Die zur Coop-Gruppe gehörende Swissmill will eine neue Mühle und weitere Produktionseinrichtungen für Hafer, Dinkel und Roggen bauen. Kritiker monieren gebrochene Abstimmungsversprechen beim Kornhaustower vor 10 Jahren.
Seit gut fünf Jahren hat Zürich ein neues Architekturwahrzeichen. Der auf 118 Meter aufgestockte Kornspeicher der Swissmill, der ehemaligen, 1843 gegründeten Stadtmühle am Sihlquai. Hier vermahlt die zur Coop-Gruppe gehörende Firma jährlich über 200 000 Tonnen Getreide. Doch der markante Turm kommt unterschiedlich an. Die einen schwärmen von elegant gestalteter Industriearchitektur, die anderen nerven sich über den aus ihrer Sicht kalten Monolithen, der an einen Endzeitfilm erinnert. So oder so ist es der höchste Kornspeicher der Erde. Entsprechend hoch gingen die Wogen bei der Volksabstimmung vor gut zehn Jahren, als über die Erhöhung abgestimmt wurde. Über 58 Prozent sagten damals Ja zu einem neuen Gestaltungsplan.
Seither beruhigten sich die Gemüter, bis das Thema Swissmill kürzlich wieder in den öffentlichen Fokus geriet. Der Anlass: Coop kündigte allen Mietern in den Liegenschaften am Sihlquai 280 und 282, darunter auch der Schreinerei am Fluss. Als Grund nannte Coop Eigenbedarf. Was bedeutet das konkret? Laut einem Mediensprecher aus der Firmenzentrale in Basel sind betriebliche Anpassungen nötig. Grund dafür seien «veränderte Erwartungen der Kundinnen und Kunden an unser Sortiment und die Anforderungen an den Betrieb». Auf dem Areal der sanierungsbedürftigen Häuser 280 und 282 entstehen laut Coop unter anderem für die Produktion notwendige Labore für Getreide und Mehl sowie eine Versuchsbäckerei.
Ununterbrochener 24-h-Betrieb
Die Verschiebung wird nötig, weil das über 175 Jahre alte Mühlegebäude saniert sowie das Gewerbehaus von 1982 (Sihl-
quai 306) umgenutzt wird. Nur so kann der 24-Stunden-Betrieb während des Umbaus gewährleistet werden. Momentan laufen gemäss dem Sprecher die Planungen. «Mit der Umnutzung des Gewerbehauses schaffen wir die Voraussetzung, um die Sanierungsarbeiten in den übrigen Gebäuden durchführen zu können.» Diese seien aufgrund der stetig steigenden Qualitätsanforderungen nötig. «Zudem ist die Produktion von weiteren Spezialitäten (Hafer, Dinkel und Roggen) vorgesehen», so der Sprecher. Damit wird klar, es wird ein Produktionsausbau stattfinden. Dafür spricht, dass Swissmill kürzlich ein zweites Industriegleis am Sihlquai erstellen liess. Laut Coop «zur Optimierung der Bahnlogistik». Denn Swissmill setzt zumindest bei der Belieferung mit Getreide zu 100 Prozent auf die Bahn.
Während Getreide- und Industriefans jubilieren, schreien Gegner auf. Sie wittern Verrat am Stimmvolk. Tatsächlich betonten die Befürworter, darunter auch der Stadtrat von Zürich, die Verkehrs- und die Lärmbelastung werde durch verdreifachte Höhe des Kornhauses Zürich nicht zunehmen. «Mit der Aufstockung wird die Lagerkapazität, nicht aber die Produktion erweitert», so stand es in der Abstimmungszeitung. Und: «Weil die Produktion nicht erweitert wird, wird der Auslieferungsverkehr durch die Aufstockung gegenüber dem heutigen Zustand nicht erhöht». Auf Anfrage heisst es von der Stadt, man kenne die Anliegen der Mieter und könne die Sorgen durchaus verstehen. Und: «Deshalb hat sich die Stadt auch nach der Möglichkeit eines Kaufs der Liegenschaft erkundigt. Dieses Angebot hat die Coop Immobilien AG abgelehnt.»
Pläne auch beim SBB-Bahndamm
Dem Vernehmen nach soll es nicht bei der Erweiterung auf zwei Mühlen bleiben. Hinter dem erwähnten neuen Industriegleis beim Bahndamm nutzt die SBB das offene Gelände zwischenzeitlich als Bauinstallationsplatz. Ab 2025 soll hier die Swissmill expandieren. Davon zumindest war am runden Tisch die Rede, der kürzlich hinter verschlossenen Türen stattfand. Organisiert hatte ihn die Stadt, es nahmen neben Stadtrat André Odermatt (SP) auch gekündigte Mieter, Vertreter der Swissmill sowie Quartiervereinspräsident Alex Götz teil. Götz sagt, Odermatt habe seinen Job gut gemacht. Götz stört an der ganzen Sache aber, dass die Swissmill nicht anderen leeren Büroraum nutzt: «Es ist immer sehr bedauernswert, wenn bestehender und bezahlbarer Wohnraum auf Kosten von Büroflächen verloren geht, gerade an solcher Lage.»
«Projekt wäre nicht durchgekommen»
Für Seraina Rohner von der Schreinerei an der Sihl ist die Kündigung durch Coop existenzbedrohend. «Die Swissmill könnte ihre Büros und Labors doch auch anderswo einrichten.» Sie, die betont, dass sie eigentlich nichts gegen die Swissmill habe, nervt sich aber an den gebrochenen Versprechungen. «Hätte die Swissmill vor zehn Jahren mit offenen Karten gespielt, wäre das Riesenprojekt nicht durchgekommen», ist sie überzeugt. Enttäuscht ist sie zudem, dass am runden Tisch die vorher von der Mieterschaft eingereichten Fragen nicht oder kaum beantwortet wurden. So gab es von den Beteiligten keine schlüssigen Antworten zu einer konkreten Standortstrategie am Sihlquai inkl. Prüfung von Alternativen. Punkto Ausbaupläne wurde Coop nun also konkreter, im Gegensatz zu Fragen rund um das Bauprojekt beim Bahndamm ab 2025: «Zur genauen Planung und zukünftigen Projekten kommunizieren wir zu gegebener Zeit.»
Die verbleibenden Altmieter und die Zwischennutzer müssen wohl schon in wenigen Monaten raus. Die Schreinerei hingegen hat einen Mietvertrag bis November 2022. Am runden Tisch wurde dem Betrieb eine Verlängerung bis 2027 versprochen. Wie das bautechnisch möglich sein soll, wenn rundherum die gesamte Gebäudestruktur kernsaniert wird, ist unklar. Immerhin will mit der Swissmill einer der letzten traditionellen Industriebetriebe Zürichs expandieren.