstich nicht mehr dabei sein zu können?
Ja, natürlich. Ich hoffe aber, dass ich dazu eingeladen werde.

Als Sie angefangen haben, ging es Adliswil finanziell schlecht. Dann kam die Swiss Re. Jetzt geht es finanziell zwar gut, aber bald geht die Swiss Re wieder und Sie auch.
Die beiden Weggänge haben keinen kausalen Zusammenhang (lacht). Das ist der Lauf der Dinge. Erstens fallen die Arbeitsplätze von Swiss Re nicht von einem Tag auf den anderen weg. Wir werden noch bis weit in die 2020er-Jahre von Steuereinnahmen profitieren. Zweitens sind die neuen Besitzer sehr bestrebt, die Gebäude wieder vermieten zu können.

Dann hoffen Sie, dass die neuen Mieter den Ausfall kompensieren werden?
Ob Steuergelder im gleichen Ausmass fliessen werden, kann niemand voraussagen. Aber wenn wir dank der guten Phase, die wir hatten, die grossen Investition jetzt tätigen können, dann kommen wir in nächster Zukunft sicher mit kleineren Investitionsvolumen aus.

Der Adliswiler Stadtrat ist eine Kaderschmiede. Man denke da an Mario Fehr oder Thomas Heiniger, die Regierungsräte wurden. Wollten Sie nie höher hinaus?
Ja, Mario und Thomas haben den Sprung geschafft. Bei mir war es eine andere Situation: Ich bin spät, erst mit 46 Jahren, in die Politik gekommen. Eigentlich war ich 2007, nach 13 Jahren im Parlament, auf dem Sprung, mich aus der Politik zurückzuziehen. Weil aber Thomas Heiniger in den Regierungsrat gewählt wurde und Heinz Spälti als verbleibender FDP-Stadtrat nicht Präsident werden wollte, ist jemand auf die Idee gekommen, mich zu fragen.

Fiel Ihnen der Entscheid, nicht mehr anzutreten, leicht?
Den Entscheid habe ich bewusst gefällt. Ich möchte jetzt einmal etwas freier sein und auch auf längere Reisen gehen können. In meiner Stadtpräsidentenkarriere habe ich nie längere Ferien gemacht und zudem immer in den Sommerferien und das ist nicht für alle Gegenden auf der Welt ideal. Jetzt sollen zudem wieder Jüngere das Ruder in der Stadt übernehmen.

Ihre FDP-Kollegin Susy Senn und Farid Zeroual von der CVP möchten Sie als Stadtpräsident beerben. Was halten Sie von den beiden Kandidaten?
Diese Frage habe ich erwartet. Es ist nicht an mir, ein Qualitätsurteil über meine aktuellen Stadtratskolleginnen und Stadtratskollegen abzugeben. Das ist nun Sache der Wählerinnen und Wähler.

Aber für die FDP wäre es sicher besser, wenn wieder jemand aus den eigenen Reihen das Amt übernehmen würde.
Ja, selbstverständlich. Auch ist es wichtig, dass die bürgerliche Mehrheit in der Exekutive erhalten werden kann. Sie hat sich in den letzten vier Jahren sehr bewährt.

Was halten Sie eigentlich von der Idee einer Fusion mit Zürich?

Nichts. Es wird in Adliswil nicht besser, wenn es in eine so grosse Einheit wie Zürich reinkommt. Wir können viel mehr Impulse für das Leben dieser Stadt geben, wenn wir selbstständig sind. Die Frage ist eher, was die optimale Grösse der untersten Einheit dieses Staates, also der Kommune, ist. Wir müssen uns überlegen, welche Aufgaben eine Gemeinde alleine wahrnehmen und finanzieren kann.

Sie wollen also mit umliegenden Gemeinden zusammenarbeiten, aber unabhängig bleiben.
Sie haben Zürich erwähnt. Eine Stadt Sihltal ist für mich hingegen keine Utopie. Die Entwicklung muss aber von unten kommen und darf nicht von oben herab diktiert werden.

Was ist Ihre Vision für Adliswil?
Ich wünsche mir, dass Adliswil seine Eigenständigkeit und einen eigenen Charakter behalten kann. Dass die Bevölkerung ein Zusammengehörigkeitsgefühl entwickelt und es «lässig» findet, in Adliswil zu leben. Aber ich erhoffe mir auch, dass sich der Staat in eine Richtung entwickelt, dass derjenige, der bestimmt, am Ende auch bezahlt. Das ist ein grosses Problem für die Kommunen. Denn ihr Handlungsspielraum läuft Gefahr, von Bund und Kanton verkleinert zu werden.

Also hätten Sie doch Regierungsrat werden sollen, um das zu ändern.
Nein, für mich ist die Kommune genau der richtige Platz (lacht). Ich bin gerne an einem Ort, den ich überblicken kann und wo ich das Gefühl habe, Einfluss nehmen zu können. (Interview: Pascal Wiederkehr)