Im Abwasser nächste Corona-Welle erkennen

Zurück

Die Hüter der Wasserqualität möchten durch das Abwasser möglichst frühherausfinden, ob eine zweite Corona-Welle droht. Auch das Klärwerk Werdhölzli nahm deshalb über mehrere Wochen Wasserproben.

Die meisten Menschen interessieren sich nicht für das, was sie im WC wegspülen – aus den Augen, aus dem Sinn. Nicht aber die Forscherinnen und Forscher des Wasserforschungsinstituts des ETH-Bereichs, kurz Eawag. Sie und Kollegen von der EPF Lausanne lassen schon seit dem ersten Corona-Fall im Kanton Tessin am 24. Februar Abwasserproben nehmen, und zwar in den neun grössten Kläranlagen des Kantons Zürich. Ebenfalls schon seit rund sechs Wochen kommen auch regelmässig Proben aus dem Zürcher Werdhölzli, aus Lausanne und der Abwassereinigungsanlage Kloten Opfikon (AKO).

Daniel Eberhard, Mediensprecher von Entsorgung + Recycling Zürich (ERZ), zu welchem das Klärwerk Werdhölzli gehört, bestätigt die Probenahme in Zusammenhang mit Corona. «Seit Anfang März haben Mitarbeitende in Absprache mit der Eawag rund 30 Proben genommen». Eawag-Angestellte holten nun die Proben einmal wöchentlich ab und brachten frische Flaschen.

Auch im Wasser liegt Wahrheit

Ähnlich läuft es bei der Anlage in Kloten/Opfikon. «Wir wurden angefragt und waren natürlich interessiert», so AKO-Betriebsleiter Michael Kasper zu dieser Zeitung. Deshalb entnahm Klärwerkfachmann Philip Rüegsegger täglich je einen Liter Abwasser und fror es ein. Zweimal in der Woche wurden die Flaschen von der Eawag abgeholt. Insgesamt sind so bereits über 300 Proben zusammengekommen, die derzeit in den Gefrierschränken der Eawag-Labors lagern. Untersuchen konnten sie die Forscherinnen und Forscher noch nicht – auch sie arbeiteten bis vor kurzem im Homeoffice. «Nun kann eine kleine Gruppe ihre Arbeit mit einer Sonderbewilligung wieder aufnehmen», so Andri Bryner, Medienverantwortlicher der Eawag. Weil die Kühlschränke inzwischen voll sind, fordert die Eawag seit kurzem keine Proben mehr an. «Es gibt aber auch so genügend Material, um unsere Methode zu entwickeln», versichert Bryner.

Von den Abwasserproben versprechen sich die Experten einerseits Rückschlüsse auf die Verbreitung des Virus, das auch wieder ausgeschieden wird. «Wir sind zuversichtlich, dass man diese nicht nur feststellen, sondern auch quantifizieren – also gewissermassen zählen – kann», sagte Umweltingenieur Christoph Ort von der Eawag dem Schweizer Radio. «Im Idealfall lässt sich daraus eine Anzahl erkrankter Menschen abschätzen. Nach heutigem Wissensstand sollten wir in der Lage sein, wenige Erkrankte unter 100 000 Gesunden erfassen zu können.»

Suche nach dem Erbgut

Das Verfahren stehe aber noch ganz am Anfang, sagt der Medienverantwortliche Bryner und betont: «Das Testverfahren konkurriert auch nicht mit dem medizinischen Test. Wir suchen nicht nach aktiven Viren, die es im Abwasser vermutlich gar nicht mehr gibt, sondern nach dem Erbgut des Virus.» Mit Proben von 19 grossen Kläranlagen, geografisch gut über die Schweiz verteilt, könnten sie das Abwasser von rund 2,5 Millionen Leuten analysieren, so Christoph Ort weiter – also fast jeder dritten Person. Das wäre einiges einfacher als flächendeckende Tests bei Menschen. Und es wäre Tage, wenn nicht Wochen schneller, als Leute zu testen, die bereits mit Symptomen in Spitälern sind: Denn manche Viren, so vermuten holländische Kollegen, würden schon vor Ausbruch der Krankheit ausgeschieden. Ein solcher Nachweis ist für Medikamentenrückstände und viele andere organische Mikroverunreinigungen bereits heute in Echtzeit möglich: Der Eawag-Prototyp «MS2field» hat 2019 in drei Feldversuchen fast 10 000 Proben automatisch ausgewertet, unter anderem im Fluss Doubs im Kanton Jura. Könnte man ein Gerät auf das Virus Sars-CoV-2, das die Lungenkrankheit Covid-19 auslöst, «eichen», hätte man eine Art schnelleres Frühwarnsystem für eine mögliche zweite Corona-Welle, die anrollen könnte, wenn man die Vorschriften zu früh lockert oder wenn die Disziplin nachlässt.

«Gespannt auf Resultate»

Gemäss AKO-Betriebsleiter Kasper – und zur Freude der Eawag-Forscher – könnte seine Anlage an der Glattbrugger Rohrstrasse sogar noch etwas genauer Auskunft geben, woher ein allfällig gefundenes Virus stammt: Die gemeinsame Anlage der Städte Kloten und Opfikon sowie des Flughafens verfügt über zwei getrennte Zuläufe, einen aus Kloten und dem Flughafen und einen zweiten aus Opfikon. Damit liesse sich ein Virenbefall unter den rund 80 000 Benutzern noch genauer eingrenzen.

Sehr gute Noten verteilt ERZ-Mediensprecher Daniel Eberhard der Zusammenarbeit mit der Forschungsanstalt Eawag in Dübendorf. «Die Zusammenarbeit funktioniert sehr gut. ERZ ist nun gespannt auf die Resultate», so Eberhard.

Diese sind umso spannender, weil Epidemie-Fachleute davon ausgehen, dass früher oder später eine weitere Corona-Welle aufkommen könnte. Umso wichtiger wäre dann ein Frühwarnsystem. Somit wäre es möglich, dass dank der Probename und Analyse dereinst Geschichte geschrieben wird in Dübendorf. (rs./ls./ Foto: mai)