Kampf der Aussenseiter-Kandidaten: Darum weibeln sie für einen Sitz im Stadtrat

Erstellt von Dominique Rais |
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Die vier Stadtratskandidaten von SVP, EVP und Die Mitte haben eines gemeinsam: Ihre Parteien sind derzeit allesamt nicht in der Stadtzürcher Regierung vertreten. Mit ihrer Kandidatur wollen Stephan Iten und Roland Scheck (beide SVP) sowie Roger Föhn (EVP) und Josef Widler (Die Mitte) das ändern.

Neun Stadtratssitze. Ein Stadtrat geht. Die übrigen Acht treten zur Wiederwahl an. 17 weitere Kandidatinnen und Kandidaten kämpfen derweil um einen Einzug in die Zürcher Stadtregierung. Soweit die Ausgangslage für die bevorstehenden Stadtratswahlen am 13. Februar 2022. Auch wenn die Wiederwahlchancen der amtierenden Stadträte – allen voran Stadtpräsidentin Corine Mauch (SP) – gut stehen, sind die Würfel noch nicht gefallen. Der frei gewordene Sitz des AL-Politikers und scheidenden Vorstehers des ­Tiefbau- und Entsorgungsdepartements Richard Wolff ist besonders hart umkämpft. Mit dem Urnengang am zweiten Sonntag im Februar wollen die Aussen­seiter-Kandidaten von Die Mitte, EVP und SVP, nach jahre-, teils gar jahrzehnte­langer Absenz in der Exekutive der Stadt, wieder einen Sitz im Stadtrat erobern.

Ein SVP-Politiker in der Regierung wäre «ein historischer Erfolg»

Bereits bei den vergangenen Stadtratswahlen 2018 waren die drei Parteien zur Wahl angetreten – jedoch ohne Erfolg. Die damaligen Spitzenkandidaten Markus Hungerbühler (damals noch CVP), Claudia Rabelbauer (EVP) und RogerBartholdi (SVP) sowie Susanne Brunner (SVP) waren chancenlos. Vier Jahre sind seither vergangen. Aus dem Lager von SVP, EVP und der Mitte stehen vier neue Kandidaten zur Wahl. Die Mitte schickt dafür den Kantons­rat und Hausarzt Josef Widler (67) ins Rennen. Für die EVP kandidiert der Gemeinderat und Sigrist Roger Föhn (59). Die SVP kämpft abermals mit ­einer Doppelspitze, vertreten durch den SVP-­Vize-Fraktionschef und Unternehmer ­Stephan Iten (43) sowie den Kantonsrat und Bauingenieur Roland Scheck (54), um den Einzug in den Stadtrat.

Der Wahlkampf der SVP wird derzeit zusätzlich mit zwei Volksinitiativen ­geboostert. So fordert die Partei einerseits den «goldenen Fallschirm», die ­Abgangsentschädigungen für freiwillig ausscheidende Stadträte und andere hohe Amtsträger, abzuschaffen. Andererseits weibelt sie gegen das geplante Tempo-30-Regime. Ob das den Bürgerlichen letztlich zu einem Platz im Stadtrat verhilft, bleibt abzuwarten. Fest steht jedoch: Für die SVP, die seit über 30 Jahren – seit Kurt Egloff (1982–1990, Schulamt) – nicht mehr in der Regierung vertreten ist, wäre es laut Iten «ein historischer Erfolg». «Es hätte nicht nur eine Bedeutung für mich oder meine Partei, es wäre vielmehr wichtig für jene Bevölkerungsgruppe, welche wie die SVP denkt und uns wählt», sagt Iten zur Lokalinfo. «Viele Menschen in Zürich hätten wieder eine Stimme in der Regierung», so auch Parteikollege Scheck zu Lokalinfo.

Trotz jahrzehntelanger Absenz im Stadtrat hält Iten daran fest, kein Aussenseiter-Kandidat zu sein. «Unsere Partei ist als drittgrösste Fraktion im städtischen Parlament vertreten», so der SVP-Stadtratskandidat. Gemäss Iten hat die SVP demnach «einen berechtigten Anspruch auf einen Sitz im Stadtrat». Zumal sie laut Scheck grösser als Grüne, GLP und AL sind. Letztere sind jedoch im Stadtrat vertreten. Mit ihrer Kandidatur will die SVP dieses Ungleichgewicht ausmerzen. Ausserdem fehlt der jetzigen Regierung gemäss Scheck das «finanzielle ­Gewissen». «Die Stadt Zürich lebt über ihren Verhältnissen und gibt mehr Geld aus, als sie hat», erklärt der SVP-Stadtratskandidat.

Iten teilt diese Haltung: «Es ist wichtig, wieder massvoll mit dem Steuergeld umzugehen und ein ausgeglichenes Budget zu erstellen. Als Unternehmer weiss ich, dass nicht mehr Geld ausgegeben werden kann, als eingenommen wird.» Iten, der 2014 in den Gemeinderat gewählt wurde, ist überzeugt, dass sein Gemeinderatsmandat für den Stadtrat hilfreich ist, da er auf die Leute zugehe und deren Anliegen aufnehme und mittels Vorstössen ins Parlament bringe. Auch für Scheck ist klar: «Die beiden Wahlen sind eng miteinander verflochten. Die Stadtratskandidaten präsentieren Lösungen der Partei, während die Gemeinderatskandidaten mit ihrer Basisarbeit den Stadtratswahlkampf unterstützen.»

