Doris Klingenberg, selbst langjährige «Laubegglerin», zeichnet die Geschichte der Wiediker Wohnsiedlung Im Laubegg in einem Buch nach. Der reich bebilderte Band gibt einen spannenden Einblick in den Wandel des Lebens in den und um die 38 Reihenhäuschen.
«Herzig, aber lärmig», mögen manche denken, wenn sie an der verkehrsreichen Uetlibergstrasse vor der Laubegg-Siedlung stehen. Die wenigsten wissen allerdings, dass sich hinter den Reihenhäuschen im romantischen Heimatstil ein erstaunlich ruhiges Gartenparadies verbirgt. Erbaut wurde die Siedlung Laubegg in den Jahren 1919 bis 1921 – in Zeiten grosser Wohnungsnot – von den Architekten Karl Kündig und Heinrich Oetiker. Letzterer amtete später als Stadtrat und bewohnte selbst bis zu seinem Tod eines der Laubegg-Häuser. Die Architekten haben der Siedlung eine aussergewöhnliche Form gegeben, die am besten aus der Luft zu erkennen ist. Die Häuser sind in V-Form mit zwei kurzen Flügeln angeordnet. Der Gedanke dahinter: Jedem der künftigen Eigenheime sollte ein Aussichtsanteil garantiert sein.
Häuser für den Mittelstand
Die Kleinhaussiedlung in Auftrag gegeben hatte die Immobiliengenossenschaft Favorite. Auf ihrem Bauland zwischen Uetlibergstrasse und der alten Lehmgrube der Zürcher Ziegelei wollte die Genossenschaft preisgünstige Reiheneinfamilienhäuser erstellen und einzeln zum Kauf anbieten. Für ein dreistöckiges 5-Zimmer-Normhäuschen, jedes mit etwa 90 Quadratmetern Wohnfläche sowie einem grossen Blumen- und zusätzlichen Pflanzgarten, zahlten die Erstkäufer 40 000 Franken. Davon durften sie noch 3570 Franken Subventionen von Bund, Kanton und Stadt abziehen. Nur die grösseren End- und Eckhäuser waren nicht subventioniert. Zum Vergleich: Heute wird für ein Häuschen in der denkmalpflegerisch als schützenswert eingestuften Siedlung das 30- bis 40-Fache hingeblättert.
Aus alten Adressbüchern geht hervor, wer in den Eigenheimen mit den Adressen Im Laubegg 1–41, Uetlibergstrasse 163–191 und Giesshübelstrasse 117 und 119 wohnte: Die Erstkäufer kamen aus dem Mittelstand. Gelistet waren Berufe vom Schreiner oder Schlosser über den Primarlehrer oder Buchhalter bis zum Architekten oder Zahnarzt. Allerdings konnte die Genossenschaft in der wirtschaftlich schwierigen Nachkriegszeit nicht alle Häuschen auf Anhieb verkaufen. Erst 1932 war es dann so weit.
«Wunderbare Erfahrung»
Zu dieser Zeit zogen schon die ersten Besitzerfamilien wieder weg. Ihre Eigenheime verkauften oder vermieteten sie. Auch nach vielen weiteren Besitzerwechseln hat sich an den Laubegg-Häusern äusserlich bis heute nicht viel verändert. Ihr Inneres jedoch wurde je nach individuellen Bedürfnissen und Finanzen fleissig renoviert und umgebaut. Auch sind die Gärten heute freier gestaltet, zum Teil fielen sogar die Zäune und Hecken.
Die Unterlagen über Bau und Architektur der Siedlung hat Renzo Cassetti, Enkel von Architekt Oetiker, zum Buch beigesteuert. «Das waren vier Wäschekörbe voll», präzisiert Doris Klingenberg. Sie wollte aus den Dokumenten zunächst «nur» eine Festschrift zum 100-jährigen Siedlungsjubiläum erstellen. Die grosse Feier fiel dann Corona-bedingt aus. Dafür realisierte die Mal- und Gestaltungstherapeutin ein Herzensprojekt: ein umfassendes Buch über das Leben der Menschen, die im Laubegg gewohnt haben respektive noch immer wohnen.
