Penthesilea ist die Königin der Amazonen: Nun widmet sich die Kantonsschule Stadelhofen dem Drama von Heinrich von Kleist. Das Stück spielt gekonnt mit Kriegs- und Liebesmetaphern.
Die Art und Weise, wie Kleists «Penthesilea» in den letzten zwei Jahrhunderten rezipiert wurde, liest sich wie eine Mentalitätsgeschichte. Wurde das Trauerspiel, in dem die Amazone Penthesilea schlussendlich ihren geliebten Achill in wilder Hass-Liebe zerfleischt, bei Kleists Zeitgenossen noch als «ungriechisch» und «wahnwitzig» angesehen, so lobte man in den 1920er-Jahren im Umfeld von Freud und einer breiteren Nietzsche-Rezeption die «Entfesselung des Affekts aus den reinsten Ursprüngen».
Küsse und Bisse verwechselt
Genau in diesen «goldenen» 20er-Jahren, in denen Kleists «Körper-Drama» zum ersten Mal breitere Anerkennung fand, lässt das Theater der Kantonsschule Stadelhofen ihren Theaterabend spielen. Und zwar in einer Tanzbar. Dies vor allem deshalb, da in Kleists Trauerspiel sich die Kriegs- und Liebesmetaphern dauernd überlagern. Den Darstellenden und auch den Figuren wird nie ganz klar, von welcher Art von «Eroberung» hier eigentlich die Rede ist, wer hier wen «gefangen» hält. Der Kriegsschauplatz wird zum Ort amouröser Eroberungen, sowie der «Club» – vor allem wenn das mit der amourösen Eroberung nicht so richtig klappen will – auch mal zum Ort von handgreiflichen Auseinandersetzungen werden kann. Krieg ist Tanz und Tanz ist Krieg: Ein irres Eros-Thantanos-Spiel, situiert in einer Zeit, in der unbändig-chaotische Lebenslust und sich anbahnende Gräueltaten parallel zu laufen schienen. Und im Sinn der oben genannten Mentalitätsgeschichte muss man sich natürlich auch fragen, welche Lesarten der Kleist-Text heute evoziert. Da ist sicher einerseits die aktuelle Unsicherheit um das geschriebene und gesprochene Wort. Was ist noch wahr? Was dürfen wir glauben? Die Verbreiter von Fake News entschuldigen sich damit, dass für sie dies eben – ganz subjektiv – schon stimme (oder dass man auf der Tastatur ausgerutscht sei). Und so entschuldigt ja auch Penthesilea die bestialische Zerfleischung des Achills damit, dass sie wohl «Küsse» und «Bisse» verwechselt habe. Und natürlich kann man sich dann wiederum fragen, ob es sich bei Penthesilea tatsächlich nur um eine begriffliche Verwechslung gehandelt haben soll.
Und ein zweiter Punkt scheint zudem hochaktuell: Wenn Penthesilea erklärt, warum ihr Amazonen-Volk sich entschloss, einen reinen Frauenstaat zu gründen, so tönt das teilweise wie eine Reaktion auf den Begriff des «Mansplaining», der im weitesten Sinn das herablassende Sprechen eines Mannes meint, oder als ein Statement zur #MeToo-Debatte: «Frei, wie der Wind auf offnem Blachfeld, sind / Die Frau’n, die solche Heldenthat vollbracht / Und dem Geschlecht der Männer nicht mehr dienstbar. / Ein Staat, ein mündiger, sei aufgestellt, / Ein Frauenstaat, den fürder keine andre herrschsücht’ge Männerstimme mehr durchtrotzt.»
Im Theater satt essen
Interessierte sollen sich die «Penthesilea» des Theaters der Kanti Stadelhofen anschauen und selbst urteilen, inwiefern Alfred Döblin 1923 mit seinem Urteil über die Wünsche der Tragödien-Zuschauenden recht behalten hat: «Tragödie hat sein Name vom Böcklein, das einstmals geopfert wurde; das Böcklein ist verschwunden; wir halten uns an Menschen! Denn wir sind Kannibalen und brechen täglich die irdische Speiseordnung; wir füttern uns im Theater satt.» In diesem Sinn: Guten Appetit. (e.)
Premiere: 2. März, 20 Uhr. Weitere Aufführungen: 3. März, 20 Uhr, 4. März, 18 Uhr, 7. März, 20 Uhr, 8. März, 20 Uhr, 9. März, 20 Uhr. Saal Hallenbau der Kantonsschule Stadelhofen, Promenadengasse 5. Weitere Infos: www.ksstadelhofen.ch