Im Einsatz für verschmähtes Gemüse

Zurück

Im Sommer bewahrten sie in einer aufsehenerregenden Aktion 30 Tonnen Biotomaten vor der Vernichtung. Seither haben die Mitglieder des Vereins Grassrooted ihr Engagement gegen Food Waste weiter ausgebaut. In Albisrieden erzählten sie von ihren Projekten.

Im Sommer bewahrten sie in einer aufsehenerregenden Aktion 30 Tonnen Biotomaten vor der Vernichtung. Seither haben die Mitglieder des Vereins Grassrooted ihr Engagement gegen Food Waste weiter ausgebaut. In Albisrieden erzählten sie von ihren Projekten.

Lisa Maire

Während ihres praxisnahen Studiums an der Fachhochschule Wädenswil hatten drei angehende Umweltingenieure Erschreckendes erfahren: Jedes Jahr schmeissen hiesige Bauern unzählige Tonnen Gemüse weg oder lassen es auf dem Acker verrotten. Nicht etwa, weil die Qualität an sich nicht stimmt. Sondern weil zu viel produziert wurde oder weil das Gemüse und Obst rein von der Grösse und Form her nicht den Verkaufsnormen genügt. Die berühmte krumme Gurke, das kurvige Rüebli, der herzförmige Apfel: In den Augen von Gross- und Detailhändlern «Zweitklassware», die sich angeblich nicht verkaufen lässt und deshalb schon beim Bauern in der Biogasanlage endet.

Das engagierte Studenten-Trio beschloss zu handeln und gründete den Verein Grassrooted (was so viel heisst wie bodenständig, basisorientiert), der sich gegen die allgemein herrschende Nahrungsmittelverschwendung engagiert. An einem gut besuchten Abend zum Thema «Luxusüberschüsse», organisiert vom Albisrieder Verein Hochneun im Treffpunkt Schopf, informierte Martin Schiller über Projekte und Ziele von Grassrooted.

Zur Einstimmung gab es vorab einen Überblick über aktuelle Zahlen zur Nahrungsmittelverschwendung in der Schweiz. Und diese besagen: Hierzulande wandern jährlich über zwei Millionen Tonnen Nahrungsmittel in den Abfall – rund ein Drittel der Gesamtproduktion. Neben Überproduktion und nicht normgerechtem Aussehen sind dafür beispielsweise Transportverluste, Tellerreste oder zu «streng» gehandhabte Haltbarkeitsdaten verantwortlich. Die höchsten Wegwerfraten mit über 60 Prozent haben frisches Gemüse und Obst sowie Kartoffeln.

Zu kleine Tomatenblättchen

Grassrooted arbeitet mit kleineren Landwirtschaftsbetrieben aus der Region Zürich zusammen, die von Verkaufspartnern als ungenügend zurückgewiesenes Gemüse und Obst nicht einfach wegschmeissen wollen. Martin Schiller erzählte, wie es dazu kam. Im Juni hörten der angehende Umweltingenieur und zwei Mitstudierende von einem Bauern, der auf 20 Tonnen Bio-Tomaten sass: Sein Abnehmer, ein Grossverteiler, hatte sie mit der etwas absurd klingenden Begründung zurückgewiesen, die grünen Blättchen oben an den Früchten seien zu schmal! Um die ansonsten makellosen Tomaten vor der Biogasanlage zu bewahren, organisierte das Studenten-Trio eine erste erfolgreiche Verkaufsaktion auf dem Riesbacher Quartierhof Weinegg. Noch im gleichen Monat meldete ein Landwirt 30 Tonnen «optischen Überschuss». So kam es zu aufsehenerregenden, in den sozialen Medien beworbenen Foodsaving-Aktionen in Zürich und Bern, bei denen 28 Tonnen Bio-Tomaten über die Gasse verkauft wurden.

