In der Stadt Zürich haben illegale Alkohol- und Tabak-Verkäufe an Teenager massiv zugenommen. So kamen Jugendliche bei Testkäufen im Jahr 2021 in fast der Hälfte der Fälle illegal an Zigaretten und Alkohol. Einer der Gründe: die geltende Maskenpflicht. Der Zürcher Suchtexperte Urs Rohr zeigt sich besorgt.
Erschreckende Entwicklung: Der illegale Verkauf von Alkohol und Tabakwaren an Jugendliche ist im Zuge der CoronaPandemie wieder massiv angestiegen. Das zeigt die aktuelle Jahresbilanz der Alkohol- und Tabak-Testkäufe in der Stadt Zürich. In diesem Zusammenhang wurden im Jahr 2021 in diversen Betrieben auf dem Zürcher Stadtgebiet abermals unangekündigte Testkäufe seitens der Stadtpolizei Zürich in Zusammenarbeit mit der Suchtpräventionsstelle der Stadt Zürich und dem Blauen Kreuz Zürich durchgeführt. Das Ergebnis: In fast der Hälfte der Fälle wurden den jugendlichen Testkäufern, allesamt zwischen 14 und 17 Jahre alt, Produkte verkauft, die sie eigentlich nicht hätten erhalten dürfen.
Für die Suchtpräventionsstelle der Stadt Zürich ist diese Entwicklung «sehr besorgniserregend», wie Urs Rohr,Bereichsleiter Freizeit & Arbeit der Suchtpräventionsstelle der Stadt Zürich, auf Anfrage von Lokalinfo erklärt. Im Jahr 2021 wurden insgesamt 57 Testkäufe durchgeführt. In 45 Fällen wurde speziell der Verkauf von Alkohol kontrolliert, in 12 Fällen der von Tabakwaren. Das Ergebnis: In 28 von 57 Fällen wurde gegen den Jugendschutz verstossen. Somit wurde mit 49,12 Prozent bei fast der Hälfte der Testkäufe illegal Alkohol oder Tabak an Teenager verkauft.
Ungenügende Alterskontrollen
«Noch immer kommen Teenager in der Stadt Zürich viel zu leicht an Alkohol und Tabakwaren», sagt Suchtexperte Rohr. Und das, obwohl der Verkauf von Alkohol und Tabakwaren im Gesundheitsgesetz des Kantons Zürich klar geregelt ist und besagt, dass die Abgabe von Spirituosen, Aperitifs und Alcopops an unter 18-Jährige strikt verboten ist, ebenso wie der Verkauf von Wein und Bier sowie Tabakwaren an unter 16-Jährige. Dennoch konnten die jugendlichen Testkäufer im Jahr 2021 in 23 Fällen verbotenerweise Alkohol und in 5 Fällen Tabakwaren illegal erwerben. Heisst: Bei 51,11 Prozent der Alkohol-Testkäufe kam es zu einem verbotenen Verkauf. Bei den illegalen Tabakverkäufen lag der Wert bei 41,67 Prozent.
Bei den Testkäufen im vergangenen Jahr wurde laut Rohr ein deutlicher Fokus auf Kioske und Kleinverkaufsstellen gesetzt. Darüber hinaus wurden aber auch Cafés, Restaurants und Bars ebenso wie Imbissbuden und Tankstellen getestet. Im Gesundheitsgesetz des Kantons Zürich sind Testkäufe seit dem 1. Januar 2012 juristisch verankert. In der Stadt Zürich werden die Testkäufe, die in Zusammenarbeit mit der Verwaltungspolizei stattfinden, von der städtischen Suchtpräventionsstelle koordiniert und finanziert. Für die Ausbildung der Testkäufer sowie für die Logistik ist das Blaue Kreuz Zürich verantwortlich. Für Rohr, der seit fast 23 Jahren für die Suchtprävention der Stadt Zürich tätig ist, ist das Ergebnis der Testkäufe 2021 besonders ernüchternd. «Nachdem wir es in den letzten Jahren mit verschiedenen Massnahmen geschafft haben, die Zahl der illegalen Verkäufe kontinuierlich zu senken, scheinen wir nun mit einer Trendwende konfrontiert zu sein», so der Suchtexperte.
Maske wird zum stillen Komplizen
Die Testverkaufsbilanzen der vergangenen Jahre spiegeln diese Entwicklung wider, wobei für das Jahr 2020 keine Vergleichszahlen vorliegen, da es laut Rohr pandemiebedingt lediglich zu vereinzelten Testkäufen kam. Mit Blick auf die Vorjahre 2019 und 2018 zeigt sich im Vergleich zum vergangenen Jahr eine deutliche Diskrepanz. Während die Erfolgsquote 2019 – damals wurden ausschliesslich Alkohol-Testkäufe durchgeführt – bei 39 Prozent lag und der Vergleichswert 2018 noch bei 31 Prozent war, ist dieser aktuell bei 51 Prozent. Das bedeutet einen Anstieg um 20 Prozent innert nur drei Jahren. Und das, nachdem die Erfolgsquote der Alkohol-Testkäufe in den Jahren 2016 bis 2018 dreimal in Folge rückläufig gewesen ist.
