«Keine Herrscher über die Welt»

Erstellt von Manuela Moser |
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Anselm Töngi ist Leiter der Alters- und Gesundheitszentren Küsnacht und spricht im Interview darüber, welches Wissen älteren Menschen in der jetzigen Ausnahmesituation hilft, und nennt auch Erfreuliches, das die Pandemie mit sich bringt.

Anselm Töngi, wie geht es Ihnen in der dritten Welle Corona?

Vor gut einem Jahr wurden wir mit Covid konfrontiert und seit diesem Zeitpunkt beherrscht das Virus unseren Alltag. Diese Dauerbelastung ist ermüdend, aber glücklicherweise waren wir bis anhin nicht in grossem Masse betroffen. Schon in der ersten Welle wurde klar, dass es hier um einen Marathon geht, aber auch ein Marathon hat einmal ein Ende. Bei Covid ist dieses noch nicht absehbar, doch ein grosser Silberstreifen am Horizont sind die Impfungen, und dies gibt natürlich Kraft, motiviert weiterzumachen. Momentan ist unser grösstes Anliegen, die dritte Welle bestmöglich zu überstehen, damit alle, die wollen, auch geimpft werden können. Dank dem tollen und solidarischen Einsatz aller Mitarbeitenden werden wir auch diese Herausforderung gemeinsam meistern.

Was ist dieses Mal anders für Sie als im Frühling 2020?

Mittlerweile konnten wir doch einige ­Erfahrung sammeln und somit unsere Massnahmen zielgerichteter und indi­vidueller definieren. Die erste Überraschung und auch Furcht vor dem unbekannten Virus ist dank dem stetigen Wissenszuwachs gewichen. Persönlich sind die Einschränkungen natürlich nur sehr bedingt lustig, aber im Kontext einer wirkungsvollen Bekämpfung der Pandemie meist nachvollziehbar. Durch die tägliche Konfrontation mit dem Thema muss man aufpassen, dass man nicht abstumpft und trotzdem die relevanten Informationen herausfiltert. Eine gewisse «Pandemie-Müdigkeit» ist ebenfalls langsam spürbar.

Wie geht es den alten Menschen in der Tägerhalde?

Bis anhin sind wir von schweren Fällen nicht betroffen. Wir setzen alles daran, dass unsere Bewohnerinnen und Bewohner das grösstmögliche Mass an individueller Freiheit und Selbstständigkeit ohne Gefährdung des Kollektivs geniessen können. Trotzdem finden sie natürlich die Einschränkungen lästig, manchmal auch als verwirrlich oder nicht nachvollziehbar. Sie schätzen jedoch die Gemeinsamkeit, den Austausch mit anderen Bewohnenden und Mitarbeitenden und auch gegenseitige Unterstützung sehr. Die ­Gewissheit, dass wir da sind, die notwendigen Massnahmen ergreifen, um die Lage im Griff zu behalten, und uns um ihr Wohlbefinden kümmern, hilft auch sehr.

Was hilft weiter auch noch?

Das Wissen, dass nichts ewig währt und wir somit auch diese Pandemie in den Griff bekommen werden. Gespräche mit unseren älteren und teilweise auch ­hochbetagten Bewohnerinnen und Bewohnern haben auch gezeigt, dass die ­Situation zwar ärgerlich und natürlich gefährlich werden kann, sie aber schon widrigere Umstände zu meistern gehabt haben. Gelernt haben wir sehr viel und machen laufend weitere Lernerfahrungen. Die wichtigste war jedoch, dass die komplette Schliessung der Pflegeinstitutionen für Bewohnende und Angehörige eine immense Belastung war und rückblickend nicht notwendig, wenn die richtigen Massnahmen getroffen und eingehalten werden.

Was sind für Sie die schlimmsten Folgen dieser Pandemie?

Diese Frage kann ich so nicht beantworten. Covid hat Leid über die Menschen gebracht, sei es gesundheitlich mit schweren Erkrankungen oder gar dem Tod, psychisch infolge des eingeschränkten Soziallebens  mit Existenzängsten oder -verlusten, der Minderung der Zukunftschancen bei Jugendlichen und es gibt noch andere Bereiche, die unter dieser Pandemie gelitten haben.

Gibt es gute?

Die Solidarität, die wir vor allem in der ersten Welle sehr stark erfahren haben.

Die temporäre Entlastung für unsere Umwelt infolge der Einschränkungen. Demut, da wir erfahren mussten, dass wir doch nicht die uneingeschränkten Herrscher über diese Welt sind. Aber auch, dass wir, wenn wir gemeinsam auf eine Aufgabe fokussieren, Grosses bewerkstelligen können, wie etwa die rasche Entwicklung eines Impfstoffes. Die Erfahrung, was die Freiheit, die wir genossen haben, wert war und die wir umso mehr schätzen werden, wenn wir sie vollumfänglich wiedergewonnen haben. Man weiss erst, was die Gesundheit wert ist, wenn man krank ist.

Lassen Sie sich impfen?

Ich werde mich impfen lassen, sobald ich die Gelegenheit habe, denn das ist in meinen Augen der einzige Weg, um diesem Spuk irgendwann ein Ende zu setzen und so weit zu kommen, dass wir mit dem Virus leben können, denn das werden wir müssen.

Wir schreiben Geschichte – wie ­
wird Corona unsere Gesellschaft ­verändern?

Ich hoffe wirklich, dass unser Bewusstsein und unsere Dankbarkeit für Dinge wächst, die wir bis vor der Pandemie als selbstverständlich erachtet haben, die aber durch Covid plötzlich infrage gestellt wurden. Unsere Freiheit, unser Gesundheitssystem, sichere Arbeitsplätze – das gibt es nicht umsonst, sondern wir müssen es uns immer wieder erarbeiten und auch erkämpfen. Die positiven Einflüsse der erzwungenen Veränderungen wie Solidarität, der Gemeinschaftssinn und die Bereitschaft,  sich persönlich zum Wohle des Kollektivs etwas zurückzunehmen, sollten wir auch in den kommenden Monaten versuchen beizubehalten.