EVP weiss um die Bedeutung ihrer Kandidatur – auch fürs Parlament

Ein Stadtratssitz wäre auch für die EVP ein politischer Erfolg, ist sie ebenfalls seit den 1990ern – seit Rudolf Aeschbacher (1978–1994, Bauamt l) nicht mehr in der Regierung vertreten. «Als Vertreter einer kleinen Partei sind meine Wahlchancen ­geringer als jene von Kandidierenden ­grosser Parteien», räumt EVP-Stadtratskandidat Föhn gegenüber Lokalinfo ein. Dennoch wolle er mit seiner Kandidatur dazu beitragen, dass «die Stimm­berechtigten der Stadt eine gute Auswahl für Ihren Stadtratswahlzettel haben». Wenn auch die Chancen der EVP für einen Stadtratssitz gering sein mögen, ist die Kandidatur dennoch von Bedeutung. Denn bei den Wahlen 2014 hatte die Partei den Fehler gemacht, auf eine solche zu verzichten. Daraufhin fehlten der EVP die entscheidenden Stimmen, um die 5-Prozent- Hürde zu überwinden und in den Gemeinderat zu ziehen. Ein Fehler, der sich nicht wiederholen soll.

«Zwischen den Gemeinderatswahlen und einer Kandidatur für den Stadtrat gibt es immer Synergien», sagt EVP-Stadtrats­kandidat Roger Föhn zu Lokalinfo. Bei den dies­jährigen Wahlen müsse die EVP abermals kämpfen, um die 5-Prozent-Hürde zu überwinden. «Mit der Stadtrats­kandidatur, die bei neun Sitzen faktisch eine 11-Prozent-Hürde hat, zeigen wir, dass wir uns engagieren wollen und für die Übernahme von Verantwortung zur Verfügung stehen», so Föhn weiter. Laut dem EVP-Politiker ist der Stadtrat zwar grundsätzlich gut unterwegs, dennoch gebe es Probleme, die «konsequenter ­gelöst werden sollten». Eine Priorität wäre für ihn, dass mehr Wohnungen mit günstigeren Mietzinsen zur Verfügung ­stehen, ebenso wie günstige Alters­wohnungen. Beim Thema Verkehr spricht er sich für den Ausbau der Velowege aus, wobei dem Autoverkehr nicht unnötig Steine in den Weg gelegt werden sollen.

Die Mitte will der Partei wieder «ein Gesicht und eine Stimme» geben

Für Die Mitte ist die Stadtratskandidatur ein klarer taktischer Entscheid. Denn die Partei muss um Wählerstimmen kämpfen, da sie derzeit weder im Stadtrat noch im Gemeinderat vertreten ist. Noch bis vor vier Jahren hatte Die Mitte (damals noch CVP) mit Gerold Lauber (2006–2018, Schul- und Sport­departement) Einsitz im Stadtrat. Lauber trat jedoch nicht zur Wiederwahl an und sein potenzieller Nachfolger Hungerbühler verpasste den Einzug in die Regierung. Stattdessen wurde die GLP mit Andreas Hauri erstmals in die Exekutive der Stadt Zürich gewählt.

2018 war ein schwarzes Jahr für die ­damalige CVP. Die Partei konnte sich weder im Stadt- noch im Gemeinderatbehaupten und flog aufgrund der im Jahr 2006 eingeführten 5-Prozent-Hürde nach über 100 Jahren im Parlament aus dem Gemeinderat. Eine Basis im Gemeinde­rat, zur Stärkung der Stadtratskandidaten, fehlt der einstigen CVP, die 2021 mit der BDP zur Partei Die Mitte fusionierte, derzeit. Dessen dürfte sich Mitte-Stadtratskandidat Widler bewusst sein. «Dank ­meiner Kandidatur wird die Präsenz der Mitte in den Medien erhöht», so Widler zu Lokalinfo. Mit seiner Wahl in den Stadtrat hätte die Partei wieder «ein Gesicht und eine Stimme» und könnte unter Beweis stellen, dass sie einen wichtigen Beitrag zur Bewältigung der anstehenden Herausforderungen leisten kann, so Widler. «Als Mann aus der Praxis bin ich es gewohnt, tragfähige Kompromisse zu ­erarbeiten», erklärt der Mitte-Stadtrats­kandidat. Dies habe er auch als Präsident der Ärztegesellschaft des Kantons Zürich und Verwaltungsratspräsident des Ärztefons während der Corona-Krise bewiesen.

Kein Angriff der Aussenseiter-Kandidaten aufs Stadtpräsidium

Im Gegensatz zum Stadtrat ist beim Stadtpräsidium kein Personalwechsel zu erwarten. Der amtierenden Stadt­präsidentin Corine Mauch (SP) droht keine ernst zu nehmende Konkurrenz. Weder FDP, Grüne, GLP, AL, SVP, EVP noch Die Mitte kandi­dieren fürs Stadt­präsidium. «Das Stadtpräsidium anzugreifen, ist in der jetzigen politischen Konstellation ein aussichtsloses Unterfangen», so Widler.

Für EVP, Mitte und SVP liegt der Fokus auf dem Wiedereinzug in den Stadtrat. Aufgrund zusätzlicher Konkurrenz aus dem Lager der FDP, SP, Grünen und GLP dürfte das ein schwieriges Unterfangen werden. Ob SVP, EVP oder Die Mitte trotz Aussenseiter-Chancen in den Zürcher Stadtrat einziehen, bleibt abzuwarten.