First Responder: Wenn Minuten entscheiden

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Leben oder Tod: Wenn die First Responder der Feuerwehr Küsnacht ausrücken, geht es ums Ganze.

Wenn Sie heute Mittagessen gehen, werden bereits zwölf Menschen an plötzlichem Herztod gestorben sein. In der Schweiz ereignen sich pro Jahr zwischen 7000 und 10 000 solcher Todesfälle, etwa einer jede Stunde. Herzkreislaufstillstände, die zum Herztod führen, sind darum besonders kritisch, weil die Überlebenschance pro Minute, die ungenutzt verstreicht, um zehn Prozent sinkt. «Rein statistisch gesehen, besteht in einem solchen Fall nach zehn Minuten fast keine Überlebenschance mehr», sagt Philip Nigg, First Responder der Feuerwehr Küsnacht. Glücklicherweise wird das Leben des Einzelnen jedoch nicht von Statistiken bestimmt. Herzkreislaufstillstände sind aber immer kritisch – auch weil der Anfahrtsweg einer Ambulanz im Schnitt zehn Minuten beträgt. Ohne Verkehr.

Einfach, aber effektiv
Die First Responder der Feuerwehr Küsnacht überbrücken die Zeit zwischen einem Vorfall und dem Eintreffen des Rettungsdienstes. Das Konzept kommt ursprünglich aus den Vereinigten Staaten und ist in der Theorie denkbar simpel: Bei einem Notfall werden immer Einsatzkräfte der nächstmöglichen Blaulichtorganisation entsendet. Egal ob Polizei, Feuerwehr oder Sanität. Diese Ersthelfer – First Responder – stellen sicher, dass die Patienten eine qualifizierte erste Hilfe erhalten, bis die Profis der Sanität eintreffen. Vier der Küsnachter First Responder sind hauptberuflich Rettungssanitäter, der Rest besitzt medizinisches Flair und Interesse an «Präklinischer Notfallmedizin». «Wir sind normale Laienhelfer, unsere primäre Aufgabe ist das Feuerwehrhandwerk », erklärt Nigg. Ganz im Gegensatz zum herkömmlichen Laien gestaltet sich allerdings die Ausrüstung der First Responder, deren Grundbildung im Rettungswesen und nicht zuletzt die Erfahrung bei Blaulichteinsätzen.

Einsatz im Notfall
Die meisten Menschen in der Schweiz haben irgendwann in ihrem Leben einen Nothelferkurs absolviert, seit 40 Jahren ist er Teil der Fahrprüfung. Trotzdem vergeht zwischen dem Absolvieren des Kurses und einem praktischen Einsatz meist viel Zeit – wenn eine solche Gelegenheit denn je kommt. Für den notfallmedizinischen Einsatz sind das denkbar schlechte Voraussetzungen: «Wir werden aufgeboten, wenn es um Leben oder Tod geht», weiss Nigg. Um bei der Feuerwehr zu den First Responder zu kommen, braucht es darum mehr als nur rudimentäres Basiswissen. Ein Mindestalter von 20 Jahren und ein Jahr Erfahrung im regulären Feuerwehrbetrieb sind ein Muss. Während eines Jahres nehmen Anwärter zudem lediglich an den Übungen teil, danach folgt ein zweitägiges Praktikum beim Rettungsdienst Zürich. Erst dann wird der Pager für richtige Einsätze aufgeschaltet.
Der Pager der Feuerwehr, den alle Feuerwehrleute bei sich tragen müssen, diktiert den Arbeitsrhythmus. Die First Responder sind integraler Bestandteil der Feuerwehr Küsnacht, ein eigener Zug der Blaulichtorganisation. Geht beim Notruf eine Meldung ein, beispielsweise über einen Herzkreislaufstillstand in der Region Küsnacht und Zumikon, wird automatisch eine Nachricht an die Pager der First Responder gesendet. Die verfügbaren Mitglieder des Zugs machen sich dann sofort auf den Weg ins Feuerwehrdepot. Gearbeitet wird in Zweierteams, die ersten beiden, die eintreffen, übernehmen den Einsatz. Nachdem sich die Rettungskräfte in Unform geworfen und Detailinformationen zum Einsatz bekommen haben, machen sie sich mit Blaulicht auf den Weg zum Einsatzort.