Für ihr Projekt machte sie sich mit Feuereifer an die Recherche. Über heutige und frühere Laubegglerinnen und Laubeggler oder deren Nachkommen, und natürlich aus eigener bald 50-jähriger Laubegg-Erfahrung, kamen schliesslich zahlreiche persönliche Zeitzeugnisse zusammen. Zum Schatz gehören alte Fotoalben und verschiedenste, zum Teil amüsant-kuriose Lebensgeschichten, die sich aus Erinnerungen und Aufzeichnungen der Befragten zusammenfügten. Die Zeit der Recherche – Klingenberg sieht sie als «wunderbare Erfahrung», als persönliche Bereicherung.
Der Pöstler half mit
Die politischen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen Veränderungen in Zürich, mitsamt den baulichen Entwicklungen in der Umgebung der Laubegg, fasst die Autorin jeweils nach Dekaden zusammen. Die Lebensmittelnot zu Kriegszeiten, verbunden mit erhöhten Pflanzaktivitäten in den Gärten, sind dabei ebenso Thema wie die ersten Autos mitsamt nachfolgenden Parkplatzproblemen oder die ersten WGs in den 70er-Jahren, die auch das Siedlungsleben nachhaltig auflockerten. Erstaunt erfährt man zudem, dass die Post einst dreimal täglich vertragen wurde. Oder liest, noch erstaunter, vom engagierten Laubegg-Pöstler, der bis in die 80er-Jahre hinein dem alten «Fräulein Emma» jeweils beim Ein- und Aushängen der Vorfenster half.
Man sieht sich in die Stube
Natürlich kommen im Laubegg-Buch auch die baulichen Entwicklungen in direkter Nachbarschaft zur Sprache. So die Überbauung Brunaupark mit Wohnungen und Einkaufszentrum, erstellt in mehreren Bauetappen ab 1979. Insgesamt litten die Laubeggler 17 Jahre lang zeitweise unter extremem Lärm und Staub. Auch beeinträchtigten die Neubauten zum Teil ihren freien Blick. Trotzdem: Der Brunaupark der SKA (die heutige Credit Suisse) mit ihren Grünräumen sei «menschlich» gebaut – und mit Respekt gegenüber der Nachbarschaft, findet Klingenberg. Dies ganz im Gegensatz zu der nun geplanten Erneuerung des Brunauparks – einer ziemlich monströsen Angelegenheit, die bereits für viel Kritik und Widerstand aus dem Kreis von Mieter- und Nachbarschaft und aus dem Stadtparlament gesorgt hat.
Ob damals oder heute: Wer in der idyllischen Gartensiedlung ein Haus beziehen will, muss sich mit etwas speziellen Wohnbedingungen anfreunden können. In der Tat erlauben die aneinandergebauten Häuser und Gärten keine riesige Privatsphäre. Vor allem im «Höfli», in den v-förmig zusammenlaufenden Hausreihen, sehe man sich gegenseitig direkt in die Stube, so die Autorin. Auszug, Einzug, Lichterlöschen, grosse Wäsche, Frühlingsputz, Familienfreuden, Familienleid – man bekomme vieles voneinander mit. Auch wenn einzelne Häuser inzwischen besser schallgedämmt sind: Die räumliche Nähe bleibt. «Wer nicht sozial eingestellt ist, fühlt sich im Laubegg kaum wohl», fasst Klingenberg zusammen. Nähe und Gemeinschaftssinn bringen aber auch viel Lebensqualität. Vor allem die älteren «Höfli»-Bewohnerinnen und -bewohner halten guten Kontakt und schauen zueinander. Eine Familienwohnung mit Treppe über drei Stockwerke mag nicht gerade als idealer Alterswohnsitz erscheinen. Klingenberg kennt ein Gegenargument: «Das hält fit!», lacht sie.
Doris Klingenberg, «Im Laubegg – Geschichte einer Siedlung». Eigenverlag, 2020. 200 Seiten, zahlreiche Abbildungen.
Das Buch kann für Fr. 48.– bestellt werden bei der Autorin: d.klingenberg@bluewin.ch oder Tel. 044 461 00 71.