Motiviert durch dieses grosse Echo aus der Bevölkerung, baute der Verein seine Aktivitäten aus: Im August eröffneten die engagierten jungen Leute im Shopville einen Stand, an dem sie bis Ende November jeweils donnerstags und freitags Gemüse und Obst verkaufen, das sonst in der Biogasanlage landen würde. Zum Infoabend brachten die Vereinsmitglieder ein Kistchen mit ein paar Beispielen mit. Da lagen riesige Salatköpfe, Randen mit etwas «angeknabberter» Schale und Rüebli, die so sehr «ins Kraut geschossen» sind, dass sie nicht mehr in die genormten Verpackungsschalen der Grossverteiler passten.

«Dürfen denn die Grossverteiler solches Gemüse einfach zurückweisen? Es gibt doch Verträge!», wurden Stimmen im Publikum laut. In der Branche herrsche ein gewaltiger Druck, erklärte Schiller. Der Bauer könne schon verlangen, dass ihm seine Tomaten mit den zu kleinen Blättchen abgenommen werden. Dann müsse er aber damit rechnen, im Jahr drauf von der Produzentenliste gestrichen zu werden.

Nicht unter Wert verkaufen

Der Markt- und Infostand im HB läuft gemäss Schiller ganz gut. Zur Verfügung steht ein breites Gemüse- und Obstangebot, das zu Preisen unter jenen der Grossverteiler verkauft wird, aber keinesfalls spottbillig. Mit Blick auf die viele Arbeit, die darin stecke, ist der Verein nicht bereit, die Gemüse und Früchte, die bei verschiedenen Bauern rund um Zürich abgeholt und bezahlt werden, unter ihrem Wert herzugeben. Nicht zuletzt wolle man ja auch nicht anderen Gemüsemärkten in der Stadt mit Dumpingpreisen das Wasser abgraben, wie Schiller betonte. Er sei fast ein wenig erleichtert, dass am Freitagvormittag, wenn auf dem Helvetia- und Bürkliplatz Markt ist, am eigenen Stand jeweils weniger Leute einkaufen. Die Einnahmen aus dem Gemüseverkauf werden wieder ins Projekt investiert, wobei sich die Vereinsmitglieder selbst nur ein Mini-Gehalt zugestehen oder zum Teil sogar unentgeltlich mitarbeiten.

Gemüse rüsten macht Spass

Zurzeit sind die Vereinsmitglieder damit beschäftigt, saisonale Gemüse- und Obstüberschüsse zu haltbaren Produkten zu verarbeiten. Am traditionellen Weihnachtsmarkt im HB wird dann Konfitüre, Chutney, Eingemachtes oder Gedörrtes verkauft. Eine grosse Herausforderung vor allem auch wegen der entsprechenden Vorarbeit. «Wir könnten gut noch ein paar helfende Hände gebrauchen», meinte Schiller ans Publikum gewandt. In der WG, in der er mit seiner Familie lebt, wurden gerade 800 Gläser Gemüse fermentiert. «Gemeinsam an einem grossen Tisch sitzen und Gemüse schnetzeln, das macht ja auch Spass», bilanzierte er.

Ein überraschend erfolgreiches Crowdfunding erlaubt es dem Verein, seine Aktivitäten noch mehr zu erweitern. So will er nächstes Jahr Überschüsse von Gemüse und Obst täglich am Marktstand anbieten. Auch ein gekühlter Lagerraum und eine Gastroküche zur Verarbeitung und Haltbarmachung von Gemüse und Obst sind geplant. So könnte man sich mittelfristig auch finanziell über Wasser halten, hoffen die Aktivisten. Mehr als um Geld geht es ihnen jedoch um eine möglichst breite Sensibilisierung in Sachen Food Waste. Sie wissen: Damit sich wirklich etwas verändert, braucht es ein grundsätzliches Umdenken bei allen Playern des Markts – bei Konsumenten, Produzenten, Händlern.

www.grassrooted.ch