Erneuerungswelle schwappt über Leimbach

Erstellt von Lisa Maire |
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Leimbach stehen umtriebige Zeiten bevor: Etliche der grösseren Wohnsiedlungen sind in die Jahre gekommen und müssen Ersatzbauten Platz machen. Wie werden die Veränderungen im Quartier wahrgenommen?

Der einstige Weiler Leimbach besitzt noch heute eine Art Dorfcharakter. Denn seine topografische Lage zwischen Uetliberg und Entlisberg ist dem Zusammenwachsen mit der Stadt nicht gerade förderlich. Nach innen erlebte das Quartier am Stadtrand jedoch seit den 1920er-Jahren immer wieder starke Wachstumsschübe. Besonders aktiv waren stets genossenschaftliche Bauträger: Ihr Anteil am Gesamtwohnungsbestand stieg bis in die 70er-Jahre auf 45 Prozent und liegt heute noch immer bei rund 35 Prozent. Auch in den letzten 20 Jahren haben genossenschaftliche Neubausiedlungen und Ersatzneubauten die Bevölkerungszahl in die Höhe getrieben.
Weitere grosse Bauprojekte stehen in den nächsten Jahren an. Gleich mehrere Genossenschaften reissen mehr oder weniger gleichzeitig alte Häuser ab und ersetzen sie durch Neubauten. Den Auftakt zur Leimbacher Erneuerungswelle bildet zurzeit die Überbauung «Klee Allee» im Eck Maneggpromenade / Kleeweidstrasse. Die Zürich Anlagestiftung baut hier zurzeit neue Mietblöcke mit 129 Wohnungen anstelle ihrer Mehrfamilienhäuser aus den 50er-Jahren.

Gefühle von Entwurzelung

Mit dem bereits sicht- und spürbaren Wandel setzt sich auch das Gemeinschaftszentrum (GZ) Leimbach auseinander. Bei der gut vernetzten Quartiereinrichtung bekommt man hautnah mit, wie grössere Bauprojekte das Lebensgefühl im Quartier in Mitleidenschaft ziehen können. Denn wenn alte Häuser verschwinden, verschwinden auch Menschen und ihre Geschichten. «Es werden Löcher in über Jahrzehnte gewachsene Gemeinschaften gerissen», sagt Ursula Baumann, beim GZ zuständig für Jugend- und Quartierarbeit. Das könne zu Verunsicherung und Nöten, Gefühlen von Ohnmacht und Entwurzelung führen.
Für Irritation und Unzufriedenheit in der Nachbarschaft sorgt bei Ersatzbauprojekten besonders auch die Praxis der befristeten Mietverträge. Baumann: «Das ergibt eine seltsame Bewohnermischung. Die Verbliebenen schauen einer zunehmenden Anonymisierung zu.» In Umbruchzeiten wie den aktuellen bemüht man sich beim GZ deshalb vermehrt um austauschfördernde Angebote (s. Box).

Wer befristet wohnt, foutiert sich um seine Nachbarn, ist immer wieder zu hören. Pascal Lussmann, Sozialarbeiter bei der Genossenschaft Freiblick, relativiert. Grundsätzlich sei die Einstellung zum Wohnen in solchen Fällen wohl schon eine andere, sagt er. «Aber es gibt durchaus auch Engagierte mit befristeten Mietverträgen.»

Genossenschaften haben in der Regel gute Möglichkeiten, Probleme rund um Ersatzwohnbauten aufzufangen. Zum Beispiel mit Etappierungen und genossenschaftsinternen Umzugsangeboten. Trotzdem: Nicht alle Mieterinnen und Mieter in abbruchgeweihten Häusern hätten Lust auf Hin- und Herzüglerei, bestätigt Lussmann. Erhalten sie die Möglichkeit, zögen einige lieber schon aus der Siedlung weg, bevor sie eigentlich müssten.