Hilfe in bangen Minuten
Die First Responder existieren, um die Zeit bis zur Ankunft des Rettungsdienstes zu überbrücken und in diesen bangen fünf bis sechs Minuten vielleicht den Unterschied auszumachen zwischen Leben und Tod . Warum also zuerst ins Feuerwehrdepot einrücken und wertvolle Zeit aus der Hand geben? «Unser Material, speziell unser ‹Automatischer Externer Defibrillator AED›, ist im Feuerwehrdepot », erklärt Philip Nigg. «Der Zeitverlust durch den Weg ins Depot ist sehr gering. Wir gewinnen zudem wieder Zeit, wenn wir mit Blaulicht ausrücken. » Rettungspersonal muss sich schliesslich nur in Zivil an die Strassenverkehrsordnung halten. Dazu kommt, dass die Einsatzkräfte allesamt ortskundig sind.
Abgesehen vom medizinischen Material ist auch die Uniform selbst ein wichtiges Werkzeug, nicht bloss, weil sie Schutz für die Träger bietet. «Wenn bei einem Notfall jemand in Uniform kommt, strahlt das eine gewisse Sicherheit aus», sagt Nigg. Er absolviert momentan selbst die Ausbildung zum professionellen Rettungssanitäter, seit etwa fünf Jahren ist er bei den Küsnachter First Responder dabei. Richtig sicher fühlt er sich in dieser Tätigkeit allerdings erst, seit er vor zwei Jahren die Ausbildung zum Rettungssanitäter begann. Die First Responder bauen auf dem Milizsystem auf, ohne medizinischen Hintergrund sei es schwierig, eine richtige Routine zu kriegen.
Zwei Dutzend Einsätze fahren die First Responder im Jahr durchschnittlich. Nicht alle stellen sich tatsächlich als Notfall heraus, nicht bei allen ist eine Reanimation notwendig. Das ist natürlich ein Glück, aber es ist auch schwierig, so Erfahrung zu gewinnen.

Einsatzkräfte gut aufgestellt
Im Gegensatz zur Feuerwehr selbst, haben die First Responder allerdings trotzdem keine Nachwuchsprobleme. Mit 12 Mitgliedern ist der Zug gut aufgestellt. «Dadurch konnten die First Responder der Feuerwehren Küsnacht und Zumikon, in Zusammenarbeit mit der Gemeindepolizei Zumikon, in den letzten elf Jahren bereits über 230 Patienten helfen», sagt Nigg. Sie seien in erster Linie aber immer noch Feuerwehrleute, der First-Responder- Dienst sei eine Ergänzung zur professionellen Rettung, «nice to have». Wenn die Feuerwehr irgendwo im Einsatz steht, könne sie keine medizinischen Einsätze übernehmen.
Die Grösse des First-Responder- Zugs stellt einerseits sicher, dass auf die meisten Anfragen reagiert werden kann. Auf der anderen Seite dient sie auch dem Schutz der ortsansässigen Einsatzkräfte. «Wir haben dort Einsätze, wo wir die Menschen kennen», sagt Nigg. «Findet der Einsatz an einer Adresse statt, die wir kennen, können wir zurückstehen.» Die Grösse der Einsatzgruppe biete Raum dafür. «Mit dem Risiko, im Einsatz jederzeit auf jemanden zu treffen, den man kennt, muss man leben können», stellt der 25-jährige lapidar fest. Mehr gibt es dazu wohl nicht zu sagen.
Entsprechend gestalten sich die Anforderungen an die Mitglieder der First Responder. Psychische und physische Belastbarkeit – Reanimationen sind körperlich anstrengend – und die Fähigkeit, sich aktiv Hilfe holen zu können, wenn einen etwas Erlebtes belastet, sind für Nigg wichtige Eigenschaften. Unverzichtbar sei allerdings das, was ihn selbst dazu motiviert, beruflich und privat in diesem Feld zu arbeiten: der Wille, anderen zu helfen. (fl.)