Eine Reise in die Vergangenheit unternahmen die Schwamendinger letzte Woche an einem Anlass des Quartiervereins. Alteingesessene Bewohnerinnen und Bewohner erinnerten sich an die Zeit, als der Kreis 12 noch ein Dorf war.
Die Gäste von Maya Burri, Präsidentin des Quartiervereins Schwamendingen und selber seit Jahrzehnten im Quartier verwurzelt, waren Erika Munz, seit 40 Jahren Leiterin des Ortsmuseums, und Urs Bobst-Bärtschi, der seit seinem ersten Lebensjahr im Kreis 12 lebt. Er kam 1946 mit seinen Eltern in eine Siedlung bei der heutigen Haltestelle Probstei. «Rundherum war alles unverbaut», erinnert er sich. «Es gab auch keine Verkehrsmittel vom Mattenhof zum ‹Hirschen›, dem eigentlichen Dorfkern von Schwamendingen. Wer in die Stadt wollte, musste zu Fuss gehen. Vom ‹Hirschen› aus fuhr dann ein Bus zum ‹Sternen› in Oerlikon.» Mit vielen Anekdoten und untermalt von Fotos und Gedichten, die seine Mutter über das Quartier verfasst hatte, erzählte Urs Bobst-Bärtschi aus seiner Jugendzeit. Man lebte damals einfach. Geheizt wurde mit dem Holzofen, es gab auch keine Kühlschränke und Waschmaschinen. Doch die Siedlungen waren ein Kinderparadies. Man baute Hütten und fuhr im Winter Ski von der Ziegelhütte runter bis zur heutigen Dübendorfstrasse.
Ein Einkaufsparadies
«Rund um die langsam entstehenden Siedlungen gab es unzählige kleine Läden – von Lebensmitteln über Wolle, Elektroartikel und Tabakwaren konnte man alles in der Nähe einkaufen.» Später entwickelte sich rund um den Schwamendingerplatz ein wahres Einkaufsparadies: Jelmoli, ABM, Franz Carl Weber und viele gute Geschäfte siedelten sich hier an. Es gab das Kino Eden und fünf Banken. Nach und nach verlagerten sich diese Geschäfte nach Oerlikon, das sich rasant entwickelte. Schuld daran waren die Schwamendinger selber, die sich weigerten, auf ihrem Gebiet eine Bahnlinie und einen Bahnhof bauen zu lassen, ergänzte Maya Burri. «Sie wählten als Sitz des Bahnhofs das damals unbedeutende und von Schwamendingen abhängige Oerlikon. Damit begann der Aufschwung von Oerlikon.»
Ausgestorbene Berufe
Erika Munz hatte als Thema Berufe gewählt, die damals in Schwamendingen noch ausgeübt wurden, und brachte dazu anschauliches Material aus dem Ortsmuseum mit. Sie erzählte vom Nagelschmied, der für die Schuhmacher Nägel schmiedete, die an die Schuhsohlen angebracht wurden, damit die Schuhe ein Leben lang halten sollten. «Rund um den ‹Hirschen› arbeiteten bis 18 Hufschmiede. Sie beschlugen die Pferde der Händler aus dem Oberland, die nach Zürich kamen, um ihre Ware zu verkaufen.» Auch stellten die Schmiede Eisenreifen her, die sie auf die vom Wagner hergestellten Holzräder zogen. Und hin und wieder war auch der «Häftlimacher» unterwegs. «Er ging von Haus zu Haus und reparierte mit feinen Metallhäften zerbrochenes Geschirr.» Voll Stolz zeigte Erika Munz einen auf diese Weise reparierten Teller aus dem Museum. «Danach habe ich lange gesucht.»
«Chilbi unerwünscht»
Maya Burri hat für die Reise in der Vergangenheit in alten Akten des Quartiervereins gestöbert und dabei einiges zum Schmunzeln gefunden. So entdeckte sie eine Korrespondenz an die Stadt Zürich vom 8. März 1958, in dem der Quartierverein mitteilt, dass die Chilbi mitten im Wohnquartier unerwünscht sei und er die Stadt bittet, die Bewilligung zu verweigern.
Dass Schwamendingen nach wie vor bei Aussenstehenden keinen guten Ruf geniesst, können seine Bewohnerinnen und Bewohner nicht verstehen. Aus der anschliessenden Diskussion ging eines klar hervor: Sie möchten nirgendwo anders leben als in ihrem geliebten Kreis 12. (kst./Foto: kst.)