ERZ kassierte jahrelang viel zu viel auf dem Buckel der Bevölkerung

Erstellt von Lorenz Steinmann |
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Schon vor den Resultaten der Parlamentarischen Untersuchungskommission PUK über den ERZ-Skandal war klar, dass die Stadt jahrelang zu hohe Abfall- und Abwassergebühren verlangte. Passiert ist wenig. Zahlen musste die Bevölkerung.

«Schlecht haben es jene, die 15 Jahre in Zürich wohnten und kürzlich wegzogen, sie haben viel zu viel Abwasser- und Abfallgebühren bezahlt», bringt es Markus Merki (GLP) auf den Punkt. Der Präsident der Parlamentarischen Untersuchungskommission betont: «Eines der Grundübel seit 2005 war die Überfinanzierung durch zu hohe Gebühren und auf der Ausgabenseite die oft regelwidrige Verwendung dieser Gebühren für Projekte aller Art anstatt nur für Betriebskosten.» Zürcherinnen und Zürcher zahlten also viele Jahre zu hohe Gebühren. Markus Merki verweist etwa auf Interventionen des damaligen Nationalen Preisüberwachers Rudolf Strahm. Der Preisüberwacher hielt in seinem später öffentlich zugänglich gemachten Schreiben an den Stadtrat im Dezember 2006 mit deutlichen Worten fest, dass die Stadt Zürich viel zu hohe Reserven bilde und der Rechnungskreis überkapitalisiert sei. Er bemängelte zusätzlich die schlechte Finanztransparenz. Der Preisüberwacher, übrigens wie der damals verantwortliche Stadtrat Martin Waser SP-Mitglied, empfahl, die Gebühren zu senken sowie sämtliche Investitionen inskünftig zu aktivieren und über die Nutzungsdauer abzuschreiben.

Oft kritisiert, nie etwas gemacht

Markus Merki bemängelt heute wie auch Gemeinderat Albert Leiser, dass der Stadtrat «nichts gemacht» habe. Waser behauptete damals laut Merki gar, man habe sich in der Kommission einvernehmlich geeinigt, dass betreffend die Gebühren keine Anpassung notwendig sei. Im PUK-Bericht wird Waser zitiert, dass das Gespräch Ende Januar 2007 «nicht konstruktiv verlaufen ist und man hätte sich seitens des Preisüberwachers nicht vertieft mit der Ge­bührensystematik auseinandergesetzt». Heute ist klar, Waser redete seinem Dienstchef von Entsorgung + Recycling Zürich ERZ nach dem Mund. Zuerst war es Gottfried Neuhold, später beförderte Waser den Vizedirektor Urs Pauli zum neuen Chef. Immer wieder wurden die zu hohen Gebühren von Gemeinderäten bemängelt, Stadtrat und Verwaltung reagierten gar nicht oder nur auf hohen Druck (siehe Interview mit Albert Leiser in der rechten Spalte).

Drei Stadträte im negativen Fokus

Laut PUK-Bericht sind unter allen drei Stadträten des Tiefbau- und Entsorgungsdepartements TED von 2002 bis 2017 (Martin Waser, Ruth Genner, Filippo Leuten­egger) Mängel vorhanden gewesen, welche die Machenschaften der Direktoren Gottfried Neuhold und Urs Pauli begünstigten. Bei den Beschaffungen, im Finanzrecht oder in der Personalführung.  Für Markus Merki ist klar: «In Bezug auf die Zweckentfremdung von Gebührengeldern wird ein Vorurteil gegenüber der Verwaltung leider bestätigt: Solange Geld vorhanden ist, wird dieses ausgeben.» Die  PUK ERZ fordert nun, dass die Gebühren periodisch auf ihre Höhe zu überprüfen und allenfalls anzupassen sind. «Die Stadt hat bisher geschlafen und nichts getan, nun bewegt sie sich», ist Merkis Fazit.

Bei den zu viel eingenommenen Gebühren – der «Tages-Anzeiger» spricht ­total von bis zu einer Milliarde Franken – ist eine Orientierung nicht einfach. Im PUK-Bericht steht, dass von 2005 bis und mit 2018 allein im Abfallwesen insgesamt 175 Millionen Franken ausserordentlich abgeschrieben wurden. «Geht man von einer mittleren Abschreibungsdauer von 20 Jahren aus, so waren auf diese Weise bis Ende 2018 stille Reserven in der Höhe von 92 Millionen Franken gebildet worden. Wäre korrekt abgeschrieben worden, müsste das entsprechende Spezialfinanzierungskonto Ende 2018 nicht nur knapp 260 Millionen Franken ausweisen, sondern rund 350 Millionen Franken.»

