«Wiedikon – gestern & heute» zeigt spannende Facts und amüsante Anekdoten. Im Zentrum des Dokumentarfilms steht Hermann Schumacher, ein «wandelndes Lexikon» zum alten Wiedikon.
Warum trägt die Ämtlerhalle an der Gertrudstrasse diesen eigenartigen Namen? Was hat Benito Mussolini (1883–1945), der berüchtigte italienische Duce, mit Wiedikon zu schaffen und welcher Bodenschatz machte Wiedikon einst über die Dorfgrenzen hinaus bekannt? Hermann Schumacher muss man nicht zweimal danach fragen. Der 88-Jährige beginnt zu sprudeln, wenn es um Wiedikon und seine Vergangenheit geht.
Über alles im Quartier informiert
Sein ganzes Leben hat Hermi – wie er gerne genannt wird – hier verbracht. Auf den gefrorenen Weihern der Lehmgruben ist er Schlittschuh gelaufen, im Bühlschulhaus hat er die Schulbank gedrückt und als gelernter Maler über vierzig Jahre lang sein Geschäft an der Birmensdorferstrasse geführt. Noch heute sind Goldbrunnenplatz und Schmiede seine Lieblingsorte.
Der Gewerbler war in vielen Vereinen aktiv und rund 20 Jahre Präsident des Vereinskartells, des Zusammenschlusses aller Vereine im Quartier. «So habe ich natürlich viele Leute kennen gelernt und war über alles informiert, was im Quartier lief», erinnert er sich an diese aktive Zeit. Das Quartier- und Vereinsleben war sein Leben. Damit einher ging ein wachsendes Interesse an der Geschichte. Hermi las alles, was es an Literatur zu Wiedikon gab; hat Vorlesungen an der Volkshochschule besucht und den Fundus im Ortsmuseum studiert, bis er damit begonnen hat, sein Wissen selbst unter die Leute zu bringen. Eine Quartierführung ergab die nächste, ein Vortrag zog weitere nach sich. Mit 85 habe er beschlossen, kürzerzutreten und endgültig damit aufzuhören. Denn, so meint er verschmitzt, er habe einen grossen «Sprachfehler»: Er könne nicht Nein sagen.
Ein glücklicher Zufall wollte es, dass an seiner «allerletzten» Führung, die er im Sommer 2019 für den Quartierverein Wiedikon machte, die Historikerin Ursula Tschirren vom Ortsmuseum den Filmer Flavian Cajacob aufbot, um diese letzte Chance, Hermann Schumacher live in seinem Element zu erleben, filmisch festzuhalten. «Zuerst ging es nur darum, einzelne Sequenzen aus der Führung auf die Website des Ortsmuseums zu stellen.» Aber bald war den beiden klar, dass man daraus mehr machen konnte und sollte.
Alte Fotos ergänzen Interviews
«Schumacher ist ein Glücksfall», meint Cajacob. Er sei eine immense Quelle an Wissen, Geschichten und Anekdoten – und ein detaillierter Erzähler. Es folgten Interviews mit Schumacher zur Entwicklung der Dorfstruktur, zu den Begegnungen mit den italienischen Fremdarbeitern im sogenannten «Glasscherbenquartier», zu Bahn- und Tramverkehr, zu den Ziegeleien, zur Theaterleidenschaft der Wiediker und zu vielem mehr. Die Sequenzen aus der Quartierführung und die Interviews werden mit wunderbaren alten Fotos vom einstigen Wiedikon illustriert und fügen sich zum unterhaltsamen Dok-Film «Wiedikon – gestern & heute» zusammen.
«Hermi Schumacher kann Bilder zum Leben erwecken» schwärmt Ursula Tschirren. Damit wird der Blick für das eigene Quartier geschärft und Interesse geweckt. Und was man kennt, das schätzt man und trägt Sorge dazu. Über Erinnerung und Geschichten wird Identität geschaffen. Der Film kann dazu beitragen, sich mit dem Quartier auseinanderzusetzen, sich dafür zu interessieren und im besten Fall sich zu engagieren. Die Uraufführung des Films «Wiedikon – gestern & heute» fand kürzlich im Kino Uto statt.