Quartier in Aufruhr

Zu einer besonderen Herausforderung wurden befristete Mietverhältnisse in Leimbach, als 2015 in mehreren privaten Mehrfamilienhäusern an der Stotzstrasse Asylsuchende einzogen. Weil sich seine Abbruch- und Neubaupläne verzögerten, entschied sich der Eigentümer, die bereits geräumten Wohnungen als Zwischennutzungen an die Asylorganisation Zürich (AOZ) zu vermieten. 130 Asylsuchende auf einen Schlag – das kam im Quartier nicht gut an. «Wir müssen raus, damit die Asylbewerber reinkönnen», erinnert sich Rosmarie Dietiker an empörte Reaktionen. Die Stimmung im Quartier habe sich damals spürbar verschlechtert, sagt die Leimbacherin, die seit 37 Jahren in der Genossenschaftssiedlung Kleeweid wohnt und selbst bis heute engagierte Kontakte zu Asylsuchenden pflegt.

Ein Dorf mit allen Vorteilen

Auch wenn alte Häuser und Gärten verschwinden, die Überbauungen dichter, das Wohnen urbaner, das gemeinschaftliche Engagement geringer werden: Leimbach habe dank den Genossenschaften noch immer Dorfcharakter, geben hier Verwurzelte zu Protokoll. Dietiker vermisst zwar die tollen Freiwilligen-Feste von früher. Doch steht für sie fest: «Wir wohnen hier draussen bis heute privilegiert – mit viel Nähe zur Natur, viel Freiraum für die Kinder.» Und Peter Härtli, ebenfalls langjähriger Kleeweid-Bewohner, betont: «Es gibt hier immer noch genügend zusammenhaltsfördernde Gelegenheiten.» Die zunehmende Bauerei sieht er mit gemischten Gefühlen. Es mache schon Bauchweh, aus einer Wohnung rauszumüssen, in der die Kinder grossgeworden seien, erinnert er sich an die erste Abrissetappe in der Kleeweid vor elf Jahren. Anderseits ist ihm klar: 50er-Jahre-Standard entspricht nicht mehr den Wohnbedürfnissen heutiger Familien. «Auch meiner Frau und mir gefällt es eigentlich im Kleeweid-Neubau viel besser» meint der 77-Jährige.

Dass das Wohnungsangebot in Leimbach wächst, findet auch Quartiervereinspräsident Christian Traber grundsätzlich begrüssenswert. «Man darf nur nicht die Folgen vergessen», mahnte er kürzlich in dieser Zeitung. Mehr Wohnungen, mehr Familien – das bedeute auch mehr benötigten Schulraum. Und dieser fehle in Leimbach heute schon.

 

GZ-Projekt Kunstmeile: «Es geht darum, Spuren zu hinterlassen»

Das GZ Leimbach greift das Thema Wandel im Quartier mit seinem Projekt «Kunstmeile» auf. Es bietet Kindern, Jugendlichen oder auch interessierten Erwachsenen die Möglichkeit, rund 2 x 2,5 Meter grosse PVC-Platten mit Acrylfarben künstlerisch zu gestalten. Die Bilder werden hinterher auf die Bauwände des «Klee Allee»-Bauprojekts entlang der Maneggpromenade aufmontiert. Die Idee hinter dem Ausstellungsprojekt: Veränderungsprozesse im Quartier aktiv mitgestalten, Spuren hinterlassen, erklärt Ursula Baumann vom GZ-Team.
Die Kinder und Jugendlichen, die sich bisher an den Malaktionen des Gemeinschaftszentrums beteiligten, waren mit viel Spass und Kreativität zu Gange. Baumann: «Sie finden die Vorstellung toll, sich an einem Ort verewigen zu dürfen, wo es alle sehen können.» Einzelne sorgten sich gar, ihre künstlerischen Spuren auf den Bauwänden könnten später verschandelt werden, und hätten ihre Werke am liebsten mit Plastikfolien geschützt. «Befürchtungen, die zu interessanten Gesprächen über Legalität und Ethik der Graffiti-Kultur führen», so Baumann.
Während der Sommerferien wird die Malaktion im Jugendtreff der OJA Wollishofen-Leimbach am Rebenweg 6 weitergeführt. Und zwar jeweils am Mittwoch, 14.30 – 20 Uhr.

instagram @oja_wollishofenleimbach