Darüber hinaus ist auch bei den Tabak-Testkäufen eine Zunahme der verbotenen Verkäufe zu verzeichnen. Lag die Verkaufsquote im Jahr 2017 noch bei 21 Prozent, hat sich diese im Jahr 2021 gar nahezu verdoppelt. Zum schlechten Resultat im Jahr 2021 beigetragen haben dürfte laut Rohr nicht zuletzt die geltende Maskenpflicht. Die Maske wurde zum stillen Komplizen beim verbotenen Kauf. «Sie erschwert die ohnehin schon schwierige Schätzung des Alters jugendlicher Kundschaft zusätzlich», sagt Rohr. Er empfiehlt Betrieben, die Tabak und Alkohol verkaufen, im Zweifelsfall immer einen Ausweis zu verlangen.
Doch die Maskenpflicht ist laut Rohr nicht der einzige Grund für den massiven Anstieg bei den illegalen Alkohol- und Tabakverkäufen: «Auch der gestiegene Umsatzdruck angesichts der Pandemie dürfte den einen oder anderen Verkäufer dazu verleitet haben, ein Produkt abzugeben, obwohl er Zweifel am korrekten Alter des Jugendlichen hatte.» Nebst dem illegalen Vor-Ort-Verkauf von Alkohol und Tabakwaren stellt der Bezug von Alkohol und Tabak übers Internet ein neues Problemfeld dar. «Grosse Sorgen bereiten uns auch die immer häufigeren Onlineangebote von Alkohol und Tabakwaren. Bei den meisten Shops genügt ein Klick auf einen Button ‹Ich bin mindestens 18 Jahre alt› oder die manuelle Eingabe eines Geburtsdatums, um den Bestellprozess auszulösen», so Rohr. Ob bei der Zustellung der Ware eine konsequente Alterskontrolle stattfindet, sei zu bezweifeln.
Die Bedenken des Zürcher Suchtexperten werden durch ein aktuelles Monitoring des Blauen Kreuzes im Auftrag der Eidgenössischen Zollverwaltung (EZV) vom Juni 2021 untermauert. In 95 Prozent der Fälle wurde Jugendlichen in Onlineshops illegal Alkohol verkauft. Der Jugendschutz im Internet – praktisch inexistent. Die Stadtzürcher Suchtpräventionsstelle führt keine derartigen Online-Testkäufe durch. «Wir können Jugendliche nicht zum Lügen über ihr Alter animieren», so Rohr. Darüber hinaus gebe es keine Rechtsgrundlage, um die Anbieter zur Anzeige zu bringen, solange es sich um Scheinkäufe handelt.
Patententzug bei Mehrfachverstoss
Im Fall der Testkäufe in Betrieben auf dem Zürcher Stadtgebiet vom vergangenen Jahr wurden die 28 fehlbaren Verkäufer, die von der Stadtpolizei Zürich erwischt wurden, beim Stadtrichteramt Zürich zur Anzeige gebracht. In den 23 Betrieben, in denen illegal Alkohol an Jugendliche verkauft wurde, wurde gegen die Patentinhaber zudem eine verwaltungsrechtliche Massnahme eingeleitet. Diese reichen von einer Verwarnung über eine Schulungspflicht bis hin zu einem befristeten Verkaufsverbot für Alkohol. Schlimmstenfalls droht der Patententzug.
«Ein Patententzug aufgrund der illegalen Abgabe von Alkohol an Minderjährige erfolgt aber erst, wenn mehrfache Verstösse gegen den Jugendschutz vorliegen», erklärt Judith Hödl, Sprecherin der Stadtpolizei Zürich, auf Anfrage von Lokalinfo. «Im Zusammenhang mit den Testkäufen in der Stadt Zürich im vergangenen Jahr ist es zu keinem Patententzug gekommen», so Hödl weiter. In der Praxis kommt ein Patententzug nicht zuletzt nur selten vor, da Patentinhaber häufig wechseln und die Zählung der Verstösse somit von neuem beginne.
Nebst Kontrollen und etwaigen Strafen setzen die städtischen Behörden weiterhin auch auf die Sensibilisierung desVerkaufspersonals durch die Patentinhaber. Nicht zuletzt gebe es verschiedene Schulungsmöglichkeiten und Hilfsmittel zur Altersbestimmung. Die Stadtpolizei Zürich kündigt an, auch in diesem Jahr wieder zusammen mit der Suchtprävention der Stadt Zürich unangekündigte Testkäufe durchzuführen.
Whisky, Wein oder Nein? Diese App hilft bei der Alterskontrolle
Der «Jalk ID Scan» ist eine Altersverifikationsapp. Sie soll dem Verkaufs- und Servicepersonal bei der Einhaltung des Jugendschutzes helfen. Entwickelt wurde die App vom Blauen Kreuz Schweiz zusammen mit der Eidgenössischen Zollverwaltung. Sie basiert auf einem gemeinsamen Konzept mit der Zürcher Fachstelle zur Prävention des Suchtmittelmissbrauchs. Nachdem das Identitätsdokument mithilfe der App gescannt worden ist, liegt innert Sekunden das Resultat der Altersverifikation vor. Dabei baut die Anwendung auf einem Ampelsystem auf:
Rot: Der Alkoholverkauf ist verboten, da der Kunde unter 16 Jahre alt ist.
Orange: Nur der Verkauf gegorener alkoholischer Getränke wie Bier und Wein ist erlaubt, da der Kunde zwischen 16 und 18 Jahre alt ist.
Grün: Der Kunde ist über 18 Jahre alt. Der generelle Alkoholverkauf ist erlaubt, da der Kunde über 18 ist.