Jahrelang hielten Stadt und Kanton Zürich am Abriss der letzten Zeitzeugen des Güterbahnhofs in Zürich-Aussersihl fest. Nun einigten sie sich «in letzter Minute», wie die NZZ schrieb. Eine geplante Treppe zum neuen Polizei- und Justizzentrum (PJZ) ist plötzlich nicht mehr so wichtig.
Lorenz Steinmann
In gut einem Jahr wird das Polizei- und Justizzentrum (PJZ) in Zürich-Aussersihl eröffnet. Auf dem ehemaligen Areal Güterbahnhof werden dann Abteilungen der Kantonspolizei, der Staatsanwaltschaft und des Justizvollzugs sowie das Forensische Institut, die Zürcher Polizeischule und Teile des Zwangsmassnahmengerichts zusammengefasst. Die Kosten betragen rund 740 Millionen Franken.
Für den Neubau wurde 2013 der SBB-Güterbahnhof grösstenteils abgebrochen. Doch das PJZ beansprucht von der Grundstücksfläche von total 63 608 Quadratmetern lediglich etwa 33 600 Quadratmeter. Trotzdem hielt der Kanton bisher immer an seinen Aussagen fest, die letzten Hallen des alten Güterbahnhofs müssten wegen eines provisorischen Treppenaufgangs ebenfalls abgebrochen werden. Diese Zeitung thematisierte den Erhalt der verbleibenden zwei Hallen mehrere Male seit 2018. Grund: Hier entwickelten sich unter der Ägide des Architekten und Kurators Ralph Baenziger stark beachtete Kunstausstellungen rund um die Werke von Otto Müller und Trudi Demut.
Trotzdem hiess es vom Kanton auf Anfrage stets, es gebe nur den Abbruch als Option. Dies sei im Gestaltungsplan und in der Baubewilligung so vorgegeben. Zudem werde vor Bezug des PJZ-Neubaus im Bereich der beiden noch bestehenden Hallenteile ein Treppenaufgang zur Hardbrücke erstellt. Von dieser Zeitung angefragte Politiker (SP, GLP, Grüne, AL) zeigten sich 2018 erstaunt über diese festgefahrene Situation. «Der Abriss auf Vorrat bringt nichts», erklärte etwa Marco Denoth, Gemeinderat und damaliger Stadtzürcher SP-Präsident. «Bireweich» fand AL-Gemeinderat Walter Angst die Vorstellung, dass Stadt und Kanton die noch bestehenden Hallen des SBB-Güterbahnhofs im Kreis 4 abreissen wollen. Er formulierte deswegen eine Anfrage im Gemeinderat, um herauszufinden, ob der Rest des Güterbahnhofs nicht erhalten bleiben könne.
Nun hat sich – laut der NZZ in letzter Sekunde – eine überraschende Lösung ergeben, wie Stadtrat André Odermatt (SP) kürzlich im Gemeinderat beiläufig erwähnte. Auslöser war eben dieses Postulat von Walter Angst. Tatsächlich hatte Odermatt daraufhin beim zuständigen Regierungsrat Martin Neukom (Grüne) angeklopft und nach Möglichkeiten einer Verlängerung der Zwischennutzung gefragt – die bald auch gefunden wurde. Laut der NZZ übernimmt demnach die Stadt ab 2022 die beiden Hallen für fünf Jahre in Gebrauchsleihe und gibt sie weiter an den Verein Zitrone, der auf Zwischennutzungen aller Art spezialisiert ist. Der Verein erhält gemäss dem Zeitungsartikel die Auflage, dass Ralph Baenziger mit seinem Kunstprojekt in der einen der beiden Hallen bleiben kann. Der Verein Zitrone machte sich einen Namen etwa mit der Zwischennutzung der Citroën-Garage Schlotterbeck an der Badenerstrasse.
Freude bei Angst und Baenziger
Und die bisher immer erwähnte Treppe hinauf zur Hardbrücke? Diese Bauvorgabe könne man so lange noch verschieben, kein Problem. Schliesslich gebe es ja noch den Zugang über die Rampe, der Weg sei nicht sehr viel weiter.
Walter Angst gibt sich auf Anfrage «sehr erfreut». Es sei eine komplizierte Konstellation auf dem Areal. Sicher nicht schlecht sei der Direktionswechsel vom 2019 zurückgetretenen Regierungsrat Markus Kägi zu seinem Nachfolger Martin Neukom gewesen. Angst hofft insgeheim, dass man in einigen Jahren darauf komme, dass die Zwischennutzung besser sei als die im kantonalen Gestaltungsplan angedachte Neubebauung. «Kulturelle Nutzungen tun diesem Standort auch langfristig gut», sagt der Kommunikationschef des Mieterverbandes.
Gebrauchsleihe bis 2027
Grosse Freude an der Entwicklung hat auch Ralph Baenziger. In einem Newsletter sprach er gar vom «Wunder von Zürich», das nun entsprechend gefeiert werden müsse. Bis Ende 2026 will er nochmals ganz unterschiedliche Veranstaltungen durchführen – zunächst unter anderem Hearings, in denen der neue Kurs von Art Dock definiert werden soll. Auf Anfrage heisst es von der Stadt, die Verträge würden bald unterschrieben. So steht zumindest einer Zwischennutzung bis 2027 nichts mehr im Weg.