Ex-Banker lockt auf falsche Fährte

Erstellt von Isabella Seemann |
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Als Topshot im Asset Management bei der CS verwaltete der Erlenbacher Andreas Russenberger (53) die Vermögen seiner Kunden. Heute liefert ihm sein früherer Job den Stoff für seine Krimis. Am 4. August erscheint der dritte.

 

Andreas Russenberger, Sie waren im Organigramm weit oben angelangt. Hand aufs Herz: Rechnen Sie in Ihren Krimis mit der Finanzwelt ab?

Keineswegs, ich hatte eine äusserst interessante Arbeit und blicke mit sehr guten Gefühlen, aber ohne Wehmut zurück. Ich siedle meine Krimis allein deswegen in der Finanzbranche an, weil ich mich darin auskenne und mir der Jargon geläufig ist. Und wenn man die dunklen Seiten des Menschen, seine Eitelkeiten, seine Gier in einer Geschichte verarbeiten möchte, dann bietet sich die Bankenbranche natürlich auch als Kulisse an.

Steht man denn als Bankangestellter quasi automatisch an der Grenze zur Kriminalität?

Bankangestellte, vom KV-Stift bis zum CEO, haben nur eine Aufgabe: ihren Job seriös auszuführen. Menschliche Abgründe manifestieren sich in jedem Milieu. So auch in der Welt der Literatur, in die ich nun Einblick habe. Die Menschen sind sich überall ähnlich. Doch gibt es ­einen Unterschied: Geld, zumal wenn es sich um Milliarden handelt, ist ein Katalysator, der Charaktereigenschaften akzentuiert. Im Guten wie im Schlechten.

Schauen Sie als Schriftsteller anders auf die Bankenbranche, die wieder mal negative Schlagzeilen bringt, als früher?

Ich wünschte, ich könnte Ihnen zu dieser Frage eine tiefsinnige Antwort geben. Aber die Wahrheit ist: Nein, ich bin immer noch der gleiche Mensch und schaue auch heute noch immer gleich auf die Branche mit all meinen Erfahrungen und Informationen – so wie früher. Nur dass mir die Finanzwelt heute Stoff für Krimis liefert.

Lügen ziehen sich wie ein roter Faden durch Ihren neuen Krimi «Bahnhofstrasse». Was würden Sie sagen: Ist Lügen im Alltag manchmal eine
vertretbare Option?

Höflichkeit und Ehrlichkeit sind nur durch einen dünnen Vorhang von der Lüge getrennt. Manchmal sagen wir zu jemandem, er sähe gut aus, obwohl wir finden, dass er schlecht aussieht. Oder man sagt, es gehe einem gut, obwohl man eine Krise schiebt. Das ist streng genommen auch eine Täuschung des Gegenübers. Aber ab wann ist es moralisch nicht mehr gerechtfertigt, die Wahrheit zu verschweigen oder ganz direkt zu lügen? Fakt ist: Die Lüge ist so alt wie die Menschheit. ­Jeder weiss, dass gelogen und betrogen wird – und doch ist man dann überrascht, wenn man dahinterkommt. In meinen Krimis spiele ich auf verschiedenen Ebenen mit diesen Täuschungen: Die Protagonisten täuschen einander und ich spiele mit der Täuschung der Leserschaft, locke sie auf falsche Fährten und behalte die Wahrheit eine ganze Weile für mich.

Ihre Krimis kreisen um grundsätzliche Fragen der Menschheit. Woher kommt Ihr Interesse dafür?