400 Franken pro Wohnung/Jahr?

Das sind viel zu hohe Reserven, wie 2006  schon Rudolf Strahm monierte, damals bei den Abwassergebühren. Laut AL erlaubte der Stadtrat dem ERZ «eine von A bis Z rechtswidrige Abschreibungspraxis, mit der stille Reserven in Milliardenhöhe aufgebaut wurden.» Auf 1,2 Milliarden Franken summiere der PUK-Bericht die zwischen 2005 und 2018 zu viel einkassierten Gebühren. Das entspreche rund ­einem Drittel der Gebühreneinnahmen des ERZ oder jährlich rund 400 Franken pro Haushalt. Die PUK ERZ und Markus Merki ziehen ein Fazit: «ERZ praktizierte über Jahre ein simuliertes Unternehmertum. Es profitierte von den finanziellen Vorteilen ­einer weitgehenden Monopolstellung, ohne gleichzeitig die für die Privatwirtschaft charakteristischen unternehmerischen Risiken tragen zu müssen.» Neben dem Gebührendesaster ist Markus Merki am meisten in Erinnerung, dass die ERZ-Führung das Personalrecht nach eigenem Gutdünken ausgereizt habe.

Teure Essen im «Baur au Lac»

«Da zeigte die Führung wenig Sensibilität, etwa wenn die Geschäftsleitung für 1500 Franken im ‹Baur au Lac› zum Mittagessen ging und der Alkohol floss.» Dabei gelte bei ERZ während der Arbeit ein Alkoholverbot, man habe sich aber herausgeredet, dass dies nur für das Betriebspersonal, nicht aber für die Verwaltung gelte. «Wasser predigen und Wein saufen», so sein pointiertes Urteil.

Die stadträtliche Aufarbeitung des ERZ-Skandals hat für die PUK ERZ einen schalen Beigeschmack. So hegt die PUK ERZ Zweifel über die Zusammensetzung der stadträtlichen Delegation zur Administrativuntersuchung Poledna sowie zu deren Unabhängigkeit. «In der Delegation des Stadtrats sassen Personen, die jahrelang an der Schnittstelle ERZ-Departement tätig waren und so möglicherweise auch selbst im Fokus hätten stehen sollen», sagt Merki. Zudem zeigten die bereits ergriffenen Massnahmen des Stadtrats eine einseitige Konzentration auf ERZ. Vom Stadtrat eingeleitete Verbesserungen im Departement oder auf Stufe Stadtrat seien bisher äusserst rar.

Hohe Gebühren, nicht Emu & Co.

Alles in allem sind die immer wieder in den Medien herumgereichten Verfehlungen wie teure Dienstwagen, schwarze Kassen, Weihnachtsfeiern für bis zu 250 Franken pro Kopf und Jahr sowie natürlich der Emu-Zoo und das Oldtimermuseum ­finanziell gesehen sehr gering gegenüber den überteuerten Abfall- und Abwassergebühren. Jenes zu Unrecht verlangte Geld – gemäss AL 400 Franken pro Haushalt und Jahr – fehlte die letzten 15 Jahre in manchem Haushalt für anderes.

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Chronologie der happigen Geldanhäufung bei ERZ

Entsorgung + Recycling Zürich. Das ist der städtische Bereich, der die Züri-­Säcke abholt, die Stadt sauber hält und unser Abwasser im Werdhölzli reinigt. Das kostet eine Stange Geld. Doch überall, wo Geld eine Rolle spielt, gibt es Probleme. Das war schon vor über 40 Jahren so, als ein riesiger Schmiergeldskandal die damalige Stadtentwässerung erschütterte. Auch dort arbeitete eine PUK die Sache auf. Daraufhin entstand 1996 ERZ. Ein ABB-Manager sollte das Abfuhrwesen und die Entwässerung sanieren. Mit der Erhöhung der Gebühren machte Gottfried Neuhold die Abteilungen fit für die Privatisierung, wie die AL in einer Mitteilung schreibt. Doch während die Gasversorgung erfolgreich privatisiert wurde, scheiterte die Idee beim EWZ. Und als 2002 Stadtrat Martin Waser (SP) von Kathrin Martelli (FDP) das Amt des Chefs des Tiefbau- und Entsorgungsdepartements übernahm, war klar: Die Privatisierung des ERZ war politisch gestorben. Doch da kam laut AL «die Stunde von Urs Pauli, der 1999 als Finanzchef zum ERZ gekommen war». Neuhold firmierte zwar noch als Direktor. Der von Martin Waser protegierte Pauli war jedoch schon der alles kontrollierende Patron, der sich systematisch über städtische Regeln hinwegsetzte. Kurz vor seinem Wechsel vom TED ins Sozialdepartement ernannte Stadtrat Waser Pauli zu dem, was er eigentlich schon war: Dienstchef des ERZ. Der Rest ist Geschichte, die jetzt geflickt wird. (ls.)