Engagement für eine enkelgerechte Zukunft

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In Zürich gibt es immer mehr Projekte von Menschen, die sich für einen nachhaltigen Alltag einsetzen. Wer sind diese «Quartierpioniere» und was machen sie genau? Am 29. September kann man sie an einem öffentlichen Anlass im Kulturpark kennenlernen. 

Besser, schneller, billiger: Die Wachstumsmaxime der heutigen Zeit verursacht immer mehr Menschen Kopf- und Bauchweh. Im Widerstand gegen den «fremdbestimmten» umwelt- und menschenfeindlichen Speed suchen sie nach entschleunigenden Alternativen – konkreten Handlungsmöglichkeiten für einen nachhaltigen Alltag. In Zürich gebe es inzwischen eine breite, bunte Palette solcher Projekte im Zeichen des Wandels, sagt Jasmin Helg von Transition Zürich. Der Verein, ansässig im Co-Working Space Langstrasse 200, setzt sich dafür ein, diese Zürcher Wandelpioniere für Interessierte sichtbarer zu machen. Ohne dass sie selbst viel dafür leisten müssten, sagt Helg mit Blick auf die vielen kleinen und sehr kleinen Projekte, bei denen es an personellen Kapazitäten für Öffentlichkeitsarbeit mangelt. Der Verein bietet ihnen nun eine Plattform für Präsentation und Vernetzung, organisiert öffentliche Info-Anlässe für Gleichgesinnte mit Workshops, bei denen man tiefer in die Thematik eintauchen kann – und so vielleicht selbst endlich den Schritt vom Interesse zum konkreten Handeln schafft.

Markt der Möglichkeiten

Am Treffen der Quartierpionierinnen und -pioniere im Kulturpark bietet sich eine solche Möglichkeit, Projekte und Menschen, die ihre Zukunft – und jene ihrer Kinder und Enkel – selbst mitgestalten wollen, kennenzulernen. Im Zentrum steht dabei ein bewusster, sorgfältiger Umgang mit Ressourcen in verschiedensten Bereichen. Ob Ernährung und Konsum, Mobilität, Energie oder Wohnen. Ob «niederschwellige» Initiativen oder solche, die mit einer radikaleren, konsequenteren Umgestaltung des Lebensalltags einhergehen.

Zu Letzteren gehört zum Beispiel das Projekt «NeNa1» (Neustart Nachbarschaft, die Erste) – eine Bau- und Wohngenossenschaft, die sich noch in der Planungsphase befindet und die unter dem Motto «Neue Lebensqualität in Pantoffeldistanz» die 1000-Watt-Gesellschaft für möglich hält. Im Zentrum stehe dabei der Vorteil gemeinsam genutzter Ressourcen. Vor allem auch in Sachen Nahrungsmittelbeschaffung, -verarbeitung und -lagerung. «NeNa1» kann man sich als eine Art Dorf in der Stadt vorstellen, mit Wohn- und Arbeitsräumen, mit Tauschlager und Bibliothek, Küche, Restaurant/Take away/Bäckerei. «Im Idealfall hätten auch Kleingewerbe wie etwa ein Schuhmacher sowie die Kultur Platz», sagt Helg, die selbst bei dem Projekt mit dabei ist.

Sharing-Projekte im Aufwind

Auch andere Pionierinnen und Pioniere des Wandels haben sich das Prinzip der «Sharing Economy» auf die Fahnen geschrieben. Einzelne durchaus erfolgreich. Manche Leute hätten Hemmungen, sich etwa Werkzeug oder Haushaltgeräte zu leihen und zu verleihen, weiss Helg. Initiativen wie «Sharely-Point» übernehmen nun die Organisation des Verleihs und machen diesen damit für beide Seiten niederschwelliger. Ähnlich funktioniert «Kleihd», wo Fest- und schöne Alltagskleider ver- und gemietet werden können. Helg ist auch begeistert von den Kleider-Tauschmärkten, die in und um Zürich im Trend sind: 10 gut erhaltene Kleidungsstücke bringen, dafür 10 andere abholen, heisst das Prinzip. Mangelnde Qualität sei bei solchen Projekten kein Thema, weiss Helg. Secondhand-Kleidung habe längst nicht mehr das schmuddelige Image von einst. Zur Sharing-Kultur gehören nicht zuletzt Initiativen wie «Tauschen am Fluss» (GZ Wipkingen), wo Zeit und Talente getauscht werden oder das Mobilitätsprojekt «Carvelo 2go», das an verschiedenen Orten Lastenvelos zur Miete anbietet.

Verschwendung ist out

Ein grosses Thema im sozial und ökologisch nachhaltigen Alltag sind Initiativen gegen die Überflussproduktion und Wegwerfmentalität. Vor allem im Bereich Ernährung – mit sich mehrenden Projekten für Fair Food oder gegen Food Waste. Die Initianten von «Grassrooted» zum Beispiel verkaufen an einem Marktstand im Shop-Ville Gemüse und Obst von Bauern aus der Region, das nicht den Ladenstandards entspricht – also etwa zu gross, zu klein, zu krumm, aber qualitativ in Ordnung ist. Auch ausserhalb des Lebensmittelbereichs machen Projekte gegen die Verschwendung Sinn. Bei «Offcut» etwa werden Reste von Bau- und Einrichtungsmaterial aller Art – von Holz über Metall bis zum Teppichboden – in einer grossen Halle in Altstetten gesammelt und zum halben Preis ihres Werts zum Verkauf angeboten.

Etwas Besonderes ist das Projekt «boimig», bei dem es um eine regenerative Landwirtschaft und Esskultur geht – mit Kochgruppen, Ernte- und Pflanzeinsätzen und Dialogen. Die Projektinitianten Wanda Böhmer und Leander Dalbert, der auch beim Verein Transition Zürich dabei ist, arbeiten zurzeit mit Bauern im Zürichseegebiet zusammen. Dalbert: «Wir hoffen, dass über die gemeinsamen Events mit der Zeit ein Netzwerk entsteht, das Landwirte ermutigt, regenerativ zu produzieren.» Auf einem gesunden Boden, ohne künstlichen Dünger und grosse Maschinen, dafür vermehrt mit Handarbeit, an der sich auch Konsumentinnen und Konsumenten selbst beteiligen. Das Projekt startet demnächst mit einer Selbsterntegenossenschaft und Baumpflanzaktionen in Meilen.

«Wandel soll Spass machen»

Wie viele Initiativen, die sich der Nachhaltigkeit verschrieben haben, hat auch «boimig» nichts mit Verzicht und ideologischer Verbissenheit zu tun. «Im Vordergrund steht ein Zuwachs an Lebensqualität und Lebenssinn», sagt Dalbert. «Der Wandel soll Spass machen!» Er beobachtet ein zunehmendes Interesse an solch «unverbohrt-entschleunigenden» Projekten. Zwar kollidiere das konkrete Mitmachen manchmal noch mit den Alltagszwängen. Grundsätzlich aber, so ist er überzeugt, gebe es immer mehr Menschen, die sich gegen den heutigen «Überfluss an Sinnlosigkeit» zur Wehr setzen. (Lisa Maire, Text und Foto)

«Markt der Möglichkeiten»: Samstag, 29. September, 13–17 Uhr, Kulturpark, Pfingstweidstrasse 16, 8005 Zürich. Die «Karte der Möglichkeiten» ist gratis erhältlich beim Verein Transition Zürich, Langstrasse 200, oder als PDF runterladbar über www.transition-zuerich.ch