Das wurde mir quasi in die Wiege gelegt. Als Sohn eines Pfarrers aus dem Appenzellischen bin ich mit der Bibel und ihren Geboten – «Du sollst nicht lügen!» – und ihren Geschichten, bei denen es oft um das Gute und das Böse geht, aufgewachsen. In der Wirklichkeit, auch das habe ich als Kind festgestellt, sind das Gute und das Böse oft in einer Person vereint: der Strenggläubige, der betrügt, die vordergründig Hilfsbereite, die hintenrum intrigiert. Die intellektuelle Beschäftigung mit solchen grundsätzlichen Fragen gehört seit je zu meinem Interesse. Allerdings bin ich ein ganz und gar unreligiöser Schriftsteller und überlasse das Urteil dem Leser und der Leserin. Ich will kein Moralapostel sein, solche ärgern mich viel mehr. Ständig brechen sie den Stab über andere Leute und sind dabei selber nicht ohne Schwächen und Laster.

Was würden Sie als Aussage zum Thema Wahrheit den Lesern gern mitgeben?

Das Gute ist überall, das Schlechte ist überall, die Wahrheit ist überall, die Lüge ist überall. Sie sind auch in Dir drinnen. Konfrontiere Dich damit. Sei ehrlich zu Dir selbst. Übe Selbstkritik, aber zerbreche nicht an Deinen Schwächen.

Von der hektischen internationalen Bankenbranche mit Milliardensummen zum einsamen Schriftstellerdasein – kamen Sie auf Entzug?

Nach durchgehend 25 Jahren auf hundert ging ich von einem Tag auf den anderen auf null runter und hatte dann drei Monate lang Adrenalinentzug. Plötzlich war das Grundrauschen, das mich jahrelang begleitete, weg. Die Veränderung war physisch spürbar. Aber heute schätze ich es enorm, dass ich meine Tage selber planen kann, und schliesslich sind mir die internationalen Kontakte als Freunde geblieben. Aber zum Schreiben braucht es Ruhe – und die suche ich jetzt noch stärker. So arbeite ich jetzt auch in Ateliers für Schriftsteller, um jede Ablenkung zu vermeiden. Überhaupt betrachte ich die Schriftstellerei erst jetzt als meinen Beruf, das war beim Erstling noch nicht der Fall. Mittlerweile jongliere ich mit mehreren Bällen gleichzeitig. Ich schreibe bereits das vierte Buch zu Ende, obwohl das dritte erst gerade herauskommt, und gebe noch Lesungen für das zweite Buch.

Als Bankangestellter hatten Sie Erfolg. Stehen Sie als Schriftsteller unter Erfolgsdruck?

Nein, ich habe eine spielerische, kindliche Freude am Erfolg. Von den Genen her bin ich ein Sportler, ich liebe den Wettbewerb und den Adrenalinkick. Kein Schriftsteller schreibt für das stille Kämmerlein, jeder will gelesen werden.

Reagieren die Menschen unterschiedlich auf Sie als Schriftsteller im Vergleich zu früher als Kaderangestellter einer Bank?

Ja, das ist so. Man zieht andere Menschen an. Als Bankangestellter steht der finanzielle Status weit vorne. Als Schriftsteller auf eine andere Weise ebenfalls – alle fragen sich, ob man davon leben kann.

Was haben Sie beim Schreiben über sich gelernt?

Ich habe gelernt, auf mich alleine gestellt zu sein. Als Bankangestellter lebte ich mit einem sehr engen Korsett von Hierarchie, Beziehungen und Abhängigkeiten, das mich trug und stützte. Aus diesem bin ich ausgestiegen, musste bei null anfangen, ohne Titel und Stellung auf der Visitenkarte, ohne geringste Beziehungen in der Literaturbranche. Ich machte Dinge, die ich zuvor nie getan habe, wie: Geschichten ausdenken, die erste Zeile schreiben, Manuskripte einschicken. Ich kassierte auch Absagen. Wenn ich Erfolg habe, ist es meiner, wenn ich Misserfolg habe, bin nur ich verantwortlich. Das alles löste in mir grösste Zufriedenheit aus.

 

Lesungen und Gespräche: Am 24. August in der Buchhandlung Wolf in Küsnacht (www.wolf.ch) und am 31. August in der Gemeindebibliothek Erlenbach (gemeindebibliothek@erlenbach.ch).